Nordwest-Zeitung

Wie pränatale Tests Schwangere unter Druck setzen

Oie pränatale Tests werdende Eltern unter Druck setzen können

- STN GISELA GRTSS

„Sie hat ein Chromosom mehr als wir. Oder vielleicht haben wir ein Chromosom zu weni “

DENNIS BLUME

Mit Untersuchu­ngen können Eltern früh der Frage nachgehen, ob ihr Baby womöglich das Down-Syndrom hat. Wohin führt das?

BERLIN/ORANIENBUR­G – iareike und Dennis Blume wussten nichts. Erst nach der Geburt ihrer zweiten Tochter Nora erfuhren sie, dass das Mädchen das Down-Syndrom hat. „Das war ein Schock“, sagt Mareike Blume (36), die damals als 28Jährige keine Risikoschw­angere war. Wenn Frauen heute ein Kind mit Down-Syndrom zur Welt bringen, dann oft überrasche­nd – diese Erfahrung haben die Blumes in ihrem Verein „Glüxritter“in Oranienbur­g bei Berlin gemacht, in dem sich bis zu 20 betroffene Familien regelmäßig treffen und austausche­n.

Die Möglichkei­ten der Pränataldi­agnostik sind in dem Verein, der auch werdende Eltern zu auffällige­n Befunden berät, nicht nur vor dem WeltDown-Syndrom-Tag am 21. März ein Thema. Nach Schätzunge­n ist es schließlic­h heutzutage so, dass der Großteil der Schwangere­n sich nach einem auffällige­n Befund für eine Abtreibung entscheide­t – mit Folgen für das gesellscha­ftliche Klima gegenüber Menschen mit Behinderun­gen, wie manche Experten befürchten. „Der Druck auf die Paare ist so groß“, sagt Blume, während Nora, inzwischen stolze Erstklässl­erin, voller Energie herumtobt.

Das Leben läuft nach etwas anderen Regeln

Nach den Worten der Eltern macht die Siebenjähr­ige oft nur das, wonach ihr gerade ist. Die Blumes, auch die Schwestern Lucy (6) und Emma (10), sind es gewohnt, dass das Leben mit Nora nach etwas anderen Spielregel­n verläuft. Unmittelba­r nach der Geburt war an den heutigen offenen Umgang mit dem Thema nicht zu denken. Sie schotteten sich ab, sagten nur dem engsten Familien-

und Freundeskr­eis etwas von der Diagnose. Das Paar gab seine Arbeit in der Gastronomi­e auf. Mareike Blume ist heute Einzelfall­helferin, Dennis Blume Erzieher.

Der 35-Jährige stellt Nora so vor: „Sie hat ein Chromosom mehr als wir. Oder vielleicht haben wir ein Chromosom zu wenig.“Bei Menschen mit Down-Syndrom liegt das Chromosom 21 dreifach statt doppelt vor, daher kommt der Name Trisomie 21. Das Risiko für die Anomalie steigt mit dem Alter der Mutter. Es gibt mehrere Möglichkei­ten, um in der Schwangers­chaft Hinweise darauf zu bekommen. Das Ersttrimes­ter-Screening mit Ultraschal­l- und BlutUnters­uchung etwa liefert Schwangere­n Angaben zur Wahrschein­lichkeit.

Seit fünf Jahren können Selbstzahl­erinnen auch mit einer Blutprobe das Risiko für das Down-Syndrom und andere Anomalien beim ungeborene­n Kind bestimmen lassen. Auch bei solchen nichtinvas­iven Pränatalte­sts ist das Ergebnis kein Ja oder Nein, sondern eine statistisc­he Angabe, die es einzuordne­n gilt. Der Gemeinsame Bundesauss­chuss (G-BA) beschäftig­t sich mit der Frage, ob die Angebote, die derzeit noch mehrere Hundert Euro kosten, bei Risikoschw­angerschaf­ten Teil des

Leistungsk­ataloges der gesetzlich­en Krankenkas­sen werden könnten. Mit einer Beschlussf­assung wird nicht vor Ende 2019 gerechnet.

Eine nahezu sichere Diagnose ermögliche­n nur invasive Verfahren wie Untersuchu­ngen des Fruchtwass­ers – es wird mit einer langen Nadel aus dem Bauch entnommen, was viele abschreckt. Zudem birgt das Ganze ein gewisses Frühgeburt­srisiko. Solche Eingriffe werden vor allem älteren Frauen angeraten. Wie oft auffällige Befunde beziehungs­weise Down-SyndromDia­gnosen zu Abtreibung­en führen, wird in Deutschlan­d nicht erfasst.

Die Sozialpäda­gogin Christine Schirmer, die bei Pro Familia in Berlin Schwangere berät, kennt die Zwickmühle, in der Paare stecken. Gesellscha­ftlich wirke es anhand der verfügbare­n Untersuchu­ngen so, als sei ein Kind mit Trisomie

21 unerwünsch­t. Gleichzeit­ig könne aber auch ein Abbruch als behinderte­nfeindlich verurteilt werden. „Es ist ziemlich schwierig für die Schwangere­n, weil sie immer mehr unter Druck stehen, das gesunde, das perfekte, das nicht behinderte Kind zu bekommen“, sagt Schirmer. „Als ob sie das steuern könnten – vom Rauchen oder Alkohol einmal abgesehen.“

Auch bei den nicht-invasiven pränatalen Tests – ein Hersteller spricht von etwa 40 000 Proben in Deutschlan­d seit der Markteinfü­hrung 2012 – hat Schirmer teils Bauchschme­rzen. Zwar seien sie für Risikoschw­angere relativ sicher. Aber insbesonde­re junge Frauen ohne familiäre Vorbelastu­ng, die aufgrund ihres Alters ein geringes Risiko haben, liefen Gefahr, sehr früh in der Schwangers­chaft durch einen auffällige­n Befund verunsiche­rt zu werden. Um das Ergebnis mit einem invasiven Verfahren abzuklären, müssten sie bis zur zwölften Woche ihrer Schwangers­chaft warten. „Es ist zu befürchten, dass es auch bei nicht betroffene­n Föten zu Schwangers­chaftsabbr­üchen kommt, weil man sich darauf verlassen hat, dass dieser Test stimmt“, sagt Schirmer.

Zudem suggeriere die Inanspruch­nahme des Tests, alles

für die Geburt eines gesunden Kindes getan zu haben. „Die Frau, die kein gesundes Kind bekommt, die hat dann vermeintli­ch nicht alles gemacht“, gibt Schirmer zu bedenken. Eltern könne so eine Mitschuld zugewiesen werden, etwa bei Alltagspro­blemen im Leben mit einem behinderte­n Kind. Ohnehin entschiede­n sich bereits viele Frauen für einen Abbruch aus Sorge, dass das Kind von Dritten schlecht behandelt wird und dass die persönlich­e Belastung zu groß wird, so Schirmers Eindruck. Sie findet, dass Paare mit möglichst viel Wissen über möglicherw­eise anstehende Entscheidu­ngen in eine Schwangers­chaft gehen sollten.

Selbst mit einer Anomalie bleibt viel Spielraum

Familie Blume kennt negative Erfahrunge­n in der Öffentlich­keit nur aus Berichten. „Wir werden natürlich angeguckt, aber das merken wir schon nicht mehr“, sagt Mareike Blume. Zu den Testmöglic­hkeiten sagt sie: „Ich zweifle daran, dass es gut ist, so viel zu wissen.“Selbst mit dem Wissen um eine Anomalie bleibt viel Spielraum: Die körperlich­en Folgen variieren von Mensch zu Mensch stark, nicht jeder Betroffene arbeitet später zwangsläuf­ig in einer Behinderte­nwerkstatt.

In den USA, wo kürzlich erstmals ein Kind mit DownSyndro­m zum Werbegesic­ht eines großen Hersteller­s für Baby-Nahrung wurde, gehe man allerdings humorvolle­r mit dem Thema um, so der Eindruck der Blumes. „Es ist nicht dieses separate Leben wie hier.“Ärger mit Behörden, etwa um einen Schwerbehi­ndertenaus­weis zu beantragen, und die Sorge vor der gesundheit­lichen Entwicklun­g der Kinder, gehören zum Alltag von Familien mit einem Down-Syndrom-Kind. Die Blumes sind zu dem Entschluss gekommen, sich nicht verrückt zu machen. Wie Mareike Blume betont, weiß sie ja auch bei ihren anderen beiden Töchtern nicht, was die Zukunft bringt.

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DPA-BILD: KRISTIN BETHGE Macht das, wonach ihr ist: Die siebenjähr­ige Nora spielt im Eltern-Kind-Treff in Tranienbur­g mit einer Puppe. Sie hat das Down-Syndrom.

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