Rosinen picken oder Kröten schlucken?
Warum die Schweiz wie ein Gespenst über den Brexitverhandlungen hängt
Die Schweizer haben der Europäischen Union eine Sonderregelung abgetrotzt: Das Nichtmitglied hat neben einem Freihandelsabkommen zahlreiche bilaterale Verträge mit der EU. Die Eidgenossen wollen zwar dazugehören, aber nach eigenen Regeln spielen. Und das hört sich sehr nach dem an, was die Briten wollen. Das ärgert die EUEuropäer. Deshalb wollen sie den Schweizer Zopf abschneiden, damit London nicht auf einen Präzedenzfall für bilaterale Verträge pochen kann.
Rückblende: Mit hauchdünnen 50,3 Prozent lehnen die Schweizer am 6. Dezember 1992 den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ab, einer Freihandelszone zwischen der EU und Island, Liechtenstein und Norwegen. Damit war auch das Thema EU-Beitritt für die Schweizer vom Tisch.
Danach mühte sich die Regierung in Bern jahrelang, um mit der EU zu dem bestehenden Freihandelsabkommen ein Paket bilateraler Abkommen zu schnüren. So vermied sie die Isolation in der wachsenden Union. Dazu gehören Personenfreizügigkeit, Teilnahme am Schengen-Abkommen, an Forschungsprogrammen und vielem mehr. 130 Sondervereinbarungen gibt es.
Toll fand die EU das Sammelsurium nie. „Die Europäische Union muss sich die Frage stellen: Haben wir eigentlich ein Interesse daran, dass ein europäisches Land an allen Politiken zu seinem Profit teilnimmt, aber keine Beiträge zahlt?“– sagte 2012 Martin Schulz im Schweizer Fernsehen, damals noch EU-Parlamentspräsident.
So ähnlich wie die Schweizer hätte es der britische Brexit-Minister David Davis aber auch gern. Den Briten schweben etwa ein Binnenmarktzugang für Schlüsselindustrien vor oder Regeln, die die Londoner City als Finanzzentrum sichern. Denn auf dem Papier ist diese Schweizer Lösung attraktiv: Das Land bewahrt seine Rechtshoheit und schaut, wo und wie es sich anpassen will. Genau damit wollen die EU-Unterhändler aber nun Schluss machen. „Rosinenpickerei“soll es nicht geben.
Die Europäische Union pocht darauf, die vielen Verträge mit der Schweiz durch ein Rahmenabkommen zu ersetzen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nannte das bei seinem Besuch im November in Bern einen Freundschaftsvertrag. Viele Schweizer fühlen sich aber eher geknebelt: Die EU hätte nämlich gern, dass EU-Richtlinien künftig automatisch übernommen werden. Im Streitfall sollten EU-Richter entscheiden. Das ist auch so ein rotes Tuch für rechtskonservative Schweizer Politiker – und britische Brexit-Enthusiasten.
Die Schweizer sperren sich, doch wer am längeren Hebel sitzt, hat die EU sie schon spüren lassen: Ende 2017 verlängerte sie den unkomplizierten Handel von EU-Aktien an Schweizer Börsen erstmal nur für ein Jahr. Rechtsunsicherheit ist die Folge. Die Regierung habe „den Eindruck, dass dieser Entscheid der Europäischen Union zum Ziel hat, den Finanzplatz Schweiz zu schwächen“, echauffierte sich seinerzeit Bundespräsidentin Doris Leuthard.
Ganz richtig, das ist eine Daumenschraube, wie EU-Vizekommissar Valdis Dombrovskis klar machte: Die Börsenanerkennung könne erst im Falle von genügend Fortschritten beim Rahmenabkommen unbefristet verlängert werden. „Genügend Fortschritte“– diese Formulierung aus Brüssel kennen auch die Briten schon gut.