Sin Schmerzpunkt im städtischen Leben
Geerrhch mit Kain und Abel, Kirche und Polizei über die Möglichkeiten der Versöhnung
Polizeidirektor Thomas Weber sprach auch über den jüngsten Tötungsversuch in der Innenstadt: „Der Messerstecher kann sich keinen Tag mehr sicher fühlen.“
OLDENBURG – Orte, „an denen es weh tut“. Diese hatten die ev.-luth. Gemeinden für die Passionszeit herausgesucht, um mit Oldenburgern über die Möglichkeiten der Versöhnung zu sprechen. „Durchkreuzt“ist da das Oberthema für besagte Passionspunkte 2018. Und keine Frage: Menschen, denen es vielfach in ihrem Leben gut erging, kann solch ein Besuch im Tagesaufenthalt oder in der Dragonerkaserne durchaus schmerzen. Noch mehr, wenn sie selbst ihre Erfahrungen eben dort sammeln mussten. Ob nun aber auch das VfB-Stadion oder der Bahnübergang Ofenerdiek dazugehören, wie in dieser Reihe ebenso aufgesucht, sei dahingestellt.
Böse Erinnerungen
Dass aber dieser letzte ausgesuchte „Schmerzpunkt“– ein Pflaster mitten in der Achternstraße – viele Bürger bewegt hatte und noch immer bewegt, war Pastor Ralph Hennigs bewusst: „Es war sicherlich der intensivste Ort.“
Mitten in der Fußgängerzone, am 31. Mai des vergangenen Jahres, wurde genau an dieser Stelle zur nahezu gleichen Tageszeit ein Mann brutal erstochen. Er verblutete auf dem Pflaster, „über das wir täglich gehen, als wäre nichts gewesen“, so Hennings in seiner Erklärung. Dies nicht nur mahnend in die Runde der Passanten, sondern auch mit ganz persönlicher Note versehen: „Die Fußgängerzone ist mein Gemeindebezirk, mein Revier“, sagt er, „man geht diesen Weg ganz anders wenn man weiß, was hier damals
passiert war.“Was man auch weiß: Der Täter wurde schnell gefasst, mittlerweile auch zu lebenslanger Haft verurteilt. Erleichtert dies aber den Umgang mit diesem schmerzerprobten Ort? Macht es das Geschehen begreifbarer, den Menschen, der dies zu verantworten hatte? Nicht wirklich. Das zeigte zumindest diese doch ungewöhnliche Andacht vor Ort.
Volkmar Stickan traf mit Cello-Sunten von J.S. Bach Ohr wie Nerv der Umstehenden und Passanten, Maren Waruschewski las biblische Texte zu Kain und Abel. Besonderen Eindruck hinterließ da aber Polizeidirektor Thomas Weber, der noch einmal an die Tat und den Einsatz von Polizei wie Rettungskräften erinnerte – schwere Theologie auf der einen, nüchterne Weltlichkeit auf der anderen
Seite. Und Weber sprach offen: „Ich hätte gern gesagt, dass es sich um einen Einzelfall handelte, dies der negative Höhepunkt 2017 war, der das Sicherheitsgefühl der Menschen beeinträchtigt hatte – obgleich sich die objektive Lage ja verbessert hat.“
Gebete für 17-Jährigen
Allein: Er konnte es nicht sagen. Weil erst vor zwei Wochen ein 17-jähriger Schüler in der Bergstraße niedergestochen wurde und noch immer mit dem Leben ringt. „Ich bin wahrlich kein religiös lebender Mensch – habe dann aber doch für ihn das ein oder andere Gebet in mich hineingesprochen.“
Weber appellierte überdies an den nach wie vor flüchtigen Täter: „Er muss jeden Tag mit dieser Schuld leben, die er
auf sich geladen hat. Und er kann sich keinen Tag mehr sicher fühlen. Wir sind dem Opfer, den Angehörigen und Oldenburg schuldig, so lange an diesem Fall dran zu bleiben, bis wir ihn ermittelt haben.“
Weber verwies auch noch einmal darauf, dass „wir als Retter im Gegensatz zu anderen Bürgern diese Schockstarre qua Amt überwinden müssen, um Rettungs- und Fahndungsmaßnahmen einleiten zu können.“
Dies alles beeindruckte. Viele Passanten blieben stehen, lauschten, zeigten sich tief berührt. „Sehr still und konzentriert“, so habe Pastor Hennings diesen intensiven Moment erlebt, „hier ist etwas hängen geblieben.“Hier, an diesem doch so unscheinbaren Ort. „Abrüstung nicht nur für Atommächte, sondern auch für Fußgängerzonen“,
mahnte er da noch einmal mit markanten Worten an. Die Reihe wird in der nächsten Passionszeit fortgesetzt. „In Schockstarre“– die NWZ-Dokumentation.