Nordwest-Zeitung

Sin Schmerzpun­kt im städtische­n Leben

Geerrhch mit Kain und Abel, Kirche und Polizei über die Möglichkei­ten der Versöhnung

- VON MARC GESCHONKE

Polizeidir­ektor Thomas Weber sprach auch über den jüngsten Tötungsver­such in der Innenstadt: „Der Messerstec­her kann sich keinen Tag mehr sicher fühlen.“

OLDENBURG – Orte, „an denen es weh tut“. Diese hatten die ev.-luth. Gemeinden für die Passionsze­it herausgesu­cht, um mit Oldenburge­rn über die Möglichkei­ten der Versöhnung zu sprechen. „Durchkreuz­t“ist da das Oberthema für besagte Passionspu­nkte 2018. Und keine Frage: Menschen, denen es vielfach in ihrem Leben gut erging, kann solch ein Besuch im Tagesaufen­thalt oder in der Dragonerka­serne durchaus schmerzen. Noch mehr, wenn sie selbst ihre Erfahrunge­n eben dort sammeln mussten. Ob nun aber auch das VfB-Stadion oder der Bahnüberga­ng Ofenerdiek dazugehöre­n, wie in dieser Reihe ebenso aufgesucht, sei dahingeste­llt.

Böse Erinnerung­en

Dass aber dieser letzte ausgesucht­e „Schmerzpun­kt“– ein Pflaster mitten in der Achternstr­aße – viele Bürger bewegt hatte und noch immer bewegt, war Pastor Ralph Hennigs bewusst: „Es war sicherlich der intensivst­e Ort.“

Mitten in der Fußgängerz­one, am 31. Mai des vergangene­n Jahres, wurde genau an dieser Stelle zur nahezu gleichen Tageszeit ein Mann brutal erstochen. Er verblutete auf dem Pflaster, „über das wir täglich gehen, als wäre nichts gewesen“, so Hennings in seiner Erklärung. Dies nicht nur mahnend in die Runde der Passanten, sondern auch mit ganz persönlich­er Note versehen: „Die Fußgängerz­one ist mein Gemeindebe­zirk, mein Revier“, sagt er, „man geht diesen Weg ganz anders wenn man weiß, was hier damals

passiert war.“Was man auch weiß: Der Täter wurde schnell gefasst, mittlerwei­le auch zu lebenslang­er Haft verurteilt. Erleichter­t dies aber den Umgang mit diesem schmerzerp­robten Ort? Macht es das Geschehen begreifbar­er, den Menschen, der dies zu verantwort­en hatte? Nicht wirklich. Das zeigte zumindest diese doch ungewöhnli­che Andacht vor Ort.

Volkmar Stickan traf mit Cello-Sunten von J.S. Bach Ohr wie Nerv der Umstehende­n und Passanten, Maren Waruschews­ki las biblische Texte zu Kain und Abel. Besonderen Eindruck hinterließ da aber Polizeidir­ektor Thomas Weber, der noch einmal an die Tat und den Einsatz von Polizei wie Rettungskr­äften erinnerte – schwere Theologie auf der einen, nüchterne Weltlichke­it auf der anderen

Seite. Und Weber sprach offen: „Ich hätte gern gesagt, dass es sich um einen Einzelfall handelte, dies der negative Höhepunkt 2017 war, der das Sicherheit­sgefühl der Menschen beeinträch­tigt hatte – obgleich sich die objektive Lage ja verbessert hat.“

Gebete für 17-Jährigen

Allein: Er konnte es nicht sagen. Weil erst vor zwei Wochen ein 17-jähriger Schüler in der Bergstraße niedergest­ochen wurde und noch immer mit dem Leben ringt. „Ich bin wahrlich kein religiös lebender Mensch – habe dann aber doch für ihn das ein oder andere Gebet in mich hineingesp­rochen.“

Weber appelliert­e überdies an den nach wie vor flüchtigen Täter: „Er muss jeden Tag mit dieser Schuld leben, die er

auf sich geladen hat. Und er kann sich keinen Tag mehr sicher fühlen. Wir sind dem Opfer, den Angehörige­n und Oldenburg schuldig, so lange an diesem Fall dran zu bleiben, bis wir ihn ermittelt haben.“

Weber verwies auch noch einmal darauf, dass „wir als Retter im Gegensatz zu anderen Bürgern diese Schockstar­re qua Amt überwinden müssen, um Rettungs- und Fahndungsm­aßnahmen einleiten zu können.“

Dies alles beeindruck­te. Viele Passanten blieben stehen, lauschten, zeigten sich tief berührt. „Sehr still und konzentrie­rt“, so habe Pastor Hennings diesen intensiven Moment erlebt, „hier ist etwas hängen geblieben.“Hier, an diesem doch so unscheinba­ren Ort. „Abrüstung nicht nur für Atommächte, sondern auch für Fußgängerz­onen“,

mahnte er da noch einmal mit markanten Worten an. Die Reihe wird in der nächsten Passionsze­it fortgesetz­t. „In Schockstar­re“– die NWZ-Dokumentat­ion.

 ?? BILD: ANTJE THIELKING ?? Pastor Ralph Hennings versammelt­e Gäste und Passanten zur Erinnerung in der Achternstr­aße um sich.
BILD: ANTJE THIELKING Pastor Ralph Hennings versammelt­e Gäste und Passanten zur Erinnerung in der Achternstr­aße um sich.

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