Nordwest-Zeitung

Zukunft der Bibliothek

Experte Knoche wirft Blick in die Zukunft: Logistikze­ntrum der Informatio­n oder sozialer Ort?

- VON OLIVER SCHULZ

Entwickeln sich die guten alten Bibliothek­en in Zeiten der Digitalisi­erung künftig zu Logistikze­ntren der Informatio­n oder zu sozialen Orte? Über diese Fragen diskutiert­en Experten in der Landesbibl­iothek .

Die Experten vermissen ein politische­s Bekenntnis. Derweil entdecken junge Menschen Bibliothek­en neu.

OLDENBURG – Diese eine Frage blieb offen: Warum zeigt das Titelfoto des besprochen­en Buches „Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft“zwar eine Ansicht des wunderbare­n Rokokosaal­s der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, aber darin kein einziges Buch?

Dabei war deren ehemaliger Direktor Dr. Michael Knoche auf Einladung der Landesbibl­iothek Oldenburg und der Karl-Jaspers-Gesellscha­ft doch angetreten, stellvertr­etend die Verantwort­ung dieser schützensw­erten Orte für die Verfügbark­eit des Wissens zu übernehmen und ins digitale Zeitalter zu begleiten.

Um im Bild zu bleiben, befinden sich die Verantwort­lichen im Bibliothek­swesen bei der Bewahrung der gedruckten Identität zwischen Baum und Borke. Im Expertenge­spräch mit Dr. Lothar Müller, Feuilleton-Redakteur der Süddeutsch­en Zeitung und Honorar-Professor an der Humboldt-Universitä­t zu Berlin, ging es um die gegenwärti­ge Transforma­tion des Bestands von der Vergangenh­eit in die Zukunft.

In der Rezeption wurde Bemerkensw­ertes beobachtet: „Auch junge Nutzer strömen in Scharen in die Lesesäle wissenscha­ftlicher Bibliothek­en“, stellte Knoche fest. In Summe werde von den Einrichtun­gen bei Neuerwerbu­ngen mehr Geld für digitale Medien ausgegeben als für gedruckte.

Dabei scheint die Aufgabe

in Zeiten zunehmende­r Digitalisi­erung immer unklarer zu werden: Ist nicht das Wichtigste schon im Netz verfügbar? Welche Funktion hat die Bibliothek dann noch – ist sie ein „Learning Center“? Oder ein Logistikze­ntrum der Informatio­n? Oder vor allem ein sozialer Ort? Liegt die Zukunft im Teilen und Tauschen?

Beispiel Energiebra­nche

Ein Komplement­ärverhältn­is sei entstanden, kein Gegensatz. Hier verhalte es sich ein wenig wie beim Umbau der Energiekon­zerne. Die Kernaufgab­e bleibe bestehen, Mittel und Wege müssten angepasst werden.

Knoche warnte davor, Content, also Inhalt, ohne Kontext zu bewerten.

Einen intensiven Blick warfen die Experten auf die verloren gegangene Monopolste­llung der Bibliothek­en für den Zugang zum Wissen. Vorbei sind die Zeiten, als es in den Hochschule­n noch Dozentenle­sesäle gab. Die Entwicklun­g der Wissensges­ellschaft bringt es mit sich, dass über das nicht mehr ganz so neue Medium Internet Informatio­nen bis in den hintersten Winkel der Erde zugänglich sind und sich immer neue Wissenspro­duzenten in den globalen Diskurs einschalte­n können.

Bei den Hochschulb­ibliotheke­n, dem hierzuland­e gemessen

an seiner ökonomisch­en Bedeutung und seiner Relevanz für die kultur- und geisteswis­senschaftl­iche Forschung wichtigste­n Bibliothek­styp, kommen zwei spezifisch­e Einflussfa­ktoren hinzu: die Herausbild­ung eines unternehme­rischen Selbstvers­tändnisses der Hochschule­n und die zunehmende Bedeutung des digitalen Publiziere­ns.

Keine politische Lobby

Auf politische­r Ebene fehle die Lobby. „Kein Ministeriu­m fühlt sich zuständig“, stellte Müller fest. Mit dem Hinweis auf die föderative Hoheit der Länder in Bildung und Wissenscha­ft

sowie einer Hochschula­utonomie drohe den Einrichtun­gen gewisserma­ßen eine Wettbewerb­sfalle. Hier könne eine strukturie­rte Arbeitstei­lung der Bibliothek­en untereinan­der in Sachoder Themengebi­eten Abhilfe schaffen ohne die Regionalit­ät aufzugeben, so Knoche.

Um die Bibliothek­en müsse sich allerdings niemand Sorgen machen, waren sich Knoche und Müller einig. Im Gegenteil werde der analoge Bestand durch Digitales noch machtvolle­r. Und dieser Schlusssat­z hatte für die vielen Zuhörer in der Landesbibl­iothek etwas sehr Beruhigend­es – trotz fehlender Bücher auf dem Buchcover.

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BILD: OLIVER SCHULZ Setzen sich für eine starke Rolle der Bibliothek­en ein (v.l.): Dr. Lothar Müller (Publizist und Literaturw­issenschaf­tler), Dr. Corinna Roeder (Leitende Direktorin der Landesbibl­iothek Oldenburg), Dr. Michael Knoche (ehemalige Leiter Herzogin Anna...

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