Nordwest-Zeitung

Bizarres aus dem Großraumbü­ro

Neuer Roman von Georg Klein zwischen Fantastik und Realität

- VON SEBASTIAN FISCHER

Georg Klein: „Miakro“, Rowohlt, Reinbek, 320 Seiten, 24 Euro. HAMBURG/BUNDE – Die Räume haben ein Eigenleben. Sie spenden ihren Bewohnern Nahrung, Wasser und Schlafplät­ze. Das Gebäude, das Georg Klein zum Schauplatz seines neuen Romans „Miakro“macht, ist ein in sich geschlosse­ner, autarker Kosmos. Kein natürliche­s Licht dringt bis tief unter die Erde, eine „blaue Wandlinie“ersetzt Sonnenlauf und Jahreszeit­en.

Es ist eine wabernde Bürowelt, in der Nettler, Guler, Schiller und Axler Tag für Tag, Nacht für Nacht, Jahr für Jahr verbringen. Dort sind sie ausgebilde­t worden, dort arbeiten sie. Nun leben und schlafen sie in dem Trakt, das sie das „Mittlere Büro“nennen. Ihr Essen holen sie zuweilen mit ihren Lippen aus Zitzen, die sich unter den Wänden hervorknot­en. Ein Gebäude, das blubbert und nährt – irgendwo zwischen Muttertier und Alien.

In „Miakro“kommen drei Dinge zusammen: die Sterilität eines Bürokomple­xes, die Asepsis eines menschlich­en Körpers, wie er auf einem Operations­tisch liegt, und die Gleichscha­ltung von Arbeit. Klein schlägt einen kulturhist­orischen Bogen von der Antike bis zur Moderne – von Aristotele­s’ Ameisensta­at zu Science-Fiction-Stoffen aus den Anfängen des Stummfilm-Kinos. Die surrealen gesellscha­ftlichen Verhältnis­se dienen dem gebürtigen Augsburger, der im ostfriesis­chen Bunde lebt, als Parabel auf

den Büroalltag in der Jetztzeit.

Es sind, wie es in „Miakro“heißt, „ödblöde Glastage“für die vier Protagonis­ten: Sie werden aus ihren Schlafkoje­n ausgespiee­n, machen sich in den Nähr- und Waschflure­n für ihre Arbeit bereit, die darin besteht, Bildern auf einem kristallne­n 3D-Monitor zu folgen. Großraumat­mosphäre par excellence.

Georg Klein trat erst spät auf die Literaturb­ühne. Ende der 1990er Jahre erschien sein Debütroman. Den Bachmann-Preis gewann der heute 64-Jährige im Jahr 2000 mit einem Text, in dem er einen Detektiv durch rätselhaft­e Räume schickt. Schon damals:

ein Labyrinth. Und jetzt, in „Miakro“, wieder.

Auch hier beginnt eine Reise durch die Bürogänge. Auslöser für den Aufbruch aus dem Büroalltag sind eine kurze, fiebrige Krankheit Nettlers und das Verschwind­en eines ehemaligen Kollegen. In den vier Männern drängt es zum Ausbruch, und sie machen sich auf den Weg aus dem „Mittleren Büro“hinein ins Ungewisse. Hier wird es abenteuerl­ich: Sie werden verfolgt.

Nach etwa der Hälfte des Textes erweitert Klein die Perspektiv­e: Er führt eine Außenwelt ein. Von dort, wo das „matte Rosa über dem Horizont in ein sattes, rotgeädert­es

Orange“umschlägt, begibt sich ein Suchtrupp in das Gebäude, um die Büroangest­ellten zu finden. In dieser Doppelung zeigt sich: Auch Nettler und seine Kollegen haben eine Vergangenh­eit, die fernab des Komplexes beginnt. Außen und innen spiegeln sich gegenseiti­g.

Wie in seinem Buch „Roman unserer Kindheit“, für das er 2010 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, mäandert Klein auch diesmal zwischen Fantastik und Realität. Doch der Erkenntnis­gewinn bleibt am Ende gering. Auch ein utopischer Text darf den Bezug zur Wirklichke­it nicht vollends verlieren.

 ?? DPA-BILD: CARMEN JASPERSEN ?? Legt mit „Miakro“eine Parabel auf den modernen Büroalltag vor: der Schriftste­ller Georg Klein. Bild links: der Umschlag des bei Rowohlt erschienen­en Romans
DPA-BILD: CARMEN JASPERSEN Legt mit „Miakro“eine Parabel auf den modernen Büroalltag vor: der Schriftste­ller Georg Klein. Bild links: der Umschlag des bei Rowohlt erschienen­en Romans
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