Bizarres aus dem Großraumbüro
Neuer Roman von Georg Klein zwischen Fantastik und Realität
Georg Klein: „Miakro“, Rowohlt, Reinbek, 320 Seiten, 24 Euro. HAMBURG/BUNDE – Die Räume haben ein Eigenleben. Sie spenden ihren Bewohnern Nahrung, Wasser und Schlafplätze. Das Gebäude, das Georg Klein zum Schauplatz seines neuen Romans „Miakro“macht, ist ein in sich geschlossener, autarker Kosmos. Kein natürliches Licht dringt bis tief unter die Erde, eine „blaue Wandlinie“ersetzt Sonnenlauf und Jahreszeiten.
Es ist eine wabernde Bürowelt, in der Nettler, Guler, Schiller und Axler Tag für Tag, Nacht für Nacht, Jahr für Jahr verbringen. Dort sind sie ausgebildet worden, dort arbeiten sie. Nun leben und schlafen sie in dem Trakt, das sie das „Mittlere Büro“nennen. Ihr Essen holen sie zuweilen mit ihren Lippen aus Zitzen, die sich unter den Wänden hervorknoten. Ein Gebäude, das blubbert und nährt – irgendwo zwischen Muttertier und Alien.
In „Miakro“kommen drei Dinge zusammen: die Sterilität eines Bürokomplexes, die Asepsis eines menschlichen Körpers, wie er auf einem Operationstisch liegt, und die Gleichschaltung von Arbeit. Klein schlägt einen kulturhistorischen Bogen von der Antike bis zur Moderne – von Aristoteles’ Ameisenstaat zu Science-Fiction-Stoffen aus den Anfängen des Stummfilm-Kinos. Die surrealen gesellschaftlichen Verhältnisse dienen dem gebürtigen Augsburger, der im ostfriesischen Bunde lebt, als Parabel auf
den Büroalltag in der Jetztzeit.
Es sind, wie es in „Miakro“heißt, „ödblöde Glastage“für die vier Protagonisten: Sie werden aus ihren Schlafkojen ausgespieen, machen sich in den Nähr- und Waschfluren für ihre Arbeit bereit, die darin besteht, Bildern auf einem kristallnen 3D-Monitor zu folgen. Großraumatmosphäre par excellence.
Georg Klein trat erst spät auf die Literaturbühne. Ende der 1990er Jahre erschien sein Debütroman. Den Bachmann-Preis gewann der heute 64-Jährige im Jahr 2000 mit einem Text, in dem er einen Detektiv durch rätselhafte Räume schickt. Schon damals:
ein Labyrinth. Und jetzt, in „Miakro“, wieder.
Auch hier beginnt eine Reise durch die Bürogänge. Auslöser für den Aufbruch aus dem Büroalltag sind eine kurze, fiebrige Krankheit Nettlers und das Verschwinden eines ehemaligen Kollegen. In den vier Männern drängt es zum Ausbruch, und sie machen sich auf den Weg aus dem „Mittleren Büro“hinein ins Ungewisse. Hier wird es abenteuerlich: Sie werden verfolgt.
Nach etwa der Hälfte des Textes erweitert Klein die Perspektive: Er führt eine Außenwelt ein. Von dort, wo das „matte Rosa über dem Horizont in ein sattes, rotgeädertes
Orange“umschlägt, begibt sich ein Suchtrupp in das Gebäude, um die Büroangestellten zu finden. In dieser Doppelung zeigt sich: Auch Nettler und seine Kollegen haben eine Vergangenheit, die fernab des Komplexes beginnt. Außen und innen spiegeln sich gegenseitig.
Wie in seinem Buch „Roman unserer Kindheit“, für das er 2010 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt, mäandert Klein auch diesmal zwischen Fantastik und Realität. Doch der Erkenntnisgewinn bleibt am Ende gering. Auch ein utopischer Text darf den Bezug zur Wirklichkeit nicht vollends verlieren.