Vom großen Glück zwischen Supermarktregalen
„Die Ladenhüterin“von Sayaka Murata amüsiert und verunsichert
BERLIN – Ein kleines Rädchen im Getriebe sein: Was ehrgeizige Menschen am Leben verzweifeln lässt, ist für Keiko Furukura ein Segen. Die junge Frau ist anders, Gefühle kann sie nicht empfinden, das Verhalten ihrer Mitmenschen irritiert sie, auf der Uni bleibt sie lieber für sich. Nur bei der Arbeit im neu eröffneten 24Stunden-Supermarkt, einem Konbini, fühlt sie sich wohl und als „normaler“Mensch.
„Die Ladenhüterin“heißt doppeldeutig der Roman der Japanerin Sayaka Murata, der jetzt im Aufbau Verlag (160 Seiten, 18 Euro) erschienen ist und eine Außenseiterin zur traurigen Heldin macht. Die Schriftstellerin arbeitet selbst in einem „Convenience Store“, einem Gemischtwarenladen, und wurde 2016 für ihren Roman mit dem renommiertesten Literaturpreis Japans, dem Akutagawa-Preis, ausgezeichnet.
Keiko lebt für den Konbini, in dem ein starrer Verhaltenskodex herrscht und der Kunde tatsächlich noch König ist. Jeder wird mit einer Verbeugung und einem „Herzlich willkommen!“begrüßt. Ein Schulungsprogramm sorgt für den Drill. Dort lernt Keiko den passenden Gesichtsausdruck, das richtige Lächeln und angemessene Sprechen. Alles hat reibungslos abzulaufen, eine Schlange vor der Kasse ist ein Grund zur Panik.
Für Keiko bietet der Laden eine Lebensschablone, die sie nur zu gern ausfüllt. Doch für Familie und Freunde ist die Unverheiratete, die mit 36 noch immer als Aushilfe im Konbini jobbt, ein „Ladenhüter“: Norm nicht erfüllt. Als der junge Shirara als Aushilfe anfängt, scheint sich ein unerwarteter Ausweg anzubahnen.
Für ein Happy End reicht das allerdings nicht. Zu bissig ist die Satire auf die Absurditäten des modernen Alltags, der in seiner japanischen Ausprägung für Westeuropäer mitunter etwas befremdlich anmutet. Dennoch lohnt sich die Lektüre, nicht nur wegen Muratas sprachlicher Eleganz. Keikos Probleme wirken ebenso merkwürdig wie komisch, die Gepflogenheiten im Supermarkt-Kosmos exotisch.
Bei näherem Hinsehen aber ist das Fremdartige womöglich gar nicht so weit entfernt. Die eigene Existenz einzig und allein auf die Arbeit reduzieren? Eine beängstigende Vorstellung.