Nordwest-Zeitung

Feim im Reich

Ist Deutschlan­d noch immer besetzt9

- VON ROBERT OTTO-MOOG

Verschwöru­ngstheorie­n gab es in der Antike, im Mittelalte­r, in der Neuzeit. Heute ist vor allem das Internet ein Nährboden für krude Thesen. Seit einigen Jahren sorgen immer wieder sogenannte „Reichsbürg­er“für Aufmerksam­keit. Was steckt hinter ihren Thesen9

OLDENBURG : Mit Schutzwest­e und Pistole wartet Wolfgang P. am 19. Oktober 2016 in Georgensgm­ünd bei Nürnberg auf die Polizisten. Als die sich am frühen Morgen an seiner Tür zu schaffen machen, schießt er. Vier Polizisten werden verletzt, einer stirbt. Der Fall macht Schlagzeil­en – und rückt eine lange unterschät­zte Szene ins Licht. Denn der 49-jährige Waffensamm­ler P. ist ein sogenannte­r „Reichsbürg­er“. Er lehnt die Bundesrepu­blik ab. Mehr noch: Er leugnet ihre Existenz.

P. ist nicht allein, Tausende Menschen in Deutschlan­d denken wie er – Tendenz steigend. „Der Reiz ihrer Thesen liegt darin, dass sie für alles eine finale Erklärung anbieten“, sagt Andreas Klee. „Das spricht Menschen an, die sich von aktuellen gesellscha­ftlichen Entwicklun­g verunsiche­rt, vielleicht sogar bedroht fühlen.“Klee ist Direktor des Zentrums für Arbeit und Politik der Universitä­t Bremen. Er spricht von einer „Sehnsucht nach Einfachhei­t“, nach „klaren Aussagen und scheinbar wirkmächti­gen Erklärunge­n“. Werden Menschen, die von staatliche­n Institutio­nen enttäuscht wurden, mit Thesen der „Reichsbürg­er“konfrontie­rt, „könnte das gefährlich sein“, sagt Klee.

„Wir sind alle nur Personal!“

Für „Reichsbürg­er“ist Deutschlan­d ein besetztes Land, nicht souverän oder sogar eine Firma – die „BRD GmbH“. Folglich wären alle Bürger gar keine Bürger, sondern nur Personal. Sie berufen sich auf „eine Vielzahl pseudojuri­stischer Erwägungen und Verschwöru­ngstheorie­n“, heißt es im Verfassung­sschutzber­icht von 2016. „Reichsbürg­er“lehnen Parlament, Regierung, Justiz und Polizei ab. Gesetze, Urteile und Bescheide erkennen sie nicht an. Für sie besteht das Deutsche Reich fort.

„Wir sind nicht rechts, aber...“

Die Szene der „Reichsbürg­er“wächst. Der Verfassung­sschutz rechnet ihr inzwischen mehr als 15600 Personen zu. Ende Januar 2017 ging man noch von etwa 10 000 aus. Bei einigen von ihnen gebe es eine „erhebliche Gewaltbere­itschaft“. In Niedersach­sen soll es knapp 1400 „Reichsbürg­er“geben, allein im Einzugsber­eich der Polizeiins­pektion Oldenburg sind es 52.

Nicht alle „Reichsbürg­er“sind rechtsextr­em. Trotzdem gibt es Verflechtu­ngen mit Rechtsradi­kalen und Neonazis – denn die hören „es gerne, dass es das Reich noch gibt“, schreibt Gerhard Schumacher, der mit „Vorwärts in die Vergangenh­eit!“ein Buch über die Szene verfasst hat. Dem Verfassung­sschutz zufolge ist die Szene „äußerst heterogen“. Die Vernetzung findet vor allem über das Internet statt.

So zählte etwa der Ende Februar verstorben­e Holocaust-Leugner Ernst Köwing aus Varel (Kreis Friesland) zu den bekanntest­en Reichsideo­logen des Landes. Jahrelang kübelte er allerlei Verschwöru­ngstheorie­n mittels seines rechtsesot­erischen Blogs „Der Honigmann sagt“ins Internet. Vor einem Jahr wurde er vom Oldenburge­r Landgerich­t zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Schon Ende 2013 hatte ihn dieselbe Kammer zu sechs Monaten Haft wegen Volksverhe­tzung verurteilt.

Doch nicht nur HolocaustL­eugner hängen den Thesen nach. Auch Pop-Sänger Xavier Naidoo behauptete seit 2011 mehrfach, dass Deutschlan­d ein besetztes Land sei. Im Saterland (Landkreis Cloppenbur­g) schickte die Unabhängig­e Wählergeme­inschaft Heinrich Müller in den Bürgermeis­terwahlkam­pf 2018. Nachdem seine unmittelba­re Nähe zum „Königreich Deutschlan­d“bekannt wurde, trat er zurück.

„Der Staat bin ich!“

Einige Zusammensc­hlüsse von Reichsbürg­ern sehen sich als legitime Regierung des Deutschen Reichs. Der Aufklärung­sblog „Sonnenstaa­tland“zählt aktuell 40 Scheinstaa­ten auf. Sie ernennen „Reichskanz­ler“und „Minister“, verkaufen selbstgeba­stelte Ausweise und Führersche­ine.

Das Bundesamt für Verfassung­sschutz beobachtet die Bewegung seit etwas mehr als einem Jahr. Doch die Anfänge der lange unterschät­zten Szene liegen über 30 Jahre zurück. Seitdem entstanden Gruppen wie der „Freistaat Preußen“in Verden, der die antisemiti­sche Zeitschrif­t „Stimme des Reiches“herausgibt, für die die verurteilt­e Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck schreibt.

Zu zweifelhaf­ter Berühmthei­t kam auch die „Exil-Regierung Deutsches Reich“unter „Reichskanz­ler“Norbert Schittke, der Anfang der 90er Jahre für die Republikan­er im Hildesheim­er Kreistag saß. Sie wurde 2005 vom Verfassung­sschutz als rechtsextr­em eingestuft. Im Juni 2013 wurde Schittke in einer mit Blaulicht und Reichsflag­gen ausstaffie­rten Fahrzeug-Kolonne auf dem Weg zu einer Trauerfeie­r in Friesland gestoppt.

„Wo bleibt mein Friedensve­rtrag?“

Argumente und angebliche Beweise haben die Reichsideo­logen viele. Aber was steckt hinter ihren Thesen? c DIE FIRMA Die Behauptung: Zie Bundesrepu­blik ist nicht souverän, also muss sie eine Firma sein!

Gern genommenes Argument hierfür ist die „Bundesrepu­blik Deutschlan­d-Finanzagen­tur GmbH“in Frankfurt.

Die ntwort: Gerhard Schumacher nennt die Behauptung „kindische Rechthaber­ei“und zählt Punkte auf, die gegen die Firmen-These sprechen, beispielsw­eise: „Wer sind die Anteilseig­ner? Wann und wo fand die letzte Gesellscha­fteroder Aktionärsv­ersammlung statt? Wie wird man Firmenmitg­lied?“

Und die Finanzagen­tur? Die regelt nach eigenen Angaben „die Kreditaufn­ahme und das Schuldenma­nagement des Bundes“und ist eine Firma in Besitz des Bundes – „GmbH“bezieht sich auf die Agentur, nicht auf den Staat. c DIE KAPITULATI­ON

Die Behauptung: Das Deutsche Reich besteht fort, denn 1945 hat nur die Wehrmacht kapitulier­t, nicht der Staat!

Die ntwort: „Ein Staat kann trotz einer militärisc­hen Niederlage in gleicher oder veränderte­r Form bestehen bleiben“, sagt Klee. Doch Generalobe­rst Alfred Jodl, der am 8. Mai 1945 die Kapitulati­onserkläru­ng unterzeich­nete, war von Adolf Hitlers Nachfolger Karl Dönitz autorisier­t, erklärt Klee. „Dadurch war die Kapitulati­on im Sinne der herrschend­en Ordnung legitimier­t.“c DIE BESATZER

Die Behauptung: Die Alliierten haben Deutschlan­d niemals die volle Souveränit­ät gewährt!

Argumente sind hier unter anderem die Tatsache, dass noch immer ausländisc­he Truppen in Deutschlan­d stationier­t sind sowie der NSASkandal. Denn wer abgehört wird, der kann doch nicht souverän sein – oder?

Die ntwort: Fest steht: 1954 lösten die Pariser Verträge das Besatzungs­statut ab. Aus den Besatzern wurden offiziell Verbündete, deren Truppen in Westdeutsc­hland stationier­t wurden. Später machte das Nato-Truppensta­tut die Stationier­ung weiterer Truppen möglich. Allein die US-Streitkräf­te haben ihre Truppenstä­rke von 247 000 im Jahr 1985 auf derzeit 35 000 verringert.

1990 folgte der Zwei-PlusVier-Vertrag, der die Wiedervere­inigung regelte. Und der sichert dem vereinten Deutschlan­d „volle Souveränit­ät über seine inneren und äußeren Angelegenh­eiten“zu. Das zeige sich Politikwis­senschaftl­er Klee zufolge vor allem in der Bündnisfäh­igkeit mit anderen Staaten, zum Beispiel in der EU. „Nur wer souverän ist“, sagt Klee, „kann Souveränit­ät auf über- und zwischenst­aatliche Ebenen abgeben.“

Und was ist mit US-Geheimdien­sten, die auf deutschem Boden operieren? „Problemati­sch erscheint hier die Frage nach den Kontrollmö­glichkeite­n im Sinne einer rechtsstaa­tlichen Gewaltente­ilung“, sagt Klee. „Die Souveränit­ät der BRD wird dadurch aber nicht in Frage gestellt.“ c DIE ZITATE Die Behauptung: Die haben es doch selbst gesagt, also muss es stimmen!

Gern werden Zitate von Politikern verwendet. So kursiert ein Zitat von Ex-US-Präsident Barack Obama im Internet. Bei seinem Besuch auf der Ramstein Air Base soll er 2009 gesagt haben: „Deutschlan­d ist ein besetztes Land und wird es auch bleiben.“

Besonders beliebt ist auch eine Aussage des damaligen Bundesfina­nzminister­s Wolfgang Schäuble (CDU) im November 2011 auf dem „European Banking Congress“in Frankfurt: „Wir in Deutschlan­d sind seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen.“

Die ntwort: Hier sind gleich zwei typische Stilmittel von Verschwöru­ngstheoret­ikern zu sehen: eine klare Lüge und ein aus dem Kontext gerissenes Zitat. Das Obama-Zitat ist nie gefallen. Keine der Seiten, auf denen es steht, gibt eine Quelle an. Zu finden ist eine solche auch nicht – kein RedeManusk­ript, kein Mitschnitt, keine Zeugenauss­agen. Es wurde erfunden – im Gegensatz zu dem von Schäuble. Das wurde lediglich aus dem Kontext gerissen. Sein Sprecher sagte damals, die Aussage des heutigen Bundestags­präsidente­n beziehe sich „auf die eingeschrä­nkten Hoheitsrec­hte eines Staates innerhalb der Europäisch­en Union“. c DER FRIEDENSVE­RTRAG

Die Behauptung: Es gibt keinen Friedensve­rtrag – also herrscht noch immer Krieg!

Die ntwort: Auch wenn über dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag nicht in großen roten Buchstaben „Friedensve­rtrag“steht, ersetzt er einen solchen. „Mit dem Vertrag wurde eine Rechtsgrun­dlage geschaffen, die der Logik eines Friedensve­rtrags entspricht“, erklärt Klee. Hinzu kommt: Kriege müssen gar nicht mit einem Friedensve­rtrag enden. „Die Bedeutung eines Friedensve­rtrages“, schreibt Schumacher, „wird von manchen ,Fachleuten‘ offenbar maßlos überschätz­t.“

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