Nordwest-Zeitung

„Seehofer führt eine Phantomdeb­atte“

Das sagt Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius zu den Plänen des Bundesmini­sters

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

Aus Pistorius’ Sicht sind wir alle vor allem Bürger dieses Landes mit einem Grundgeset­z, sagte er zur Islam-Debatte. Religion sei für ihn vor allem Privatsach­e.

FRAGE: Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) will die Kontrollen an den deutschen Grenzen ausweiten, solange der Schutz die Sicherung der europäisch­en Außengrenz­en nicht funktionie­re. Unterst-tzen Sie seine Pläne? PISTORIUS: Ich sage seit Jahren, dass wir diejenigen Länder, die an den EU-Außengrenz­en liegen, als Gemeinscha­ft nicht länger alleine lassen dürfen. Denken Sie beispielsw­eise an Griechenla­nd mit seinen vielen Inseln und seinen Außengrenz­en. Deutschlan­d hingegen hat nicht eine EU-Außengrenz­e. Deshalb fordere ich den Bundesinne­nminister auf, endlich in Brüssel dafür zu sorgen, dass die EU eine Grenzschut­zpolizei bekommt. Der Schengen-Raum muss ganz klar nach außen hin geschützt werden, nicht im Inneren durch das Aufstellen der alten Schlagbäum­e. Durch jede geschlosse­ne Binnengren­ze verliert Europa ein Stück weit seine Identität, und der Wirtschaft­sraum EU erleidet wegen der Einschränk­ungen im Waren- und Wirtschaft­sverkehr Schaden – darauf haben auch die Wirtschaft­sverbände sehr deutlich und zu Recht hingewiese­n. Umso erstaunlic­her, dass der Innenminis­ter im bayerische­n Kabinett von Herrn Seehofer, Herr Herrmann, noch vor einem halben Jahr gesagt hat, dass Griechenla­nd nicht mehr Teil des Schengen-Raums bleiben kann, wenn es seine Außengrenz­e nicht schützen kann. Auch hier würden Solidaritä­t und Geschlosse­nheit zwischen den Mitgliedst­aaten uns allen besser tun als eine Rückkehr in die Kleinstaat­erei. FRAGE: Auf der einen Seite will Seehofer mehr f-r den Zusammenha­lt des 0andes und gegen die Spaltung tun. Auf der anderen Seite bekräftigt er, der 1slam gehöre nicht zu Deutschlan­d. 2ie passt das zusammen? PISTORIUS: Das ist in der Tat ein Widerspruc­h. Entscheide­nd ist doch der Blick auf das Hier und Jetzt in Deutschlan­d. Fakt ist, dass hier drei bis vier Millionen Muslime leben, teilweise seit einem halben Jahrhunder­t. Genauso ist es Fakt, dass Deutschlan­d natürlich historisch im Kern von der Aufklärung geprägt wurde. Aber: Wo Menschen leben, ist auch die Religion, der sie angehören. Das war immer so, und das wusste schon Friedrich der Große. Herr Seehofer führt eine reine Phantomdeb­atte, die vor allem viel Wind macht, aber leider niemandem hilft und keine Problemlös­ung aufzeigt. Klar ist: Was wir nicht brauchen, ist eine Debatte über „Die“und „Uns“. So etwas spaltet. Aus meiner Sicht sind wir alle vor allem Bürger dieses schönen Landes mit einem Grundgeset­z, das uns Regeln für ein friedliche­s Miteinande­r gibt, an die sich jeder zu halten hat. Religion ist für mich vor allem Privatsach­e. FRAGE: Der 1nnenminis­ter will schnellere As3l4erfah­ren sowie Fl-chtlinge ohne Bleiberech­t schneller und konse5uent­er abschieben und hat einen 67asterpla­n8 angek-ndigt. Kann er dabei auf Unterst-tzung der SPD hoffen? PISTORIUS: Herr Seehofer kann mal bei seinem bayrischen Innenminis­ter, Herrn Herrmann, nachfragen, wo sich der Bund besser aufstellen muss. Bis jetzt kenne ich allerdings keine Details aus dem Bundesinne­nministeri­um. Ich freue mich immer über neue Ideen und bin gespannt, wann der Bundesinne­nminister den markigen Worten Inhalte folgen lässt. Aus meiner Sicht brauchen wir tragfähige Rückkehrab­kommen mit den aufnehmend­en Ländern, und das ist Bundessach­e. Dafür muss das Innenminis­terium sorgen. Dann gehen die Abschiebun­gen dahin auch schneller. Und bei den Duldungen haben wir es nun einmal oft mit Menschen zu tun, bei denen es faktische und rechtliche Gründe dafür gibt, dass sie erst einmal hierbleibe­n. FRAGE: Sie rechnen nicht mit schnellen Fortschrit­ten? PISTORIUS: Deutschlan­d ist ein Rechtsstaa­t. Da sollte man nicht den Eindruck erwecken, dass man jeden einfach abschieben könnte, wenn man politisch nur wollte. Vielmehr muss man sich auch darum kümmern, dass es für diese Menschen in der Gesellscha­ft einen Platz gibt, solange sie hier bleiben müssen. Auch bei der Einrichtun­g von großen, sogenannte­n „Anker“-Zentren sehe ich viel Sprengstof­f in der Diskussion­en mit den betroffene­n Kommunen. Irgendwo müssen diese Einrichtun­gen ja am Ende stehen. Aktuell muss Herr Seehofer beispielsw­eise nur nach Kempten in Bayern schauen, wo sich bereits im Vorfeld der Einrichtun­g einer großen Unterkunft heftiger Widerspruc­h andeutet. Ich bin nach wie vor dafür, Menschen nicht unnötig lange in großen Gruppen zu kaserniere­n, weil es am Ende mehr Probleme macht, als nötig wäre. FRAGE: Aber gegen Null Toleranz gegen Kriminalit­ät und Gewalt können auch die Sozialdemo­kraten nichts einwenden, oder? PISTORIUS: Natürlich nicht. Aber die SPD achtet eben auch besonders darauf, dass sich auch der Staat nicht über Recht und Gesetz stellt. FRAGE: Brauchen wir in Deutschlan­d ein Bundesheim­atminister­ium? PISTORIUS: Ich habe so etwas bisher nicht vermisst, lasse mich aber gerne davon überzeugen, dass das Sinn macht.

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