„Seehofer führt eine Phantomdebatte“
Das sagt Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius zu den Plänen des Bundesministers
Aus Pistorius’ Sicht sind wir alle vor allem Bürger dieses Landes mit einem Grundgesetz, sagte er zur Islam-Debatte. Religion sei für ihn vor allem Privatsache.
FRAGE: Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will die Kontrollen an den deutschen Grenzen ausweiten, solange der Schutz die Sicherung der europäischen Außengrenzen nicht funktioniere. Unterst-tzen Sie seine Pläne? PISTORIUS: Ich sage seit Jahren, dass wir diejenigen Länder, die an den EU-Außengrenzen liegen, als Gemeinschaft nicht länger alleine lassen dürfen. Denken Sie beispielsweise an Griechenland mit seinen vielen Inseln und seinen Außengrenzen. Deutschland hingegen hat nicht eine EU-Außengrenze. Deshalb fordere ich den Bundesinnenminister auf, endlich in Brüssel dafür zu sorgen, dass die EU eine Grenzschutzpolizei bekommt. Der Schengen-Raum muss ganz klar nach außen hin geschützt werden, nicht im Inneren durch das Aufstellen der alten Schlagbäume. Durch jede geschlossene Binnengrenze verliert Europa ein Stück weit seine Identität, und der Wirtschaftsraum EU erleidet wegen der Einschränkungen im Waren- und Wirtschaftsverkehr Schaden – darauf haben auch die Wirtschaftsverbände sehr deutlich und zu Recht hingewiesen. Umso erstaunlicher, dass der Innenminister im bayerischen Kabinett von Herrn Seehofer, Herr Herrmann, noch vor einem halben Jahr gesagt hat, dass Griechenland nicht mehr Teil des Schengen-Raums bleiben kann, wenn es seine Außengrenze nicht schützen kann. Auch hier würden Solidarität und Geschlossenheit zwischen den Mitgliedstaaten uns allen besser tun als eine Rückkehr in die Kleinstaaterei. FRAGE: Auf der einen Seite will Seehofer mehr f-r den Zusammenhalt des 0andes und gegen die Spaltung tun. Auf der anderen Seite bekräftigt er, der 1slam gehöre nicht zu Deutschland. 2ie passt das zusammen? PISTORIUS: Das ist in der Tat ein Widerspruch. Entscheidend ist doch der Blick auf das Hier und Jetzt in Deutschland. Fakt ist, dass hier drei bis vier Millionen Muslime leben, teilweise seit einem halben Jahrhundert. Genauso ist es Fakt, dass Deutschland natürlich historisch im Kern von der Aufklärung geprägt wurde. Aber: Wo Menschen leben, ist auch die Religion, der sie angehören. Das war immer so, und das wusste schon Friedrich der Große. Herr Seehofer führt eine reine Phantomdebatte, die vor allem viel Wind macht, aber leider niemandem hilft und keine Problemlösung aufzeigt. Klar ist: Was wir nicht brauchen, ist eine Debatte über „Die“und „Uns“. So etwas spaltet. Aus meiner Sicht sind wir alle vor allem Bürger dieses schönen Landes mit einem Grundgesetz, das uns Regeln für ein friedliches Miteinander gibt, an die sich jeder zu halten hat. Religion ist für mich vor allem Privatsache. FRAGE: Der 1nnenminister will schnellere As3l4erfahren sowie Fl-chtlinge ohne Bleiberecht schneller und konse5uenter abschieben und hat einen 67asterplan8 angek-ndigt. Kann er dabei auf Unterst-tzung der SPD hoffen? PISTORIUS: Herr Seehofer kann mal bei seinem bayrischen Innenminister, Herrn Herrmann, nachfragen, wo sich der Bund besser aufstellen muss. Bis jetzt kenne ich allerdings keine Details aus dem Bundesinnenministerium. Ich freue mich immer über neue Ideen und bin gespannt, wann der Bundesinnenminister den markigen Worten Inhalte folgen lässt. Aus meiner Sicht brauchen wir tragfähige Rückkehrabkommen mit den aufnehmenden Ländern, und das ist Bundessache. Dafür muss das Innenministerium sorgen. Dann gehen die Abschiebungen dahin auch schneller. Und bei den Duldungen haben wir es nun einmal oft mit Menschen zu tun, bei denen es faktische und rechtliche Gründe dafür gibt, dass sie erst einmal hierbleiben. FRAGE: Sie rechnen nicht mit schnellen Fortschritten? PISTORIUS: Deutschland ist ein Rechtsstaat. Da sollte man nicht den Eindruck erwecken, dass man jeden einfach abschieben könnte, wenn man politisch nur wollte. Vielmehr muss man sich auch darum kümmern, dass es für diese Menschen in der Gesellschaft einen Platz gibt, solange sie hier bleiben müssen. Auch bei der Einrichtung von großen, sogenannten „Anker“-Zentren sehe ich viel Sprengstoff in der Diskussionen mit den betroffenen Kommunen. Irgendwo müssen diese Einrichtungen ja am Ende stehen. Aktuell muss Herr Seehofer beispielsweise nur nach Kempten in Bayern schauen, wo sich bereits im Vorfeld der Einrichtung einer großen Unterkunft heftiger Widerspruch andeutet. Ich bin nach wie vor dafür, Menschen nicht unnötig lange in großen Gruppen zu kasernieren, weil es am Ende mehr Probleme macht, als nötig wäre. FRAGE: Aber gegen Null Toleranz gegen Kriminalität und Gewalt können auch die Sozialdemokraten nichts einwenden, oder? PISTORIUS: Natürlich nicht. Aber die SPD achtet eben auch besonders darauf, dass sich auch der Staat nicht über Recht und Gesetz stellt. FRAGE: Brauchen wir in Deutschland ein Bundesheimatministerium? PISTORIUS: Ich habe so etwas bisher nicht vermisst, lasse mich aber gerne davon überzeugen, dass das Sinn macht.