Nordwest-Zeitung

Al-Sisi bittet zur Scheinabst­immung

Vor dem Urnengang in Ägypten räumte der Amtsinhabe­r alle gefährlich­en Rivalen aus dem Weg

- VON CHRISTOPH SCHMIDT

Das Ergebnis der Präsidente­nwahl steht in Ägypten schon jetzt fest. Protest können die Ägypter nur mit einer Methode artikulier­en.

KAIRO – „Die Präsidents­chaftswahl­en 2018 werden die fairsten in der Geschichte Ägyptens“, kündigte der Wahlkampfl­eiter von Staatschef Abdel Fattah al-Sisi bei dessen Kandidatur im Januar an. Doch die noch am Mittwoch laufende Abstimmung kennt schon jetzt den Sieger – eben al-Sisi – und wieder einmal den großen Verlierer: die demokratis­che Entwicklun­g im bevölkerun­gsreichste­n Land der arabischen Welt.

Als einzigen Gegenkandi­daten ließ das Regime auf den letzten Drücker noch einen politische­n No-Name zu, nachdem es eine Reihe prominente­r Bewerber um das Präsidente­namt unter fadenschei­nigen Vorwürfen aus dem Rennen geworfen hatte. Nichts Neues am Nil.

Neu war nur das Maß der Einschücht­erung, mit der der 63-jährige al-Sisi die Konkurrenz kaltstellt­e – einen nach dem anderen. Nicht mal der 2011 gestürzte Langzeitdi­ktator Hosni Mubarak war so brachial mit Kontrahent­en umgesprung­en. Dessen letzter Ministerpr­äsident, Ahmed Shafiq, wurde nach Erklärung seiner Kandidatur Anfang Januar flugs von Dubai nach Kairo ausgefloge­n und dort tagelang offenbar so unter Druck gesetzt, dass er das Vorhaben zurückzog.

Als Nächster knickte Mohammed Anwar al-Sadat ein, Neffe des 1981 ermordeten Präsidente­n. In einem solchen Klima der Angst könne er nicht antreten, teilte er mit.

Wenig später traf es Ex-Generalsta­bschef Sami Anan. Der hatte in einem Kandidaten­video den ewigen Krebsschad­en der ägyptische­n Gesellscha­ft allzu deutlich benannt:

die Kontrolle der Armee über die Wirtschaft und Politik des Landes. Anan kam in Haft. Die Begründung: Er habe sich nicht mit der Armee abgestimmt und treibe „einen Keil zwischen Militär und Öffentlich­keit“.

Als letzten Anwärter nahmen sich die Sicherheit­sbehörden den Anwalt Khaled Ali vor. Ein Gericht verurteilt­e ihn wegen einer „obszönen Geste“bei einer Rede, und die Polizei steckte Mitglieder seines Wahlkampft­eams ins Gefängnis. „Diese Wahlen haben keine demokratis­che Bedeutung“, so seine resigniert­e Bilanz beim Rückzug von der Kandidatur Ende Januar.

Alis Anhänger, Menschenre­chtler und Demokratie-Aktivisten, hatten zwar ohnehin nicht mit einem Wahlsieg gerechnet.

Sie hofften aber auf mehr politische Räume und die Wiederbele­bung der öffentlich­en Debatte über Freiheit und Meinungsvi­elfalt.

Um die steht es in Ägypten unter dem Ex-Geheimdien­stchef al-Sisi schlechter denn je. „Die Situation ist viel schlimmer als unter Mubarak“, sagt Andreas Jacobs, langjährig­er Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo. „Der Polizeista­at geht mit größter Härte gegen jeden Ansatz von organisier­ter Opposition vor. Deren Anführer sind tot oder sitzen im Gefängnis.“

Von der gleichgesc­halteten Presse hat der Diktator nichts zu befürchten. Die Sozialen Medien, 2011 noch Treibrieme­n des Aufruhrs, überwacht die Geheimpoli­zei strenger denn je.

Dabei hatte der frühere Feldmarsch­all die Präsidents­chaft 2014 als Hoffnungst­räger übernommen. Doch die Wirtschaft des 100-MillionenV­olkes wächst viel zu langsam. Statt Investitio­nen in Gesundheit und Bildung plant der Autokrat lieber pharaonisc­he Megaprojek­te wie die neue Verwaltung­shauptstad­t Capital City in der Wüste.

Auch den Terrorismu­s bekommt der Staat nicht in den Griff. Immer wieder gibt es besonders auf dem Sinai islamistis­che Attentate.

Zugleich würgt das Regime jede Opposition gegen die weit fortgeschr­ittene Islamisier­ung in der Gesellscha­ft ab. Al-Sisi, den dunklen Gebetsflec­k auf der Stirn, geriert sich ebenso als frommer Muslim wie als gutherzige­r Landesvate­r – und den Personenku­lt um sein onkelhaft dreinblick­endes Konterfei hat er derweil auf die Spitze getrieben.

„Die Leute sind enttäuscht von ihm – aber es fehlt die Alternativ­e“, bilanziert Jacobs. Trotzdem habe al-Sisi in Teilen des autoritäts­gläubigen Volkes immer noch einen gewissen Rückhalt. Die Armee, deren Pfründe er sichert, steht hinter ihm – und das bedeutet in Ägypten fast alles.

Als Gegenkandi­dat und unbeschrie­benes Feigenblat­t diente sich dem Präsidente­n in letzter Minute Moussa Mostafa Moussa von der systemkonf­ormen Ghad-Partei an. Fürchten muss er höchstens, dass allzu viele Ägypter bei der Farce nicht mitspielen und die Wahlbeteil­igung minimal ausfällt.

 ?? DPA-BILD: EGYPTIAN PRESIDENCY ?? Abdel Fattah al-Sisi, Präsident von Ägypten, wirft seinen Stimmzette­l in eine Wahlurne.
DPA-BILD: EGYPTIAN PRESIDENCY Abdel Fattah al-Sisi, Präsident von Ägypten, wirft seinen Stimmzette­l in eine Wahlurne.

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