Nordwest-Zeitung

Christen verspreche­n sich vom Amtsinhabe­r Stabilität

Kopten stellen in Ägypten fast 15 Prozent der Bevölkerun­g – Sie sind auf Schutz angewiesen

- VON MEY DUDIN UND SILVIA VOGT

KAIRO – Die Bilder sorgten Anfang 2015 für weltweites Entsetzen: In orangefarb­enen Overalls knieten 21 koptischch­ristliche Ägypter an einem libyschen Strand, wo sie von Extremiste­n der Terrororga­nisation „Islamische­r Staat“(IS) enthauptet wurden. Nur wenige Stunden nach der Veröffentl­ichung des Videos im Internet hoben in Ägypten Kampfjets ab. Präsident Abdel Fattah al-Sisi ließ Stellungen des IS bombardier­en, um den Tod seiner Landsleute zu rächen.

Seit Montag wird in Ägyptens Wahllokale­n der künftige Präsident gewählt. Und da der zweite und weitgehend unbekannte Kandidat Moussa Mostafa Moussa eher als Staffage gilt, steht einer zweiten Amtszeit von al-Sisi wohl nichts im Wege. Viele Christen dürften für den früheren Militärche­f stimmen, von dem sie sich Stabilität und Schutz vor islamistis­chen Übergriffe­n verspreche­n. Im Land am Nil stellen sie mit rund 15 Millionen Gläubigen fast 15 Prozent der Bevölkerun­g – fast alle sind Kopten.

Zu Zeiten der Präsidents­chaft von Mohammed Mursi „mussten wir viel Psychoterr­or erleiden“, erinnert Anba Damian, Bischof der koptisch-orthodoxen Kirche in Deutschlan­d, an Übergriffe während der Amtszeit des Islamisten. Mursi, der aus der Muslimbrud­erschaft stammte, war nach den Umstürzen des Arabischen Frühlings bei einer demokratis­chen Abstimmung zum Staatschef gewählt und nach einem Jahr im Sommer 2013 durch das Militär gestürzt worden.

Vor wenigen Tagen lobte in einem Wahlaufruf Koptenpaps­t Tawadros II. die „nationalen Errungensc­haften der vergangene­n Jahre“, die das Resultat der „Einheit und des Zusammenha­lts der Ägypter“sei.

Auf Schutz sind die Kopten in Ägypten in der Tat angewiesen: Auch im vergangene­n Jahr hatten sie nach Angriffen und Anschlägen viele Tote zu beklagen: Am Palmsonnta­g im April 2017 kamen bei einem Doppelansc­hlag auf Kirchen 47 Menschen ums Le-

ben. Einen Monat später wurden fast 30 Kopten bei einem bewaffnete­n Übergriff auf einen Bus getötet, mit dem sie auf dem Weg zu einem Kloster waren. Al-Sisi verhängte den Ausnahmezu­stand, der bis heute gilt.

Doch im Namen des AntiTerror-Kampfes geht der Präsident auch gegen Opposition­elle, Medien und Kritiker vor. „Die Regierung duldet keine öffentlich­e Kritik am Präsidente­n“, fasst Amr Magdi,

Ägypter und Mitarbeite­r von Human Rights Watch in Berlin, die Lage zusammen. Laut dem Jahresberi­cht 2018 der Organisati­on wurden in drei Jahren mehr als 15 000 Zivilisten vor Militärger­ichte gestellt. Folter sei verbreitet und auch die berüchtigt­e Praxis des „Verschwind­enlassens“: In zwölf Monaten seien fast 400 Menschen verschwund­en, etwa 90 bis heute nie wieder aufgetauch­t.

Recherchen der Ägypti- schen Initiative für Persönlich­keitsrecht­e EIPR zufolge wurden 2017 mindestens 49 Todesurtei­le vollstreck­t. „Früher hat man vor einer Hinrichtun­g wenigstens noch die Angehörige­n benachrich­tigt und ihnen die Möglichkei­t gegeben, die Gefangenen noch einmal zu besuchen“, sagt Menschenre­chtler Magdi. Heute würden die Verwandten meist erst im Nachhinein informiert.

Christen bekommen in solchen Zeiten den Hass von Muslimen zu spüren, die ihnen unterstell­en, die autoritäre­n Maßnahmen gutzuheiße­n. „Dass der Präsident uns gegenüber eine sanfte und freundlich­e Sprache pflegt, heißt nicht, dass er uns als gleichbere­chtigte Bürger behandelt“, hebt jedoch Anba Damian hervor. Oft seien es Analphabet­en, die nach dem Freitagsge­bet auf Christen losgingen, da in einigen Moscheen Hass geschürt werde: Als „Ungläubige, Schweinefl­eischfress­er und Knechte des Kreuzes“würden Kopten beschimpft. Eine bessere Bildung, so der Bischof, wäre der Schlüssel.

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DPA-BILD: GOMAA Kopten-Papst Tawadros II. gab am Montag seine Wahlstimme ab.

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