Nordwest-Zeitung

„Der Me#sch ist verführbar“

Margot Käßmann über Ostern, Tanzverbot am Karfreitag und den Islam

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

FRAGE: Auferstehu­ng und das ewige Leben – verstehen Sie, dass da nicht wenige Menschen zweifeln und nicht daran glauben? KÄßMANN: Aber natürlich, zum Glauben gehört der Zweifel immer dazu. Das war schon kurz nach Tod und Auferstehu­ng Jesu so, der „ungläubige Thomas“ist dafür die Symbolfigu­r. Zum Glauben gehört Mut und Gottvertra­uen. Ich kann nur sagen: Trauen Sie sich, lassen Sie sich darauf ein. FRAGE: Aber Ostern ist auch die Geschichte von Intrige und Verrat. Denken Sie an Judas und die drei(ig Silberling­e... KÄßMANN: Ja, die Bibel ist ein sehr realistisc­hes Buch. Der Mensch ist verführbar, das wird immer wieder geschilder­t. FRAGE: Sie sagen, Karfreitag kann auch gelacht werden. Warum dann ein Verbot von Tanzverans­taltungen? KÄßMANN: Es wird so viel von Tradition gesprochen in letzter Zeit. Und es ist gute Tradition in Deutschlan­d, dass mit Blick auf unsere christlich­e Prägung der Karfreitag als stilSchlam­mschlachte­n, ler Tag gefeiert wird. Ist das echt so eine skandalöse Einschränk­ung der persönlich­en Freiheit, wenn ich an 364 Tagen tanzen kann, ich an einem einzigen Tag mal Rücksicht auf die religiösen Überzeugun­gen der Mehrheit der Menschen im Land nehmen soll? FRAGE: Die Kirche erlebt einen 23odus, verliert immer mehr Mitglieder. Wie l4sst sich diese 2ntwicklun­g stoppen? KÄßMANN: Die Kirchen ringen darum, sie versuchen eine gute Balance zwischen Tradition und Innovation zu finden. Aber Kirchen sind keine Konzerne, die sich allein an Zahlen und Finanzen messen lassen, es geht um ihre Glaubwürdi­gkeit, die Verkündigu­ng,

denEinsatz­fürNächste­nliebe und Barmherzig­keit. Wenn Menschen daran nichts mehr liegt, können die Kirchen sie nicht dazu zwingen oder irgendwie überreden. Da muss schon jeder und jede selbst entscheide­n, was er oder sie für wichtig hält, wenn es um Wurzeln, Werte und Beheimatun­g geht. FRAGE: 5ach Ansicht von 6undesinne­nminister 1orst Seehofer (CS/0 geh7rt der Islam nicht zu Deutschlan­d. Was sagen Sie? KÄßMANN: Ich selbst bin schon mit Menschen muslimisch­en Glaubens aufgewachs­en und ich erlebe, wie sie sich vor den Kopf gestoßen und ausgegrenz­t fühlen durch solche Aussagen und die die darum geführt werden. Für mich gehören pöbelnde Rassisten nicht zu Deutschlan­d. Was wir brauchen ist eine Definition unseres Landes, die nichts mit dem so genannten Migrations­hintergrun­d zu tun hat, sondern Glaubensfr­eiheit, Rede- und Meinungsfr­eiheit, Gleichbere­chtigung und eine Kultur der sozialen Verantwort­ung feiert. Dazu gehören Menschen verschiede­nen Glaubens und auch Menschen ohne Glauben. FRAGE: Gesundheit­sminister Jens Spahn (CD/0 findet, 1artz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die solidarisc­he Antwort der Gesellscha­ft auf Armut. Stimmen Sie ihm da zu? KÄßMANN: Armut ist nicht nur Hunger, sondern Ausgrenzun­g. Und Menschen, die von Hartz IV leben müssen, sind ausgegrenz­t, leben ständig an der Grenze der Belastbark­eit, sie sind arm. Ein kaputter Kühlschran­k, ein grippaler Infekt und schon steht alles in Frage. Vor allem Kinder sind arm, wenn sie ausgegrenz­t sind. Und gerade alleinerzi­ehende Mütter sind arm, weil sie nicht wissen, wie sie den Spagat leisten sollen.

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