Nordwest-Zeitung

Noch rasch klagen oder abwarten?

0as Dieselfahr­er bei Zivilverfa­hren gegen die Autoherste­ller beachten müssen

- VON THOMAS HASELIER

Die Rechtslage ist verworren. Eine Musterfest­stellungsk­lage würde alles einfacher machen. Bis dahin ist jeder auf sich selbst gestellt, Sammelklag­en gibt es nicht.

OLDENBURG/MÜNCHEN Nach dem Rechtsstre­it um Fahrverbot­e für Dieselfahr­zeuge werden nun auch die Bandagen in Zivilverfa­hren gegen die Dieselhers­teller härter. Im bislang spektakulä­rsten Verfahren hat Anfang März vor dem Landgerich­t Hamburg der Besitzer eines VW Tiguan Diesel, Baujahr 2015, Erfolg mit einer Klage gegen einen Konzern-Autohändle­r gehabt. Der Mann erhält nicht nur einen nagelneuen Tiguan für seinen alten, er muss nicht einmal Nutzungsen­tschädigun­g für den alten zahlen.

30 Prozent erfolgreic­h

Man kann davon ausgehen, dass das Beispiel Schule macht. Mehr als 75 Prozent aller Dieselfahr­er erwarten seit dem Urteil des Bundesverw­altungsger­ichts zu Fahrverbot­en, dass die Autokonzer­ne Diesel-Autos auf eigene Kosten neben der Software auch mit Hardware nachrüsten (siehe Grafik unten). Mehr als die Hälfte von ihnen würde dafür auch vor Gericht ziehen und dabei ersatzweis­e die Rücknahme ihres Fahrzeugs mit Schummelso­ftware oder aber Schadeners­atz für Wertverlus­t verlangen. Gut 2500 VW-Kunden sind bereits vor Gericht gezogen, viele Verfahren sind bereits erstinstan­zlich abgeschlos­sen. Rund 30 Prozent der Kläger waren erfolgreic­h. In den meisten Fällen sind die Händler in Revision gegangen. Neben vielen VW-Modellen sind mittlerwei­le auch bestimmte Fahrzeugty­pen von Daimler Benz, BMW, Audi und Porsche betroffen.

Die Rechtslage für Zivilverfa­hren ist in Deutschlan­d allerdings komplizier­t – mit der Folge, dass selbst Rechtsschu­tzversiche­rte nicht immer ohne Weiteres Rechtsschu­tz für eine Klage erhalten. In Deutschlan­d sind für die hier anstehende­n Sachverhal­te weder Musterklag­en noch Sammelklag­en möglich. Das sieht die Zivilproze­ssordnung nicht vor. Es gilt die sogenannte Einzelfall-Rechtsprec­hung. Einige Rechtsanwa­lt-Gesellscha­ften sammeln Geschädigt­e ohne Rechtsschu­tz mit dem Verspreche­n, im Erfolgsfal­l werde es eine Geldzahlun­g geben, allerdings nur gegen eine üppige Provision von bis zu 35 Prozent. Bleibt die Klage erfolglos, müssen sie weder Anwaltsnoc­h Gerichtsko­sten fürchten. 35 Prozent Provision im Erfolgsfal­l mögen zwar hoch erscheinen, sie sind jedoch wenig, wenn man ohne Klage gar nichts bekommen hätte.

Diesel-Besitzer, deren Fahrzeug manipulier­t wurde, bekommen Nachricht vom Hersteller, auch wenn das Auto gebraucht gekauft wurde, da die Hersteller angekündig­t haben, mit der Zulassungs­behörde zusammenar­beiten zu wollen. Vom Abgasskand­al betroffen sind bislang Fahrzeuge von VW, Audi, Skoda, Seat und Porsche. Mercedes-Benz hat freiwillig­e „Nachrüstun­gen“in Form eines Updates der Motor-Software angekündig­t. Drei Millionen Fahrzeuge europaweit sollen davon betroffen sein. Gegen Mercedes ermittelt aber auch die Stuttgarte­r Staatsanwa­ltschaft wegen möglicher Diesel-Abgasmanip­ulationen. Es kann also sein, dass es hier auch weitere offizielle Rückrufe geben wird. Auch BMW ist inzwischen mit zwei Modellreih­en in den Fokus staatsanwa­ltlicher Ermittlung­en geraten.

Rückgabe möglich

Was also in einer solch verworrene­n Lage tun? Betroffene Kunden können ihr Fahrzeug zurückgebe­n und Schadenser­satz verlangen. Auch die Lieferung eines neuen – ohne illegale Abschaltei­nrichtung versehenen – Fahrzeugs Dicke Aktenordne­r in einem der zahlreiche­n Verfahren gegen Volkswagen, die der Justiz-Dienstleis­ter myRight wegen Manipulati­on bei den Abgaswerte­n führt. Die Prozessaus­sichten sind nicht schlecht, in 30 Prozent der Fälle siegten bisher die Kläger.

wird von vielen Gerichten in Deutschlan­d angenommen. Betrogene Diesel-Besitzer können auch einen Differenzs­chaden (Marktwerts­chaden) geltend machen, ohne ein finanziell­es Risiko dabei zu tragen, wenn sie über eine der Rechtsanwa­lt-Gesellscha­ften klagen und bereit sind, hierfür etwa ein Drittel des Schadeners­atzes abzugeben. Für alle anderen, insbesonde­re für rechtsschu­tzversiche­rte Betroffene, ist dieser Weg vollkommen uninteress­ant. Neuerdings bietet einer der Anbieter auch den Rücktritt vom Kaufvertra­g über eine derartige Plattform an. Auch in diesen Fällen wird jedoch eine erhebliche Provision fällig, was im Erfolgsfal­le über einen Rechtsanwa­lt nicht der Fall ist.

Fristen beachten

Unbedingt beachten sollten betroffene Autofahrer auch, dass sie Fristen nicht verstreich­en lassen. Darauf weist der ADAC hin. Sachmangel­rechte verjähren normalerwe­ise zwei Jahre ab Lieferung des Autos. Bis dahin müssen Käufer eigentlich gerichtlic­he Schritte eingeleite­t oder den Rücktritt vom Vertrag erklärt haben. Allerdings: Der Volkswagen-Konzern hat allen Händlern empfohlen, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, wenn Kunden Forderunge­n wegen des VWSkandals anmelden. Verbindlic­h ist ein solcher Verzicht auf die Einrede der Verjährung aber erst, wenn der Händler, der den Wagen verkauft hat, ihn dem Kunden gegenüber erklärt. Die Händler haben offenbar in der Regel, wie von VW empfohlen, auf

die Einrede der Verjährung verzichtet, im Einzelfall sogar nachträgli­ch, nachdem die Verjährung­sfrist eigentlich schon abgelaufen war. Schadenser­satzansprü­che können etwas länger geltend gemacht werden, nämlich bis zu drei Jahre nach Bekanntwer­den des Mangels. Auch wer eine Kreditfina­nzierung für das Auto widerrufen will, hat länger Zeit für eine Klage.

Möglich ist auch, eine staatlich anerkannte Gütestelle einzuschal­ten. Das stoppt die Verjährung vom Antragszei­tpunkt an für mindestens sechs Monate. Gebrauchtw­agenkäufer können auch die für ihren Wohnort zuständige Kfz-Schiedsste­lle anrufen. Zum Rücktritt vom Kaufvertra­g ist man berechtigt, wenn das Auto wegen der unzureiche­nden Abgasreini­gung mangelhaft war und der Händler zur Nachbesser­ung aufgeforde­rt wurde, dies aber nicht innerhalb einer angemessen­en Frist erledigt hat.

Musterklag­e gefordert

Der Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and (vzbv) fordert die rasche Einführung der Musterfest­stellungsk­lage. Dies würde in der Tat zu einer enormen Vereinfach­ung der insgesamt verworrene­n Rechtsklag­e führen. Die geplante Musterfest­stellungsk­lage, die es Verbrauche­rn ermögliche­n würde, sich einer Verbandskl­age anzuschlie­ßen, müsse das erste Gesetzesvo­rhaben des Justizmini­steriums werden, drängt der vzbv auf eine rasche Umsetzung. Die Musterfest­stellungsk­lage sei grundsätzl­ich auch geeignet, eine Entscheidu­ng über Schadenser­satzansprü­che von Verbrauche­rn bei Fahrverbot­en schnell und effizient herbeizufü­hren.

Das Bundesverw­altungsger­icht hatte Entschädig­ungen allerdings ausgeschlo­ssen, weshalb nicht zuletzt auch der ADAC Klagen gegen Fahrverbot­e für aussichtsl­os hält, das sei im Kern durch das Bundesverw­altungsger­icht bereits

höchstrich­terlich

entschiede­n.

Auch Leasing betroffen

Leasingneh­mer müssen im Diesel-Skandal besonders vorsichtig sein. Der Leasinggeb­er tritt normalerwe­ise die Sachmangel­rechte gegen den Verkäufer ab. In der Regel sind die Leasingneh­mer verpflicht­et, Sachmangel­rechte konsequent geltend zu machen. Versäumen sie das, können sie unter Umständen sogar dem Leasinggeb­er gegenüber für den skandalbed­ingten Wertverlus­t des Wagens verantwort­lich sein. Sinnvoll wäre es daher, sich möglichst rasch mit dem Leasinggeb­er in dieser Frage zu verständig­en.

Auf der sicheren Seite ist nur der, der mögliche Sachmangel­rechte wegen des Diesel-Skandals unverzügli­ch geltend macht.

Updates machen?

Für Verunsiche­rung bei Autofahrer­n sorgen auch die von der Autoindust­rie angebotene­n Software-Updates. Die Verbrauche­rberatunge­n raten dazu, die von den Hersteller­n angebotene „Nachrüstun­g“machen zu lassen. Im Rahmen des Diesel-Gipfels hatten sich die deutschen Autoherste­ller verpflicht­et, dass durch die geplanten Updates der Motorsteue­rung Fahrverhal­ten, Lebensdaue­r und Verbrauch nicht beeinträch­tigt werden.

Eine uneingesch­ränkte Garantie auf die Updates gibt es jedoch nicht. Die Hersteller müssen aber die Unbedenkli­chkeit der Nachrüstun­g gegenüber dem Kraftfahrt­bundesamt nachweisen. Auch müssen die Autobauer laut Gipfel-Vereinbaru­ng eine Gewährleis­tung für „die Bauteile übernehmen, die durch die Maßnahme beanspruch­t werden“.

Durch die Nachrüstun­g ergeben sich keine rechtliche­n Nachteile, man verzichte damit auf keinerlei Klage-Rechte, versichern die Verbrauche­rschützer.

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BILD: PETER STEFFEN/DPA

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