Nordwest-Zeitung

Mit Blindem locker !"er Stock und Stein

Wandergrup­pe hat Erhard Reil stets im „Schlepptau“– Ein Stück Lebensqual­ität

- VON SUSANNE GLOGER

M, 31Ä208alte­r ist Erhard Reil erblindet. Er hat gelernt, sein Leben allein zu meistern. Beim Sport hilft ihm die Wandergrup­pe des SV Ofenerdiek. „Wirkliche Integratio­n“, sagt er.

OFENERDIEK – Mit geschlosse­nen Augen kann man sich (auch bei der jetzigen Wetterlage) einen schönen Frühlingst­ag vorstellen: Ein leichtes Lüftchen weht, wärmende Sonnenstra­hlen scheinen einem ins Gesicht, Vögel zwitschern, es riecht frisch. Reine Fantasie – und doch hat man so zumindest einen kleinen Eindruck davon, wie Erhard Reil seine Umgebung registrier­t, wenn er in der Natur unterwegs ist. Im Alter zwischen 13 und 18 Jahren ist Reil erblindet. Das hält den heute 69-Jährigen jedoch nicht ab, regelmäßig auf Wanderscha­ft zu gehen. Er ist seit 1992 Mitglied der Wandergrup­pe des Sportverei­ns Ofenerdiek (SVO) – und schwärmt von der tollen Gemeinscha­ft.

Doch der Weg bis dahin war lang. Bis zu seinem 30. Lebensjahr hat Erhard Reil in Munderloh (Gemeinde Hatten) gelebt. 1980 zog er nach Oldenburg und wohnte in seiner eigenen Wohnung. Seit 1989 ist er geschieden und versucht, sein Leben allein zu bewältigen. Dabei ist ihm der Sport wichtig. „Ich gehöre zu den Menschen, die viel Bewegung benötigen“, sagt Reil. Doch dafür braucht er die Hilfe eines sehenden Menschen.

Oft gescheiter­t

Deshalb hatte er sich lange Zeit um die Einglieder­ung in Vereine bemüht – jedoch vergeblich. „Es scheiterte daran, dass ich keine Begleitung hatte. Hinzu kam, dass man mir nicht zutraute, dass ich wandern und Tandem fahren kann“, erzählt Reil. Auch Sport an der Universitä­t Oldenburg war damals nicht möglich. „Es gab und gibt auch heute noch Vereine, die es ablehnen, einen blinden Zusammenha­lt in der Wandergrup­pe: Hier wird Erhard Reil von Erich Diers am Langstock geführt (oben). Das funktionie­rt auch mit dem Kordelband (rechts).

Menschen einzuglied­ern“, weiß der 69-Jährige.

Durch viele Gespräche mit Menschen, die er über Kontaktanz­eigen kennengele­rnt hatte, traf Erhard Reil dann auf eine Frau, die seine negativen Erfahrunge­n gar nicht glauben mochte. Und sie half ihm wahrlich auf die Sprünge. „Sie sagte, dass sie jemanden kennt, der eine Wandergrup­pe leitet.“Mit ihm wolle sie mal Kontakt aufnehmen und nachfragen, ob man nicht auch ein Blinden aufnehmen könnte. Und so geschah es: Erhard Reil lernte den Wandwart des SV Ofenerdiek, Erich Diers, kennen. Bis heute sind

die beiden Männer auf besondere Weise verbunden.

Obwohl es anfangs etwas holperig losging. Erhard Reil beschreibt Diers’ erste Reaktion so: „Er konnte sich zwar nicht richtig vorstellen, wie das laufen sollte, dass ich in der Wandergrup­pe mit wandere. Doch ohne lange zu reden sagte er: Wir versuchen es, und wenn du die Gruppe aufhältst, werde ich dir sagen ,Dass geht nicht‘, und wir gliedern dich nicht ein.“Das war im Jahr 1992. Im Dezember war die erste Wanderung.

Reil erinnert sich noch ganz genau: „Es ging ins Everstenmo­or. Die Wege waren Gutes Gespann: Bei Radtouren sind Erich Diers, Wanderwart des SV Ofenerdiek, und Erhard Reil auf dem Tandem ein Team.

tief von den landwirtsc­haftlichen Wagen ausgefahre­n und der Boden war gefroren. Ich kam bei dieser Wanderung sehr gut klar und lief immer in den Spuren. Es ging über Stock und Stein.“Und am Ende hatte niemand aus der Gruppe etwas gegen das neue Mitglied mit seinen speziellen Fähigkeite­n. „Seit dieser Zeit bin ich bei fast jeder Wanderung dabei, wenn es meine Gesundheit zulässt“, so Reil.

Geführt wird der Blinde manchmal mit Hilfe seines Langstocks, meistens aber mit einem Kordelband. „Man muss seinem Begleiter vertrauen. Man darf als Blinder keine Angst haben und muss auf seine eigenen Fähigkeite­n bauen“, betont Reil. Speziell funktionie­rt auch das Führen mit der Kordel: „Bin ich zu weit weg, dann wird am Band gezogen, komme ich dem Begleiter zu nah, gibt’s einen Stups mit dem Ellenbogen.“

Nicht ausgegrenz­t

Erich Diers und seine Gruppe „schleppen“ihn überall mit hin, sagt der Oldenburge­r. „Ich bin schon über Gräben im Twistringe­r Moor gesprungen und durchs Maisfeld gelaufen“, erzählt er lachend. Auch an Feiern und anderen Veranstalt­ungen der Gruppe nimmt er teil. „Erich Diers steuert mich auch bei Radtouren mit meinem Tandem, so dass ich nie ausgegrenz­t bin. Wenn ich ausgegrenz­t bin, dann grenze ich mich selber aus.“

25 Jahre gehört Erhard Reil nun schon dem SV Ofenerdiek an. Dafür wurde er, wie berichtet, gerade in der Jahreshaup­tversammlu­ng ausgezeich­net. Erich Diers wurde am selben Abend zum Ehrenmitgl­ied ernannt. „Er hat sein Herz auf dem rechten Fleck“, sagt Reil über den Wanderwart. Während der Versammlun­g hielt der 69-Jährige eine emotionale Rede. „Die Wandergrup­pe des SVO führt eine wirkliche Integratio­n ohne viele Worte durch. Dass ich an den Wanderunge­n teilnehmen kann, ist für mich ein großes Stück Lebensqual­ität. Diese Lebensqual­ität kann ich nicht in Worte fassen.“

Er schätze die Bewegung und die Gesellscha­ft bei den Wanderunge­n, erläutert Reil. Die Natur erlebe er über den Geruchssin­n. „Und ich kann Schatten und Sonne auf der Haut spüren.“Das kann man sich vorstellen, wenn man die Augen schließt.

@ Mehr Infos unter www.blinden-info-oldenburg.de

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BILDER: PRIVAT
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