Ounte Hauptstadt der Street-Art-Künstler
Lissabon begeistert mit farbigen Häuserwänden – Abbruchreife Gebäude werden bemalt
Beeindruckend: Der Blick von Alfama über Lissabons Dächer.
Kaum eine Stadt hat so viele Freiluftgalerien zu bieten wie die portugiesische Hauptstadt. Ganze Straßenzüge sind bemalt und ziehen Touristen aus aller :elt an.
LISSABON – Es ist Samstagmittag, wir haben eine der vielen Street-Art-Touren durch Lissabons historische Stadtteile gebucht. In keiner anderen europäischen Großstadt sind Fassaden und Wände mit so wildem Gekrakel und derart gigantischen Wand-Gemälden verziert wie in Lissabon.
Wohin man auch sieht, kein Zentimeter scheint ausgelassen. Unser Tourguide heißt Diana und kommt ursprünglich von der Algarve, ein paar hundert Kilometer südlich. Die 22-Jährige studiert Kunst in Lissabon. Nebenbei jobbt sie beim Tourenanbieter Discover Lisbon.
Auf sieben Hügeln
Den Streifzug durch die moderne Street-Art-Kunst der alten Seefahrerstadt hat sie selbst erarbeitet. „Zum Glück habt ihr flache Schuhe an“, begrüßt sie uns und lacht. Die Studentin erklärt uns, dass Lissabon auf sieben Hügeln liegt und wir einige davon hinauf und hinab laufen müssen, um die besten Wandbilder zu sehen. „Wir laufen durch enge Gassen und über viele Treppen, aber ihr könnt euch freuen. Heute abend könnt ihr so viel essen wie ihr wollt, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.“
Das Geschäft mit dieser speziellen Tour boomt, seit Lissabon internationaler Anziehungspunkt für Freiluftkünstler aus der ganzen Welt
ist und die Stadt sie mit Festivals lockt. In der Stadtverwaltung ist man hoch erfreut, denn kunstvoll bemalte Fassaden lassen sich eben besser vermarkten als heruntergekommene Gebäude, so morbide deren Charme auch sein mag. Lissabon ist mittlerweile ganz oben auf der Hitliste der Städtereisen angekommen.
Vom belebten Platz „Rossio“, mitten im Zentrum, geht es hinauf ins „Bairro Alto“. Es ist das Kneipenviertel von Lissabon und eines der ältesten Stadtteile. Heruntergekommene Gebäude, von denen der Putz blättert, zugemauerte Haustüren, hinter denen niemand mehr wohnt. Dazwischen kleine Bars und Restaurants.
Dort ist ihre Szene zu Hause. Es ist Treffpunkt der Musik-, der Schwulen- und Lesbenszene. Und so bunt wie dieser Mix sehen auch die Häuserwände aus. Ein schnell hin gesprayter Vogel über einer Mülltonne, am Treppenaufgang über einem Haufen Müll und leeren Flaschen ein Fisch, der aussieht wie eine Bombe. Oft sind die Wandbotschaften politischer Natur. Street-Art-Künstler müssen sich in dieser Stadt nicht verstecken. Sie dürfen sich ausleben, dürfen sprayen, malen, kleben, pinseln.
Noch mehr Installationen und Murals sind in der LX Factory zu sehen. Im 19. Jahrhundert war dort die Garnund Stoff-Fabrik von Lissabon. Heute ist der Industriekomplex eine Insel der Kreativen und steht für ein Lissaßenbahn, Quält sich täglich 265 Meter den Hügel hoch: Die alte Standseilbahn trägt den Namen „Glória“.
Lebt und arbeitet seit fast einem Jahr in Lissabon: Isabell Regensdorff aus Augustfehn genießt das Leben in Portugal. bon, das trotz der alten Lagerhallen modern, jung und trendy ist. Auf dem 23000 Quadratmeter großen Areal haben sich viele kleine Shops, Ateliers und Agenturen, Cafés und Restaurants angesiedelt. Am Wochenende kann man über eine Mischung aus Wochenund Trödelmarkt schlendern und sich dabei in den vielen kleinen Gassen mit immer neuen Street-Art-Fantasiegebilden verlieren.
Neue Heimat in Lissabon
Man kann hier einfach nicht anders, der Mund steht offen vor Staunen. „Street Art zaubert den Menschen einfach ein Lächeln ins Gesicht“, sagt Diana und meint, wir seien der beste Beweis dafür. Der Meinung ist auch Isabell Regensdorff aus Augustfehn (Kreis Ammerland). Die 27Jährige ist im April vergangenen Jahres nach Lissabon gezogen. Sie lebt in einer Altbauwohnung im Stadtteil Alameda in einer Vierer-WG und arbeitet als Recruiterin für ein internationales Call Center. „Street Art mag ich super gern. Die ganze Stadt ist voll von wunderschönen Kunstwerken. Und das Beste ist, dass du mit jedem darüber reden kannst. Keiner ist Experte, und du musst es auch nicht sein.“
Aus unserem Lächeln über so viel Fantasie auf Putz wird ein Lachen, als wir „Glória“begegnen. Die alte Dame quietscht ganz schön, wenn sie sich ächzend 265 Meter den Hügel hoch quält. Sie sieht aus wie eine Ministra-
ist aber ein Aufzug, genauer gesagt eine Standseilbahn. Komplett bunt bemalt und besprüht verbindet sie Lissabons Stadtteil „Baixa“mit dem „Bairro Alto“.
Oben ausgestiegen hat man einen atemberaubenden Blick über die Dächer der Stadt. Die Gasse hinunter befindet sich Lissabons offizielle Freiluft-Galerie, die „Galeria del Arte Urbana“. Sieben feste Großleinwände werden immer wieder neu gestaltet. „Das ist das, was ich so gern mag. Diese Bilder erzählen eine Geschichte. Manchmal ist sie traurig, manchmal lustig, manchmal einfach nur schön“, sagt unser Tourguide.
Dass die großen Murals an den Häusern oft eine tiefergehende Geschichte haben, zeigt auch das Maurenviertel „Mouraria“. Im ehemaligen Fischerviertel wohnen viele ältere Menschen und solche, denen es wirtschaftlich nicht besonders gut geht. Das große Erdbeben vor mehr als 250 Jahren hatte Lissabon schwer zugesetzt, dort aber blieben die Häuser weitestgehend unversehrt.
Zuwanderungswellen führten zu einer Multikulti-Gemeinschaft. „Vielleicht ist es so, dass der Fado sie alle irgendwie zusammenhält“, mutmaßt Diana. Mouraria ist die Wiege des Fado, jenes süß-traurigen Gesangs über
Lisboa Card:
für Nahverkehr inkl. Metro, sowie Züge zu den Badeorten Cascais und Estoril, sowie nach Sintra. 28 Sehenswürdigkeiten und Museen inkludiert, außerdem werden Nachlässe gewährt. 19 Euro/Pers. für 24 Stunden.
unglückliche Liebe und die Sehnsucht nach besseren Zeiten. Und so erinnert ein gigantisches Wandbild an Maria Severa, einer Prostituierten und der ersten Fadista.
Internationale Künstler
Auf dem Weg zurück in die Stadt entdecken wir auf einer von Lissabons Hauptstraßen drei abbruchreife Hochhäuser. Auf allen dreien sind XXLMurals, die internationale Street-Art-Künstler in Zusammenarbeit mit portugiesischen gestaltet haben. Ein grünes, weinendes Krokodil krabbelt die Fassade hinauf, um die Ecke picken großäugige Vögel an zugemauerten Fenstern. Daneben ein hässlicher dicker König, der mit einem Strohhalm aus der Weltkugel trinkt. Dieses Bild geht an die Adresse eines großen Erdölkonzerns.
Lissabon ist vor allem durch die Vielfalt der Street Art zu einem Ort geworden, in dem Alt und Neu in friedlicher Koexistenz leben. „Natürlich gibt es hier unzählige verlassene und abbruchreife Häuser. Aber es ist immer noch besser, sie in Schönheit sterben zu lassen, als sie farblos zerbröckeln zu lassen“, schließt Diana die Tour ab. Letztlich weiß hier jeder: irgendwann kommt die Abrissbirne sowieso. Kunst statt Abbruch: Überall zaubert Street Art den Menschen ein Lächeln ins Gesicht.