Nordwest-Zeitung

Ounte Hauptstadt der Street-Art-Künstler

Lissabon begeistert mit farbigen Häuserwänd­en – Abbruchrei­fe Gebäude werden bemalt

- VON ELISABETH NEUMANN

Beeindruck­end: Der Blick von Alfama über Lissabons Dächer.

Kaum eine Stadt hat so viele Freiluftga­lerien zu bieten wie die portugiesi­sche Hauptstadt. Ganze Straßenzüg­e sind bemalt und ziehen Touristen aus aller :elt an.

LISSABON – Es ist Samstagmit­tag, wir haben eine der vielen Street-Art-Touren durch Lissabons historisch­e Stadtteile gebucht. In keiner anderen europäisch­en Großstadt sind Fassaden und Wände mit so wildem Gekrakel und derart gigantisch­en Wand-Gemälden verziert wie in Lissabon.

Wohin man auch sieht, kein Zentimeter scheint ausgelasse­n. Unser Tourguide heißt Diana und kommt ursprüngli­ch von der Algarve, ein paar hundert Kilometer südlich. Die 22-Jährige studiert Kunst in Lissabon. Nebenbei jobbt sie beim Tourenanbi­eter Discover Lisbon.

Auf sieben Hügeln

Den Streifzug durch die moderne Street-Art-Kunst der alten Seefahrers­tadt hat sie selbst erarbeitet. „Zum Glück habt ihr flache Schuhe an“, begrüßt sie uns und lacht. Die Studentin erklärt uns, dass Lissabon auf sieben Hügeln liegt und wir einige davon hinauf und hinab laufen müssen, um die besten Wandbilder zu sehen. „Wir laufen durch enge Gassen und über viele Treppen, aber ihr könnt euch freuen. Heute abend könnt ihr so viel essen wie ihr wollt, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.“

Das Geschäft mit dieser speziellen Tour boomt, seit Lissabon internatio­naler Anziehungs­punkt für Freiluftkü­nstler aus der ganzen Welt

ist und die Stadt sie mit Festivals lockt. In der Stadtverwa­ltung ist man hoch erfreut, denn kunstvoll bemalte Fassaden lassen sich eben besser vermarkten als herunterge­kommene Gebäude, so morbide deren Charme auch sein mag. Lissabon ist mittlerwei­le ganz oben auf der Hitliste der Städtereis­en angekommen.

Vom belebten Platz „Rossio“, mitten im Zentrum, geht es hinauf ins „Bairro Alto“. Es ist das Kneipenvie­rtel von Lissabon und eines der ältesten Stadtteile. Herunterge­kommene Gebäude, von denen der Putz blättert, zugemauert­e Haustüren, hinter denen niemand mehr wohnt. Dazwischen kleine Bars und Restaurant­s.

Dort ist ihre Szene zu Hause. Es ist Treffpunkt der Musik-, der Schwulen- und Lesbenszen­e. Und so bunt wie dieser Mix sehen auch die Häuserwänd­e aus. Ein schnell hin gesprayter Vogel über einer Mülltonne, am Treppenauf­gang über einem Haufen Müll und leeren Flaschen ein Fisch, der aussieht wie eine Bombe. Oft sind die Wandbotsch­aften politische­r Natur. Street-Art-Künstler müssen sich in dieser Stadt nicht verstecken. Sie dürfen sich ausleben, dürfen sprayen, malen, kleben, pinseln.

Noch mehr Installati­onen und Murals sind in der LX Factory zu sehen. Im 19. Jahrhunder­t war dort die Garnund Stoff-Fabrik von Lissabon. Heute ist der Industriek­omplex eine Insel der Kreativen und steht für ein Lissaßenba­hn, Quält sich täglich 265 Meter den Hügel hoch: Die alte Standseilb­ahn trägt den Namen „Glória“.

Lebt und arbeitet seit fast einem Jahr in Lissabon: Isabell Regensdorf­f aus Augustfehn genießt das Leben in Portugal. bon, das trotz der alten Lagerhalle­n modern, jung und trendy ist. Auf dem 23000 Quadratmet­er großen Areal haben sich viele kleine Shops, Ateliers und Agenturen, Cafés und Restaurant­s angesiedel­t. Am Wochenende kann man über eine Mischung aus Wochenund Trödelmark­t schlendern und sich dabei in den vielen kleinen Gassen mit immer neuen Street-Art-Fantasiege­bilden verlieren.

Neue Heimat in Lissabon

Man kann hier einfach nicht anders, der Mund steht offen vor Staunen. „Street Art zaubert den Menschen einfach ein Lächeln ins Gesicht“, sagt Diana und meint, wir seien der beste Beweis dafür. Der Meinung ist auch Isabell Regensdorf­f aus Augustfehn (Kreis Ammerland). Die 27Jährige ist im April vergangene­n Jahres nach Lissabon gezogen. Sie lebt in einer Altbauwohn­ung im Stadtteil Alameda in einer Vierer-WG und arbeitet als Recruiteri­n für ein internatio­nales Call Center. „Street Art mag ich super gern. Die ganze Stadt ist voll von wunderschö­nen Kunstwerke­n. Und das Beste ist, dass du mit jedem darüber reden kannst. Keiner ist Experte, und du musst es auch nicht sein.“

Aus unserem Lächeln über so viel Fantasie auf Putz wird ein Lachen, als wir „Glória“begegnen. Die alte Dame quietscht ganz schön, wenn sie sich ächzend 265 Meter den Hügel hoch quält. Sie sieht aus wie eine Ministra-

ist aber ein Aufzug, genauer gesagt eine Standseilb­ahn. Komplett bunt bemalt und besprüht verbindet sie Lissabons Stadtteil „Baixa“mit dem „Bairro Alto“.

Oben ausgestieg­en hat man einen atemberaub­enden Blick über die Dächer der Stadt. Die Gasse hinunter befindet sich Lissabons offizielle Freiluft-Galerie, die „Galeria del Arte Urbana“. Sieben feste Großleinwä­nde werden immer wieder neu gestaltet. „Das ist das, was ich so gern mag. Diese Bilder erzählen eine Geschichte. Manchmal ist sie traurig, manchmal lustig, manchmal einfach nur schön“, sagt unser Tourguide.

Dass die großen Murals an den Häusern oft eine tiefergehe­nde Geschichte haben, zeigt auch das Maurenvier­tel „Mouraria“. Im ehemaligen Fischervie­rtel wohnen viele ältere Menschen und solche, denen es wirtschaft­lich nicht besonders gut geht. Das große Erdbeben vor mehr als 250 Jahren hatte Lissabon schwer zugesetzt, dort aber blieben die Häuser weitestgeh­end unversehrt.

Zuwanderun­gswellen führten zu einer Multikulti-Gemeinscha­ft. „Vielleicht ist es so, dass der Fado sie alle irgendwie zusammenhä­lt“, mutmaßt Diana. Mouraria ist die Wiege des Fado, jenes süß-traurigen Gesangs über

Lisboa Card:

für Nahverkehr inkl. Metro, sowie Züge zu den Badeorten Cascais und Estoril, sowie nach Sintra. 28 Sehenswürd­igkeiten und Museen inkludiert, außerdem werden Nachlässe gewährt. 19 Euro/Pers. für 24 Stunden.

unglücklic­he Liebe und die Sehnsucht nach besseren Zeiten. Und so erinnert ein gigantisch­es Wandbild an Maria Severa, einer Prostituie­rten und der ersten Fadista.

Internatio­nale Künstler

Auf dem Weg zurück in die Stadt entdecken wir auf einer von Lissabons Hauptstraß­en drei abbruchrei­fe Hochhäuser. Auf allen dreien sind XXLMurals, die internatio­nale Street-Art-Künstler in Zusammenar­beit mit portugiesi­schen gestaltet haben. Ein grünes, weinendes Krokodil krabbelt die Fassade hinauf, um die Ecke picken großäugige Vögel an zugemauert­en Fenstern. Daneben ein hässlicher dicker König, der mit einem Strohhalm aus der Weltkugel trinkt. Dieses Bild geht an die Adresse eines großen Erdölkonze­rns.

Lissabon ist vor allem durch die Vielfalt der Street Art zu einem Ort geworden, in dem Alt und Neu in friedliche­r Koexistenz leben. „Natürlich gibt es hier unzählige verlassene und abbruchrei­fe Häuser. Aber es ist immer noch besser, sie in Schönheit sterben zu lassen, als sie farblos zerbröckel­n zu lassen“, schließt Diana die Tour ab. Letztlich weiß hier jeder: irgendwann kommt die Abrissbirn­e sowieso. Kunst statt Abbruch: Überall zaubert Street Art den Menschen ein Lächeln ins Gesicht.

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BILD: MATTHIAS WIEFEL
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BILD: MATTHIAS WIEFEL
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