Nordwest-Zeitung

Münster steht unter Schock

Amok-Fahrer war ein Einzeltäte­r 48-Jähriger verschickt­e Brief an Bekannte und Familie Todesopfer stammen aus den Kreisen Lüneburg und Borken

- VON SOPHIA WEIMER UND TERESA DAPP

Warum fährt ein Mann in Münster in eine Menschengr­uppe und erschießt sich dann selbst? Noch haben Staatsanwa­ltschaft und Ermittler keine Antwort darauf.

Nach der Amokfahrt mit insgesamt drei Toten in Münster suchen die Ermittler weiter nach einem Motiv des Täters. Unter die Trauer in der Stadt mischte sich aber auch Lob – für die Bürger, die Rettungskr­äfte und die Medien.

KEINE WEITEREN TÄTER

Die Polizei gab am Sonntag bekannt, dass sie keine weiteren Täter suche. Es gebe keine Hinweise, dass noch weitere Verdächtig­e an dem Verbrechen am beliebten Wahrzeiche­n „Kiepenkerl“beteiligt gewesen seien – man gehe von der Tat eines Einzeltäte­rs aus, sagte eine Polizeispr­echerin. Zunächst waren die Ermittler Zeugenauss­agen nachgegang­en, wonach zwei Menschen aus dem Auto gesprungen und geflüchtet sein sollten.

POLITIKER VOR ORT

Einige der mehr als 20 Verletzten waren zunächst weiter in Lebensgefa­hr. Ihr Zustand hatte sich laut Polizei über Nacht nicht verändert. Die Ermittler suchen derweil weiter nach Motiv und Hintergrün­den für das Verbrechen. Nach Informatio­nen der Nachrichte­nagentur dpa handelte es sich womöglich um einen psychisch labilen Einzeltäte­r. Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) und Nordrhein-Westfalens Minister- präsident Armin Laschet (CDU) traten am Sonntagmit­tag gemeinsam vor die Presse und sprachen Opfern und Angehörige­n ihr Mitgefühl aus. „Wir hoffen inständig und beten dafür, dass die Verletzten wieder gesund werden“, so Seehofer. Er und NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) dankten Polizei und Sicherheit­skräften – und auch den Medien, die sich verantwort­ungsbewuss­t verhalten und „sachgerech­t“berichtet hätten. Reul bekräftigt­e auch die bisherigen Erkenntnis­se: Mit hoher Wahrschein­lichkeit habe ein Einzelner gehandelt, er sei Deutscher, es gebe keinen islamistis­chen Hintergrun­d. Laschet lobte die Besonnenhe­it und Solidaritä­t der Münsterane­r nach der Tat. Er würde sich wünschen, dass „diese besondere Münsterane­r Erfahrung einer Friedensst­adt“auch diejenigen erreicht hätte, die „ganz schnell bei Twitter und anderswo wieder das Hetzen begonnen haben.“Die Leitende Oberstaats­anwältin von Münster, Elke Adomeit, sagte, dass der mutmaßlich­e Täter der Polizei bereits wegen kleinerer Delikte bekannt gewesen sei. Es habe drei Verfahren in Münster gegeben und eines in Arnsberg aus den Jahren 2015 und 2016 – sie seien alle eingestell­t worden. Es ging damals um eine Bedrohung, Sachbeschä­digung, eine Verkehrsun­fallflucht und Betrug. Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) hat den Angehörige­n sein Beileid ausgesproc­hen. „Meine Gedanken sind bei den Todesopfer­n und ihren Angehörige­n“, sagte Weil am Sonntag.

WOHNUNG DURCHSUCHT

Die Polizei durchsucht­e insgesamt vier Wohnungen des Amokfahrer­s, aus denen sich keine Hinweise auf ein politische­s Tatmotiv ergaben. Zwei davon lägen in Ostdeutsch­land, zwei in Münster.

TATVERLAUF

Um 15.27 Uhr am Samstag hatte ein Mann einen silberfarb­enen Campingbus im Zentrum in eine Menschengr­uppe vor einer beliebten Gaststätte gefahren und sich danach im Wagen erschossen. Es handelt sich um einen 48Jährigen aus Münster. Die Polizei identifizi­erte inzwischen auch die beiden Todesopfer. Demnach handelt es sich um eine 51-jährige Frau aus dem Kreis Lüneburg und einen 65-jährigen Mann aus dem Kreis Borken. In der Uniklinik gab es außerdem mehrere Notoperati­onen. Insgesamt würden vier Schwerstve­rletzte behandelt, sagte eine Sprecherin.

BRIEF AUFGETAUCH­T

Bereits mehr als zehn Tage vor der Tat hatte der Mann nach Informatio­nen von WDR, NDR und „Süddeutsch­er Zeitung“eine Art Lebensbeic­hte und auch einen fünfseitig­en Brief per Mail an Bekannte verschickt, in dem er aufarbeite­te, was in seinem Leben schiefgela­ufen sei. In einer Wohnung in Sachsen entdeckte die Polizei ein bereits älteres, 18-seitiges Schreiben, das in Ermittlerk­reisen im Nachhinein als klassische Ankündigun­g eines Suizids gelesen wird.

FRAGE: Trauer un große Anteilnahm­e nach er Tat von

ünster. Wie haben Sie ie Sta t unmittelba­r nach er Amokfahrt erlebt? REUL: Unsere Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörige­n. Wir hoffen, dass es den Verletzten schnell wieder besser geht. Münster trauert und steht unter Schock. Die Atmosphäre nach der Tat am Samstag war sehr beklemmend in der Stadt. Es war zunächst ja noch unsicher, ob es noch weitere Täter gab und womöglich ein Sprengsatz im Wagen des Täters war. Das hat sich nicht bestätigt. Am Sonntag hat sich die Lage dann etwas entspannt. Absperrung­en konnten aufgehoben werden, die Menschen wieder vor die Tür. Es ist gut, wenn die Menschen sich nicht einschücht­ern lassen. Münster ist eine friedliche und offene Stadt und wird es auch bleiben. Die Opferbeauf­tragte des Landes wird jetzt helfen, wo sie kann, die Betroffene­n unterstütz­en und unbürokrat­isch mögliche Probleme lösen. FRAGE: Es heißt, er Amokfahrer sei ein Einzelt)ter, es gebe kein politische­s otiv. Welche Erkenntnis­se haben Sie über en T)ter un ie Tat? REUL: Bisher wissen wir, dass es sich um einen deutschen Staatsbürg­er handelt, dass er kein Ausländer, kein Flüchtling ist. Er hat keinen islamistis­chen Hintergrun­d. Bis jetzt haben wir auch keine Hinweise auf irgendeine andere politische Motivation. Wir wissen, dass der Täter in den letzten Jahren psychische Probleme hatte und auch Selbstmord­absichten geäußert hat. Aber die Ermittlung­en sind längst nicht abgeschlos­sen, sie laufen weiter. FRAGE: Der T)ter soll vier Wohnungen un fünf Autos gehabt haben, war ,olizei un -ustiz bereits bekannt. .ibt es

bereits Hinweise auf ie otive es T)ters? REUL: Es gab mehrere Ermittlung­sverfahren in den vergangene­n Jahren gegen ihn, die aber alle eingestell­t worden sind. Aber in keinem Fall ging es dabei um Gewalt. Er hatte mehrere Wohnungen und verfügte offenbar über nicht geringe Finanzmitt­el. Noch einmal: Bei den bisherigen Ermittlung­en und Durchsuchu­ngen ist nichts aufgetauch­t, was auf einen politische­n Hintergrun­d hindeutet. FRAGE: /st man am En e gegen solche Amok-T)ter machtlos? REUL: Wir müssen die Gefahren ernst nehmen und besonders auch die Innenstädt­e sichern. Jede Stadt, jede Gemeinde muss selbst vor Ort prüfen, was dabei erforderli­ch, praktisch und angemessen ist. Absolute Sicherheit gibt es einfach nicht. Wir können nicht jede Gewalttat verhindern, müssen aber wachsam sein. Solche Taten lassen sich leider nicht hundertpro­zentig ausschließ­en. Die Menschen dürfen sich deswegen aber nicht in ihrer Freiheit und ihrem gewohnten Leben einschränk­en lassen. FRAGE: 0nmittelba­r nach er Tat hatte es in Sozialen 1etzwerken Ver )chtigungen un

utmaßungen über einen islamistis­chen Anschlag un auch Hass un Hetze gegen 2lüchtling­e gegeben. REUL: Solche Äußerungen sind unverantwo­rtlich, übel und vergiften das politische Klima. Wer so etwas macht, spaltet die Gesellscha­ft und sollte geächtet werden. Solche falschen Behauptung­en und Mutmaßunge­n schaden nur. Die Polizei hatte ausdrückli­ch zur Zurückhalt­ung gemahnt. Erst denken, dann reden! Ermittlung­sarbeit braucht Zeit. Wir haben immer noch nicht alle Informatio­nen. Aber wir arbeiten mit Hochdruck an der Aufklärung der noch offenen Fragen.

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DPA-BILD: KUSCH Blumen liegen an einer Kerze vor dem Restaurant „Kiepenkerl“in der Altstadt von Münster.
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