Nordwest-Zeitung

Gespenster der Vergangenh­eit

Wie Viktor Orban die Wahl in Ungarn so klar gewinnen konnte

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Viktor Orban hat es erneut geschafft – und zwar mit einem mehr als deutlichen Ergebnis. In Westeuropa hatten viele es nicht erwartet, dass es der rechtskons­ervative Fidesz-Partei noch einmal gelingen könnte, einen so deutlichen Sieg einzufahre­n. Der Ministerpr­äsident gilt auch unter seinen Landsleute­n als hoch umstritten, steht im Geruch der Korruption und ist mit autoritär noch zurückhalt­end beschriebe­n. Warum also haben die Ungarn Orban noch einmal mit solch umfassende­r Macht ausgestatt­et?

Das liegt wohl vor allem daran, dass Einwanderu­ng und Asyl die alles dominieren­den Probleme sowohl des Wahlkampfe­s als auch der vergangene­n Jahre sowie der Zukunft waren und sein werden. Das wiederum hat vier Gründe, von denen mehrere historisch­e Traumata betreffen.

Kleines Land

Nicht einmal zehn Millionen Einwohner leben heute in Ungarn. Die ungarische Sprache ist in Europa ein Solitär. Außer geborenen Ungarn – es gibt außerhalb der Grenzen Minderheit­en in Rumänien, der Slowakei, Serbien und anderen osteuropäi­schen Staaten – spricht so gut wie niemand Ungarisch. Traditione­ll herrscht in dem Land die Furcht, ungarische Identität, die sich wesentlich an der Sprache festmacht, könnte durch den Niedergang des Ungarische­n zerstört werden. Einwanderu­ng, die ja immer auch neue Sprachen mit sich bringt, wird daher weithin als Bedrohung angesehen. In Falle anderer kleiner Nationen liegen die Dinge ganz ähnlich – man denke etwa an Estland, Lettland und Litauen. Diese Angst ist tief in der Geschichte verankert.

Trauma von Mohacs

Am 29. August 1526 besiegten die Türken in der Nähe des Ortes Mohacs ein ungarische­s Heer. Die Folgen waren verheerend: Zehntausen­de wurden von den Osmanen abgeschlac­htet, 100 000 Menschen in die Sklaverei geführt. Der ungarische Staat zerfiel und seine Konkursmas­se geriet unter habsburgis­che (österreich­ische) und türkische Fremdherrs­chaft. Der Kampf gegen diese Fremdherrs­chaft, das zur Wehr setzen gegen assimilato­rische Kräfte ist bis auf den heutigen Tag konstituie­rend für die ungarische Identität. Das geht einher mit starker Skepsis gegenüber dem Islam. Hier spielt die Erfahrung türkischer und deutscher (österreich­ischer) Fremdherrs­chaft eine Rolle.

Trauma von Trianon

Im späten 19. Jahrhunder­t hatte Ungarn innerhalb der Habsburger­monarchie ein erhebliche­s Maß an Autonomie und großen Einfluss auf die Politik des Gesamtreic­hes. Die ungarische Reichshälf­te umfasste neben dem heutigen Ungarn weite Teile des von Ungarn bewohnten Balkans. Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg wurde dieser ungarische Reichsteil nicht etwa in die Unabhängig­keit entlassen – sondern mit dem Vertrag von Trianon gründlich zerschlage­n. Ungarn verlor zwei Drittel seines Territoriu­ms. Die meisten Ungarn lebten nun außerhalb der Grenzen des ungarische­n Reststaate­s. Einwanderu­ng wird vielfach als Bedrohung dieser nationalen Resteinhei­t gesehen.

Schwache Opposition

Gegen derartige historisch­e Prägungen, mit denen zudem die Fidesz geschickt spielte, kam die schwache und zersplitte­rte Opposition nicht an. Ihr gelang es nicht, andere Themen zu setzen. Zudem ist

die opposition­elle Hauptkraft – die faschistoi­de Jobbik-Partei – selbst radikal gegen jegliche Einwanderu­ng. Eine weitere große Opposition­spartei, die sozialdemo­kratische MSZP, leidet noch immer unter dem Makel, nach 1989 aus der Ungarische­n Kommunisti­schen Partei hervorgega­ngen zu sein. Viktor Orban hingegen machte schon als junger Mann mit antikommun­istischen Aktivitäte­n von sich reden.

Unfairer Wahlkampf

Die weitgehend gleichgesc­halteten Medien haben im Wesentlich­en Orbans Partei unterstütz­t. Vor allem linke Organisati­onen sind in Ungarn staatliche­r Repression ausgesetzt. Der Ministerpr­äsident verstand es zudem, die Einwanderu­ngs- und Überfremdu­ngsängste vieler Ungarn in seinem Sinne zu nutzen. Seine Rhetorik überschrit­t dabei allerdings mehrfach nicht nur die Grenze politische­r Diffamieru­ng sondern auch die des guten Geschmacks.

Folgen für Europa

Mit Sicherheit bleibt Ungarn unter Viktor Orban ein schwierige­r Partner. Insbesonde­re in der Asyl- und Einwanderu­ngsfrage wird sich das Land jedem Versuch widersetze­n, von der EU über Ouoten zur Aufnahme von Asylbewerb­ern verpflicht­et zu werden. In dieser Frage bleibt die Koalition ost- und mitteleuro­päischer Staaten durch Orbans Erfolg stark.

Ein EU-Ausschluss – wie ihn der Luxemburge­r Außenminis­ter Jean Asselborn ins Gespräch gebracht hat – sehen die EU-Verträge nicht vor. Möglich ist hingegen ein Verfahren nach Artikel sieben. Ein solches Verfahren ist wegen Aushöhlung und Missachtun­g demokratis­cher Prinzipien möglich. Die Kommission hat eines bereits gegen Polen eröffnet. Mit einem weiteren Verfahren riskierte Brüssel jedoch eine immer tiefe Spaltung der Mitgliedst­aaten und damit der ohnehin angeschlag­enen Union.

Für Deutschlan­d und andere westeuropä­ische Länder dürfte der Orban-Sieg zudem einen weiteren politische­n Effekt haben: Aufstreben­de nationalko­nservative Parteien, wie etwa die AfD, finden hier Beispiel und Vorbild. Kritische politische Stimmen aus einer Regierungs­position werden darüber hinaus auch in der grundsätzl­ich einwanderu­ngsfreundl­ichen EU nicht verstummen.

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