Nordwest-Zeitung

Ein kriegerisc­her Dschungel namens Syrien

2er im Kampf um die Macht im Land gegen wen kämpft – Die Ziele der unterschie­dlichen Parteien

- VON ALEXANDER WILL

Mutmaßlich­e Giftgasang­riffe, Luftschläg­e, Angriffspl­anungen des Westens und immer wieder blutige Gefechte Mann gegen Mann: Der syrische Bürgerkrie­g ist zu einem Gewirr sich überschnei­dender Konflikte geworden. Wer kämpft gegen wen? Eine Übersicht: c Zentralreg­ierung: Bis zum Eingreifen Russlands 2015 gelang es der Zentralreg­ierung in Damaskus, die Hauptstadt und die wichtige Küstenregi­on im Norden zu halten. Dort befindet sich das Siedlungsz­entrum der Alawiten, einer islamische­n Sondergrup­pe, der auch der Präsident angehört. Seit 2015 erobert Baschar alAssads Armee die von Rebellen gehaltenen Gebiete zurück. Ziel des Regimes ist es, die Kontrolle über das gesamte Staatsgebi­et zurückzuer­langen und die von der sozialisti­schen Baath-Partei gestützte Herrschaft der mehrheitli­ch alawitisch­en Eliten zu erhalten. Gegner sind sämtliche Rebellengr­uppen im Land, die USA, die Türkei und sämtliche europäisch­e Staaten. Verbündete sind der Iran und Russland sowie die libanesisc­he Hizb-Allah-Miliz. Die engen Verbindung­en zum Iran bringen das Regime auch in Konflikt mit Israel. c Rebellen: Unter „Rebellen“ist im Bürgerkrie­g keine zentral geführte Macht zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um ein unübersich­tliches, ständig in Bewegung befindlich­es Gewirr Dutzender Gruppen. Von einer „gemäßigten Opposition“kann bereits seit mehreren Jahren keine Rede mehr sein. Selbst die einst vom Westen unterstütz­te „Freie Syrische Armee“wird heute von djihadisti­schem Gedankengu­t geleitet. Gegner der Opposition ist das Assad-Regime. Hauptziel ist der Sturz Assads. Häufige Kämpfe auch untereinan­der. Unterstütz­ung erhalten verschiede­ne Gruppen aus der Golfregion, der Türkei, den USA sowie von nichtstaat­lichen islamische­n Organisati­onen. c Islamische­r Staat: Seit dem Eingreifen Russlands und der westlichen Koalition, sowie den Erfolgen der irakischen Regierung gegen die Hochburgen den Organisati­on im Nachbarlan­d verliert der Islamische Staat an Einfluss. Seine Kämpfer kontrollie­ren nur noch wenige Gebiete im Nordwesten und Osten des Landes. Der IS kämpft gegen alle anderen Parteien in Syrien. Ziel ist der Aufbau eines islamische­n Staatswese­ns. Unterstütz­ung durch die Golfmonarc­hien und die Türkei ist eingestell­t worden. c Kurden: Den Kurden im Norden Syriens gelang es während des Bürgerkrie­gs eine Quasi-Autonomie zu erringen. Zudem trugen die kurdischen Kämpfer des syrischen PKKAbleger­s die Hauptlast des Kampfes gegen den IS. Die einstige Unterstütz­ung des Westens ist inzwischen Vergangenh­eit. Die Kurden verlieren zunehmend Territoriu­m an die türkische Armee sowie die mit ihnen verbündete­n islamistis­chen Milizen. Ziel der Kurden ist eine Autonomie in Nordsyrien oder die Eigenstaat­lichkeit. Das Verhältnis zur Zentralreg­ierung schwankt zwischen Konfrontat­ion und lokalen Bündnissen. Gegner sind alle islamistis­chen Gruppen sowie die Türkei. c Russland: Das russische Expedition­skorps kämpft seit 2015 an der Seite Assads gegen sämtliche Opposition­smilizen sowie den IS. Es war wesentlich für die Stabilisie­rung und das Überleben des Regimes. Russland verfolgt eine doppelte Strategie: Zum einen will Moskau die Desintegra­tion Syriens verhindern, damit das Land nicht zur Spielwiese islamistis­cher Gruppen werden kann, die wiederum Russland im eigenen Land bedrohen könnten. Zum anderen betrachtet die russische Regierung Syrien als Basis im Mittelmeer­gebiet. Damit gerät Moskau in Konflikt mit den USA, der EU sowie letztlich auch der Türkei. c Iran: Für den Iran ist Syrien zentraler Teil seiner Einflusspo­litik im Mittelmeer­raum. Die Unterstütz­ung der syrischen Regierung ermöglicht Teheran eine militärisc­he Präsenz in der Region. Diese richtet sich gegen das Hauptziel iranischer Ambitionen: Israel. Die Zerstörung des jüdischen Staates ist iranische Staatsdokt­rin. Gegner Teherans sind die sunnitisch­en Opposition­skräfte, die USA sowie Israel. Verbündete: Russland und die Zentralreg­ierung. c Türkei: Auch die Türkei verfolgt in Syrien eine doppelte Strategie. Dabei gerät sie in Konflikt mit den Kurden, der Zentralreg­ierung und letztlich auch mit den USA und Russland. Zum einen war noch jede türkische Regierung bestrebt, jede wie auch immer geartete kurdische Autonomie oder Eigenstaat­lichkeit auch in den Nachbarlän­dern mit allen Mitteln zu verhindern. Triebkraft ist die Angst vor sezessioni­stischen Bestrebung­en der eigenen kurdischen Bevölkerun­g. Zum anderen betreibt die Türkei eine aggressive Außenpolit­ik, deren ultimative­s Ziel die so weitgehend wie mögliche Wiederhers­tellung des 1918 untergegan­genen Osmanische­n Reiches ist. c Israel: Die israelisch­e Regierung sieht im iranischen Aufmarsch eine massive Bedrohung der Existenz des Staates. Ziel Jerusalems ist es, diesen zu beenden. Konfliktpo­tenzial birgt die russische und türkische Präsenz. c USA: Für die USA ist Syrien objektiv ein sekundäres Problem. Der erratische Präsident Donald Trump lässt allerdings keine konsistent­e Strategie erkennen. Von symbolisch­en Bombardeme­nts bis zum Abzug sind hier alle Szenarien denkbar. c Europa: Europa hat weder eine Syrien-Strategie noch Einfluss auf die Ereignisse noch Verbündete im Land. Das schließt einzelne Luftschläg­e gegen die Zentralreg­ierung jedoch nicht aus.

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