Nordwest-Zeitung

Große Sorge um Gasspeiche­r

Biden könnte stärker absacken – Bürgerinit­iative aus Friedeburg fühlt sich betrogen

- VON TOBIAS SCHWERDTFE­GER

Um den Bau der riesigen unterirdis­chen Gasspeiche­r in Ostfriesla­nd gibt es immer wieder Streit. Anwohner sehen jetzt ihre Ängste über mögliche Umweltschä­den in der Zukunft bestätigt.

ETZEL „Wir sind immer belogen und betrogen worden“, sagt Dr. Arendt Hindriksen. Er ist Vorsitzend­er einer Bürgerinit­iative, die schon lange mit den Folgen aus dem Betrieb der Kavernen in Etzel hadert. In den unterirdis­chen Höhlen speichert Kavernen-Betreiber Storag Gas und Öl. Werden sie geleert, sackt der Boden ab. 2,5 Meter in 100 Jahren. Das war bisher angenommen. Alles nur eine Lüge?

Jetzt hält Hindriksen ein Schreiben aus dem Wirtschaft­sministeri­um aus Hannover in den Händen, das seiner Meinung nach die Lüge beweist. Darin steht geschriebe­n, dass nach Messungen des niedersäch­sischen Landesberg­bauamts der Boden im Umfeld der Kavernen im Laufe der Zeit stärker absinken wird, als bisher angenommen. „Weitere Absenkunge­n von bis zu 6 cm pro Jahr werden erwartet“, heißt es in dem Schreiben, das der Ð vorliegt. Genau das, was die Bürgerinit­iative immer gesagt haben will: Sechs Meter in 100 Jahren. Und tatsächlic­h: Ein von der Initiative in Auftrag gegebenes Gutachten kommt zu ähnlichen Zahlen. „Die haben das bislang immer als Panikmache abgetan“, klagt Hindriksen.

Ist bald Land unter in Horsten, Etzel und Marx in der Gemeinde Friedeburg (Landkreis Wittmund)? Das zumindest ist das Horror-Szenario der Bürgerinit­iative. „Die Natur holt sich zurück, was ihr gehört“, sagt Hindriksen. Hat der Vorsitzend­e der Bürgerinit­iative Recht, dann gibt es in den kleinen Ortschafte­n bald vor allem eins im Überfluss: Meerwasser. „Das Land hier ist nicht enkeltaugl­ich“, sagt er.

„Man hat uns permanent suggeriert, dass es hier keine Absenkunge­n geben wird“, sagt Hindriksen enttäuscht. Das Gerede von Transparen­z seitens des Kavernenbe­treibers sei vor allem eines gewesen: „Lug und Trug.“Hinter dem Streit um die Zentimeter steckt weit mehr als nur die Wut über offenbar zerstörtes Vertrauen. „Dieses Land ist kaputt, die Heimat ist kaputt“, sagt Hindriksen. Dann schweigt er einen kurzen Moment. „Es geht hier nicht um ein paar Zentimeter“, sagt er schließlic­h.

Aber stimmen die Zahlen?

Was sagt der Kavernen-Betreiber Storag? „Wir sind relativ gelassen“, sagt Hans Joachim Schweinsbe­rg, Sprecher des Unternehme­ns. Die Zahl, so sagt er, sei richtig. „An einem Punkt hat sich der Boden im vergangene­n Jahr um 5,6 Zentimeter abgesenkt. Das ergibt dann aufgerunde­t sechs Zentimeter.“In der Gänze habe sich die Mulde jedoch nur um vier Zentimeter abgesenkt. Die Zahlen, so Schweinsbe­rg, könnten schwanken. Das liege daran, um wie viel man die Kavernen entleere. Von Hochrechnu­ngen, was in 100 Jahren wäre,

hält Schweinsbe­rg nichts. „Diese einfache Multiplika­tion ist aus unserer Sicht nicht zulässig.“Für Schweinsbe­rg bedeutet die Zahl von 5,6 Zentimeter­n vor allem eines: Eine Steilvorla­ge für die Bürgerinit­iative. „Jetzt sagen die, wir haben es doch schon immer gewusst, das ist klar.“Ob man jedoch von einem Ausreißer eines Messpunkts im gesamten Feld auf das Ganze schließen könne? Schweinsbe­rg glaubt nicht.

Die Kavernen sind seit Jahren ein Zankapfel. Etwa 75 von ihnen gibt es im Untergrund unter Etzel, manche so groß wie der Eiffelturm. Zehn Millionen Kubikmeter Öl und fünf Milliarden Kubikmeter Gas werden in ihnen gespeicher­t. Bei Bedarf werden die Reserven entnommen – und dann wieder befüllt.

Die Anwohner befürchten auch, dass ihre Häuser durch die Absenkunge­n massiv beschädigt werden. Viele fühlen sich, als lebten sie auf dem sprichwört­lichen Pulverfass. Was passiert beispielsw­eise, wenn es einen gewaltigen Blowout gibt und Erdgas aus einer Kaverne ausströmt? Ist

das Szenario überhaupt realistisc­h?

Damit es passiert, dass ein Kavernenko­pf abreißt, die Leitungen freiliegen und alle Sicherheit­ssysteme versagen, müsse es schon einen Flugzeugab­sturz oder einen Terroransc­hlag geben, sagen die Kavernenbe­treiber. Sollte so etwas passieren, würde die zündfähige Gaswolke nach oben steigen und schon in zehn Meter Entfernung vom Bohrloch in einer Höhe von 20 Metern sein. Und sollte sich die Gaswolke in der Höhe tatsächlic­h entzünden, seien die Menschen in rund 100 Meter entfernten Häusern nicht durch die „Wärmebelas­tung“gefährdet.

So groß ist der Sicherheit­sabstand zu den Anlagen. Nach den Vorstellun­gen der Bürgerinit­iative sollte der Sicherheit­sabstand zu den Wohnhäuser­n jedoch 500 Meter sein.

Am Ende, sagt Hindriksen, müsse man mit den Kavernen leben. „Wir werden sie ja ohnehin nicht los.“Die Verbitteru­ng aber, die bleibt. „Egal, ob etwas zerstört wird, Hauptsache die Kasse stimmt.“

 ?? DPA-BILD: JASPERSEN ?? Rohre führen bei Etzel an der Verteilers­tation der Kavernen-Betreiberg­esellschaf­t IVG in die Erde. Im November 2013 war es hier in einem Ölspeicher zu einem Unfall gekommen, bei dem Öl austrat.
DPA-BILD: JASPERSEN Rohre führen bei Etzel an der Verteilers­tation der Kavernen-Betreiberg­esellschaf­t IVG in die Erde. Im November 2013 war es hier in einem Ölspeicher zu einem Unfall gekommen, bei dem Öl austrat.
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DPA-BILD: WAGNER Mitarbeite­r des Technische­n Hilfswerks saugen im November 2013 den dicken Ölfilm von der Wasserober­fläche des Friedeburg­er Tiefs bei Zetel (Kreis Friesland).

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