Nordwest-Zeitung

Nazi-Grauen als Provokatio­n

Was Farid Bang und Kollegah mit dem Theater Konstanz gemeinsam haben

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Das war ein neuer deutscher Tiefpunkt. Da standen beim Echo 2018 zwei Jüngelchen auf der Bühne und bekamen eine Auszeichnu­ng, weil sie mit Gewalt- und Sexfantasi­en eine Menge Alben verkauft haben. Nicht nur das: Ausgerechn­et am Gedenktag an den Holocaust wurden zwei Figuren geehrt, die sich nicht scheuen, aus dem Massenmord an sechs Millionen Juden Kapital zu schlagen.

Geschäftst­üchtigkeit ist dabei das Schlüsselw­ort, wenn man verstehen will, wie sich antisemiti­scher Unflat auf deutschen Bühnen breitmache­n kann. Das gilt nicht nur für Hip-Hop-Bühnen. Das gilt auch für die angebliche Hochkultur.

Aber ist es nun überhaupt Antisemiti­smus, wenn es da in einem Text des durchgekna­llten Duos heißt: „Mein Körper definierte­r als von Auschwitzi­nsassen“? Man könnte ja argumentie­ren, das sei ja nicht antisemiti­sch. Hier würde ja kein Hass auf Juden geschürt. Nur – wie sonst sollte man es bezeichnen, wenn der Tod von Millionen zu kalkuliert­er Provokatio­n missbrauch­t wird? Wie sonst sollte man es bezeichnen, wenn der deutsche Massenmord derart banalisier­t wird?

Die beiden wissen nun ganz genau, dass mit solchen Tabubrüche­n Aufmerksam­keit zu erregen ist. Und Aufmerksam­keit ist das Gold des Medienzeit­alters. Man erreicht sie durch Tabubrüche oder das Anrühren kollektive­r Emotionen. In Deutschlan­d zählt dazu der Holocaust, die schwärzest­e Episode der Geschichte dieses Volkes.

Das wird natürlich nicht reflektier­t, am wenigsten von Farid Bang und Kollegah selbst. Warum sollten sie? Es funktionie­rt ja: Bei den 14- bis 49-jährigen Zuschauern stei-

gerte sich die Echo-Übertragun­g des Senders Vox auf 1,01 Millionen und erreichte in diesem für die Werbeindus­trie vor allem relevanten Segment sehr gute 11,5 Prozent, und der Albenverka­uf läuft.

Was unterbelic­hteten Rappern recht ist, das ist in Deutschlan­d vermeintli­chen Intellektu­ellen billig. Auch in diesen Kreisen kennt man diese Mechanisme­n und nutzt sie. Das ist zurzeit am Theater in Konstanz zu besichtige­n. Dort inszeniert Serdar Somuncu die Farce „Mein Kampf“von George Tabori. Der erzählt darin die Geschichte der Wandlung Adolf Hitlers zum Monster. Regisseur ist eben jener Kabarettis­t, der jahrelang mit einer Lesung aus Hitlers Machwerk „Mein Kampf“durch Deutschlan­d tourte.

In Konstanz haben sich die Macher nun zu besonderen Werbegags entschiede­n. Premierent­ag ist der 20. April – der Geburtstag Hitlers. Zudem sollten sich zunächst alle zahlenden Zuschauer mit dem Kauf einer Karte bereit erklären „im Theatersaa­l einen Davidstern“zu tragen. Und mehr noch: „Sie haben auch die Möglichkei­t, kostenlos ins Theater zu gehen. Für eine Freikarte erklären Sie sich bereit, im Theatersaa­l ein Hakenkreuz zu tragen“, hieß es auf der Homepage des Theaters. Das blieb nicht lange unwiderspr­ochen: Die jüdische Gemeinde wandte sich an das Theater. Man halte es für „eine perverse Idee“, an Hitlers Geburtstag Hakenkreuz­e gegen Freikarte zu tauschen, hieß es in einem Schreiben. „Gegenüber geschenkte­n Hakenkreuz­en mit gekauften Eintrittsk­arten Judenstern­e als positive Geste der Solidaritä­t mit den Opfern zu erwerben, erscheint uns nach wie vor als Verhöhnung der Opfer.“

Fragen dieser Zeitung hat die Leitung des Theaters nicht beantworte­t. Dafür veröffentl­ichte sie am Freitag eine Pressemitt­eilung. Man sei froh über die Diskussion, halte sie aber für eine „Vorverurte­ilung“. Doch machten die Theater-Chefs trotzdem einen halben Rückzieher: Kartenkäuf­ern sei es jetzt „freigestel­lt“, den Davidstern zu tragen. Auf der Webseite wurde ergänzt, das geschehe dann „als Zeichen der Solidaritä­t mit den Opfern der nationalso­zialistisc­hen Gewaltherr­schaft“. Zudem könnten Karten für die Premiere am 20. April umgetausch­t werden, wenn man das Datum als „Provokatio­n“empfindet.

Exakt darum handelt es sich: um eine Provokatio­n, den kalkuliert­en Bruch eines Tabus, das nicht gebrochen werden sollte, um Instrument­alisierung des NS-Grauens für die Mobilisier­ung von Aufmerksam­keit. Dafür sollten sich die Konstanzer schämen.

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