Nordwest-Zeitung

Von Schlägern und Schreibtis­chtätern

Das „Jahrbuch rechte Gewalt“ist ein Atlas des Extremismu­s

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Zunächst einmal ist mit einem Irrtum aufzuräume­n, den der Buchtitel suggeriert: Das „2018 Jahrbuch rechte Gewalt“behandelt hauptsächl­ich Ereignisse und Aspekte von rechtsextr­emistische­r Gewalt, die im Jahr 2017 stattfande­n, und es enthält im verdienstv­ollen Chroniktei­l auch Ereignisse aus dem Herbst 2016. 2018 ist lediglich das Erscheinun­gsjahr.

Autorin Andrea Röpke arbeitet seit vielen Jahren zum Thema Rechtsextr­emismus. Ihr Jahrbuch listet auf, welche Straftaten und rechtsextr­emen Vorfälle im Berichtsja­hr zu verzeichne­n waren. Es enthält einen ausführlic­hen tabellaris­chen Teil, in dem die Vorkommnis­se dokumentie­rt werden. Das reicht von rassistisc­hen Beleidigun­gen über Brandansch­läge in kulturelle­n Einrichtun­gen, von Schlägen gegen Migranten bis zu Gewalttate­n von sogenannte­n Reichsbürg­ern.

Die Chronik wird ergänzt um Aufsätze zu Phänomenen und zu rechter Ideologie wie Identitäre Bewegung und Neue Rechte. Zum Beispiel widmet sich ein Aufsatz Götz Kubitschek und dessen Institut für Staatspoli­tik in Schnellrod­a und seinem Verlag Antaios. Kubitschek gilt wie Jürgen Elsässer (mit seinem Magazin „Compact“) als Vordenker der neuen Rechten. Dabei steht Kubitschek­s Denkzentru­m dem AfD-Kreis um Björn Höcke nahe. Dessen bewusste Tabu-Verletzung­en und seine doppeldeut­igen Provokatio­nen sind ebenfalls Thema in Röpkes Buch.

Übergriffe von Rechtsextr­emisten auf Journalist­en sind zudem Thema in Röpkes Jahresberi­cht, zum Beispiel wie der Journalist Marian Ramaswamy von Rechten bei einer Demo in Friedland und Göttingen verprügelt wurde. Man erfährt bei dieser Gelegenhei­t, dass der MDR und drei weitere Anstalten auf rechte Gewalt reagiert haben und ihren Mitarbeite­rn Handreichu­ngen zur Abschätzun­g der Gefahr bei gefährlich­en Drehtermin­en geben.

Ein weiteres Kapitel ist der strafrecht­lichen Würdigung von rechter Gewalt gewidmet. Die Beispiele zeigen, wie inkonseque­nt gegen rechte Straftäter geurteilt wird. So wurde eine Verurteilu­ng von 26 Mitglieder­n des „Aktions- büros Mittelrhei­n“, die ein Angstklima erzeugt haben, wegen der Pensionier­ung des Vorsitzend­en Richters verhindert. Das Strafverfa­hren hatte vier Jahre gedauert.

Weitere Beiträge widmen sich Polizisten, die rechtsextr­eme Straftäter unterstütz­t haben (Gruppe Freital, Sachsen). Interessan­t ist auch die Bedeutung von Rechtsrock­Konzerten unter dem Schutz des Rockerclub­s „Bandidos“.

Braucht man ein solches Buch? Leider ja, muss man nach der Lektüre sagen. Sie hält vor Augen, wie umfangreic­h das Netz ist, das Rechtsextr­eme in Deutschlan­d geknüpft haben und welche Darstellun­gsmittel sie für ihre Propaganda bevorzugen.  Andrea Röpke: „2018 Jahrbuch rechte Gewalt. Hintergrün­de, Analysen und die Ereignisse 2017“. Knaur, 382 Seiten, 12,99 Euro.

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