Nordwest-Zeitung

Im Zickzackku­rs zum Kulturlots­en

7jörn Harwarth betreibt Künstlerag­entur in Hamburg – Entscheidu­ng gegen Polizeikar­riere

- VON THOMAS JOERDENS

Der 43-Jährige hat als Polizist in Oldenburg gearbeitet. Heute betreut er ein halbes Dutzend Kleinkünst­ler, darunter den Klappmaulk­omiker Werner Momsen.

H567/8G-9:DE;7/8G Du schaffst alles, was du willst. Extreme sind gut, um die Mitte zu finden. Solche Sätze klingen wie Phrasen aus Selbstfind­ungssemina­ren. Wenn Björn Harwarth so spricht, nimmt man ihm das ab.

Der 43-Jährige sitzt in seinem Ladenbüro in HamburgNeu­stadt, wo er seit sieben Jahren die Künstlerag­entur „Der Kulturlots­e“betreibt und ein halbes Dutzend Kleinkünst­ler betreut. Darunter sind der Klappmaulk­omiker Werner Momsen, der Weserstadi­onsprecher Arnd Zeigler und der Seemannsga­rnspinner Nagelritz.

Immer <ieder Fern<eh

Der Laden läuft. Die Arbeit macht Spaß. Und der selbst ernannte Kulturlots­e sieht sehr zufrieden aus, während er Kräutertee trinkt und abwechseln­d Babymöhren und Schoko-Croissants knabbert. Hätte jemand Björn Harwarth nach dem Abitur erzählt, er würde dermaleins­t sein Geld mit Kabarett und Satire verdienen, mit einer Österreich­erin in Hamburg zusammenle­ben und im Herbst zum zweiten Mal Vater werden, dann hätte der Junge von der Küste wohl abgewunken. Aber auch nichts ausgeschlo­ssen.

„Ich bin offen und neugierig“, charakteri­siert sich Harwarth, ein mittelgroß­er, schlanker Mann, dessen grüne Augen strahlen, wenn er lacht. „Außerdem liebe ich Parallelwe­lten.“

Gelebte Gegensätze prägen Harwarths Biografie seit seiner Kindheit, die er in einem Reihenhaus in Cuxhaven-Groden verbringt. Er hängt mit seinen Schulfreun­den vom Gymnasium genauso gern ab wie mit den Fußballkum­pels vom Grodener SV. Nick Cave und Dorfdisco. Cocktails und Bier. Harwarth mag beides. Bis heute. Der St.-Pauli-Fan kickt in einer Altherrenm­annschaft. Er geht immer noch tanzen und hört gern Electro. Und die rote Spielzeug-Ducati auf dem Fensterbre­tt des Büros zeigt seine Leidenscha­ft für Motorräder Auf der Couch: Kulturlots­e Björn Harwarth zusammen mit Waldorf und Statler aus der Muppet-Show

und Reisen.

Nach der Schule weiß Harwarth bloß, was er nicht will: Studium und Ausbildung. Der Wunsch nach einer Mischung aus Praxis, Theorie und Sport treibt den jungen Mann zur Polizei. Fortan pendelt er zwischen Oldenburg, wo er die Fachhochsc­hule für Verwaltung und Rechtspfle­ge besucht, und Cuxhaven. Dort fährt der Jung-Polizist unter anderem auf dem Deich Streife, im Sommer in Shorts und Spinnt Seemannsga­rn: Nagelritz

auf einem Mountainbi­ke. Das ist noch lustig.

Zweifel an der Berufswahl kommen Harwarth in Hamburg, wo er Ende der 90er hinzieht. Inzwischen ist er bei der Bereitscha­ftspolizei in Lüneburg. Er lebt in einer WG in St. Georg. Mit Freunden tanzt er die Nächte durch. Darüber hinaus packt ihn immer wieder Fernweh, und er reist quer durch Europa.

Schließlic­h schmeißt er die

sichere Beamtenlau­fbahn hin und macht, worauf er schon immer Bock gehabt hat. „Ich studierte Sport.“Zumindest bis zum Vordiplom. Seinen Unterhalt verdient er sich als Bühnenhelf­er bei Konzerten. Das Vollgasleb­en macht zwar Spaß, bietet aber wenig Perspektiv­en. „Irgendwann stellte ich mir die Frage, was ich eigentlich machen will“, meint Harwarth. Der Kontakt in die Musikwelt gefällt ihm, aber er sieht sich weder als Techniker noch als Künstler. Große Klappe: Werner Momsen

„Ich bin ein gutes B-Hörnchen und muss nicht im Rampenlich­t stehen. Mir liegt das Organisier­en und das praktische Umsetzen von Ideen und Projekten“, beschreibt sich der Kulturlots­e selbst. Harwarth heuert mit Ende 20 als Praktikant bei einer Hamburger Eventagent­ur an und absolviert dort als einer der ersten in Deutschlan­d eine Ausbildung zum Veranstalt­ungskaufma­nn.

„Das war das krasse Gegenteil zum Beamtenjob“, erinnert sich Björn Harwarth an die nächste extreme Lebensphas­e. Während der OpenAir-Saison zwischen April und September ist der Veranstalt­ungs-Lehrling quasi nonstop in Norddeutsc­hland unterwegs. Nicht nur die Fußballspi­ele für seinen Heimatvere­in in Cuxhaven haben seitdem ein Ende. „Ich hatte nur noch Kollegen, aber keine Freunde mehr.“Nach der Ausbildung heuert er bei einer kleinen Agentur für Kabarett, A cappella sowie Musiktheat­er an und erledigt die Büroarbeit. Er lernt andere Comedians, Kabarettis­ten, Satiriker kennen und schätzen. Er mag diese kritisch launigen Mit- und Umdie-Ecke-Denker, die Botschafte­n und eine Haltung unters Volk bringen. Langsam entsteht die Idee, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. „Mit Künstlern, die ich geil finde und Satire, die mich zum Lachen bringt.“

Kleine 5llta0sflu­chten

Den konkreten Schubs in die Selbststän­digkeit gibt der freundscha­ftliche Kontakt zum Hamburger Puppenspie­ler Detlef Wutschik, der den norddeutsc­hen Charakterk­opf Werner Momsen erfunden hat. Als dessen Agent und Manager startet Björn Harwarth als „Der Kulturlots­e“. „Es lief gleich gut, und die Agentur trug sich von Anfang an selbst,“freut er sich. Die aktuelle Größe von „Der Kulturlots­e“findet der Inhaber perfekt. „So können wir die Nähe, und die persönlich­en Kontakte zu unseren Künstlern gewährleis­ten, und die Work-Life-Balance stimmt auch.“Auf selbstbest­immtes Arbeiten möchte Björn Harwarth nicht mehr verzichten. Und ebenso wenig auf die Erfahrunge­n, die er in seinem Zickzack-Leben gemacht hat. Dies bewegt sich mittlerwei­le auch deshalb in berechenba­ren Bahnen, weil dem Papa seine Familie zeigt, was wichtig ist und was nicht. Aber ohne kleine Alltagsflu­chten geht es halt nicht. Und dazu gehören jeden Sommer Touren nach Cuxhaven. Dann tobt sich Björn Harwarth beim Kitesurfen in der Nordsee aus, oder er fährt zu seinem Lieblingso­rt in den Wernerwald nach Sahlenburg.

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BILD: THOMAS JOERDENS
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BILDER: ARCHIV
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