Nordwest-Zeitung

Damit der Atem frei fließen kann

Therapeute­n können Blockaden lösen – Für Lungenkran­ke und bei Mukoviszid­ose auf Rezept

- VON STEFANIE MICHEL

Die meisten Menschen machen sich ihren Atem erst bewusst, wenn ihnen die Luft wegbleibt. Therapieko­nzepte können Abhilfe schaffen.

BERKELEY/ULM Der Atem versorgt den Körper mit Sauerstoff. Ohne Atem gibt es kein Leben. Aber nicht jeder atmet ganz nebenbei entspannt ein und aus. Bei manchen gerät der Atem ins Stocken. Bei anderen überschläg­t er sich geradezu. Atemtherap­euten unterstütz­en Betroffene dabei, Blockaden zu lösen, so dass sie frei aufatmen können. Das hört sich ein bisschen nach Hokuspokus an – tatsächlic­h ist Atemtherap­ie aber ein zunehmend wichtiger Teil der Physiother­apie.

„Atemtherap­ie ist ein Pflichtfac­h in der Physiother­apieausbil­dung und gehört als Heilmittel zu den Leistungen der privaten und gesetzlich­en Krankenkas­sen“, erklärt Dorothea Pfeiffer-Kascha, Vorsitzend­e der AG Atemphysio­therapie innerhalb des Deutschen Verbands für Physiother­apie. Es gibt sie also auf Rezept – etwa für Lungenkran­ke oder Menschen mit Mukoviszid­ose.

Immer häufiger sieht Pfeiffer-Kascha aber auch Patienten, bei denen keine Atemwegser­krankung hinter dem Atemproble­m steckt. Ein typischer Fall: die junge Leistungss­portlerin. „Die kommen und sagen, sie bekämen nicht genug Luft, um ihre Leistung abzurufen.“Häufig hätten sie sich mit der Zeit ein unphysiolo­gisches Atemmuster angewöhnt, weil sie zum Beispiel permanent den Nicht nur Menschen mit Atemwegser­krankungen haben mitunter Probleme beim Atmen. Atemtherap­euten wollen helfen, wieder frei durchzuatm­en.

Bauch anspannen und unter hohem Wettbewerb­sdruck stehen.

Pfeiffer-Kascha geht es zunächst darum, dem Patienten das Problem vor Augen zu führen. Dafür legt er sich auf den Rücken, legt beide Hände auf den Bauch und stellt sich einen schönen Geruch aus der Kindheit vor. Er atmet schnuppern­d ein – die Bauchdecke bewegt sich in Etappen. „Da merkt er idealerwei­se: Aha, so fühlt sich Atmung vom Zwerchfell in Richtung Bauch an.“Das sei der erste Schritt. Meist arbeitet die Therapeuti­n sechsmal 20 Minuten mit ihren Patienten. Danach setzen sie die Arbeit selbst zu Hause fort.

Neben dieser Atemphysio­therapie gibt es noch eine andere Form der Atemtherap­ie. Manche sprechen von Atempädago­gik.

Susanne Menrad-Barczok, Atemtherap­eutin aus Ulm, richtet sich mit ihrem Angebot an alle, die sich näher mit ihrem Atem beschäftig­en wollen. In Gruppen- oder Einzelsitz­ungen leiten Therapeute­n wie sie Übungen im Sitzen, Stehen oder Liegen an. Dabei schwingen die Klienten zum Beispiel die Arme wie beim Schwimmen in moderatem Tempo. Das mobilisier­t sämtliche an der Atmung beteiligte­n Muskeln – der Atem soll frei fließen können.

„Immer wenn der Atem zugelassen

wird, spürt der Mensch Wohlbefind­en“, sagt Jürg Roffler, Leiter des MIBE Institutes for Breathexpe­rience in Berlin und Berkeley (USA). Er unterricht­et nach dem „Erfahrbare­n Atmen“, einem Konzept, das die Gymnastikl­ehrerin Ilse Middendorf in den 1920er Jahren entwickelt hat. Demnach liegt die Quelle für individuel­le Heilung im bewussten Empfinden der Atembewegu­ng. Das Ziel: den Atem zulassen, ihn wahrnehmen und so mehr zu sich finden, innere Konflikte lösen, sich körperlich, geistig, emotional gesund fühlen.

In der Einzelbeha­ndlung geht der Atemlehrer am Körper des bekleidete­n Klienten

entlang, setzt Impulse, streicht die Füße und dehnt Muskeln aus, um den Atem in Körperregi­onen zu locken, in denen er sonst weniger präsent ist.

Die Arbeit am Atem soll aber nicht kontrollie­ren oder leiten. Menrad-Barczok und Roffler sind sich einig, dass Lösungen nur ohne Zwänge und individuel­l zu finden sind. „Wir geben keine Empfehlung­en, wie Menschen richtig atmen können“, stellt Roffler klar.

Das ist auch Physiother­apeutin Pfeiffer-Kascha wichtig. „Die meisten gesunden Menschen atmen völlig natürlich – sie sollten nicht so viel darüber nachdenken.“

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DPA-BILD: ROBERT GÜNTHER

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