Damit der Atem frei fließen kann
Therapeuten können Blockaden lösen – Für Lungenkranke und bei Mukoviszidose auf Rezept
Die meisten Menschen machen sich ihren Atem erst bewusst, wenn ihnen die Luft wegbleibt. Therapiekonzepte können Abhilfe schaffen.
BERKELEY/ULM Der Atem versorgt den Körper mit Sauerstoff. Ohne Atem gibt es kein Leben. Aber nicht jeder atmet ganz nebenbei entspannt ein und aus. Bei manchen gerät der Atem ins Stocken. Bei anderen überschlägt er sich geradezu. Atemtherapeuten unterstützen Betroffene dabei, Blockaden zu lösen, so dass sie frei aufatmen können. Das hört sich ein bisschen nach Hokuspokus an – tatsächlich ist Atemtherapie aber ein zunehmend wichtiger Teil der Physiotherapie.
„Atemtherapie ist ein Pflichtfach in der Physiotherapieausbildung und gehört als Heilmittel zu den Leistungen der privaten und gesetzlichen Krankenkassen“, erklärt Dorothea Pfeiffer-Kascha, Vorsitzende der AG Atemphysiotherapie innerhalb des Deutschen Verbands für Physiotherapie. Es gibt sie also auf Rezept – etwa für Lungenkranke oder Menschen mit Mukoviszidose.
Immer häufiger sieht Pfeiffer-Kascha aber auch Patienten, bei denen keine Atemwegserkrankung hinter dem Atemproblem steckt. Ein typischer Fall: die junge Leistungssportlerin. „Die kommen und sagen, sie bekämen nicht genug Luft, um ihre Leistung abzurufen.“Häufig hätten sie sich mit der Zeit ein unphysiologisches Atemmuster angewöhnt, weil sie zum Beispiel permanent den Nicht nur Menschen mit Atemwegserkrankungen haben mitunter Probleme beim Atmen. Atemtherapeuten wollen helfen, wieder frei durchzuatmen.
Bauch anspannen und unter hohem Wettbewerbsdruck stehen.
Pfeiffer-Kascha geht es zunächst darum, dem Patienten das Problem vor Augen zu führen. Dafür legt er sich auf den Rücken, legt beide Hände auf den Bauch und stellt sich einen schönen Geruch aus der Kindheit vor. Er atmet schnuppernd ein – die Bauchdecke bewegt sich in Etappen. „Da merkt er idealerweise: Aha, so fühlt sich Atmung vom Zwerchfell in Richtung Bauch an.“Das sei der erste Schritt. Meist arbeitet die Therapeutin sechsmal 20 Minuten mit ihren Patienten. Danach setzen sie die Arbeit selbst zu Hause fort.
Neben dieser Atemphysiotherapie gibt es noch eine andere Form der Atemtherapie. Manche sprechen von Atempädagogik.
Susanne Menrad-Barczok, Atemtherapeutin aus Ulm, richtet sich mit ihrem Angebot an alle, die sich näher mit ihrem Atem beschäftigen wollen. In Gruppen- oder Einzelsitzungen leiten Therapeuten wie sie Übungen im Sitzen, Stehen oder Liegen an. Dabei schwingen die Klienten zum Beispiel die Arme wie beim Schwimmen in moderatem Tempo. Das mobilisiert sämtliche an der Atmung beteiligten Muskeln – der Atem soll frei fließen können.
„Immer wenn der Atem zugelassen
wird, spürt der Mensch Wohlbefinden“, sagt Jürg Roffler, Leiter des MIBE Institutes for Breathexperience in Berlin und Berkeley (USA). Er unterrichtet nach dem „Erfahrbaren Atmen“, einem Konzept, das die Gymnastiklehrerin Ilse Middendorf in den 1920er Jahren entwickelt hat. Demnach liegt die Quelle für individuelle Heilung im bewussten Empfinden der Atembewegung. Das Ziel: den Atem zulassen, ihn wahrnehmen und so mehr zu sich finden, innere Konflikte lösen, sich körperlich, geistig, emotional gesund fühlen.
In der Einzelbehandlung geht der Atemlehrer am Körper des bekleideten Klienten
entlang, setzt Impulse, streicht die Füße und dehnt Muskeln aus, um den Atem in Körperregionen zu locken, in denen er sonst weniger präsent ist.
Die Arbeit am Atem soll aber nicht kontrollieren oder leiten. Menrad-Barczok und Roffler sind sich einig, dass Lösungen nur ohne Zwänge und individuell zu finden sind. „Wir geben keine Empfehlungen, wie Menschen richtig atmen können“, stellt Roffler klar.
Das ist auch Physiotherapeutin Pfeiffer-Kascha wichtig. „Die meisten gesunden Menschen atmen völlig natürlich – sie sollten nicht so viel darüber nachdenken.“