Nordwest-Zeitung

Kervenkitz­el auf kleinem Königsweg

:anderung auf „Caminito del Rey“in Andalusien – Schwindelf­rei sollte man schon sein

- VON ELISABETH NEUMANN

4icherheit geht vor auf dem Kletterste­ig nordwestli­ch von Málaga. Nach umfangreic­her Renovierun­g lockt er jedes Jahr Tausende an.

ARDALES Es ist kurz nach acht Uhr morgens, als wir in Ardales, etwa 60 Kilometer vom mondänen Badeort Marbella entfernt, auf den Parkplatz am „Caminito del Rey“fahren. Nordwestli­ch von Málaga führt der ehemals gefährlich­ste Kletterste­ig der Welt durch die Gaitanes-Schlucht. Rund fünf Kilometer geht es durch den Wald zum Eingang. Dieser Weg ist ein reiner Fußweg, das Auto bleibt auf einem Parkplatz in der Nähe des Zugangs.

Wir wollen wissen, wo genau es losgeht. Juan ist Parkwächte­r und zeigt auf eine kleine, unscheinba­re Öffnung im Fels, etwa 100 Meter die Straße entlang. Auf den ersten Blick würde man sie glatt übersehen. „Wenn ihr Zeit sparen wollt, dann könnt ihr auch dadurch gehen und abkürzen. Aber ihr braucht eine Taschenlam­pe, es ist dort nämlich stockdunke­l“, meint Juan. „Und erschreckt Euch nicht, im Tunnel sind manchmal auch Fledermäus­e“.

Flipflops verboten

Vor der Öffnung weist ein kleines Schild den Weg in die Dunkelheit. Vorsichtig schauen wir hinein und stellen fest: Stehen kann man im Tunnel nicht, und die Hand vor Augen kann man auch nicht sehen. Der Schein unserer Taschenlam­pe lässt alles in einem gespenstis­chen Licht erscheinen. In gebückter Haltung hasten wir schweigend einem winzigen hellen Punkt entgegen. Schwer zu sagen, wie viele Meter es waren, vielleicht 200, vielleicht 500. Erleichter­t erreichen wir das Ende und stehen auf dem Hauptweg zum Einstieg in den Caminito. Durch den Tunnel sind es statt der knapp fünf tatsächlic­h nur noch eineinhalb Kilometer.

Unterhalb der Böschung fließt ruhig und grün der Fluss Guadalhorc­e. Idyllisch ist es und still. Wir begegnen zwei Wanderern. Am frühen Morgen ist noch wenig Betrieb. Unsere Eintrittsk­arten hatten wir vorher online gekauft und dabei die erste Gruppe des Tages gewählt. Nur 30 Wanderer dürfen pro halbe Stunde den Caminito betreten. Nicht mehr als 400 sind es pro Tag, kein Wunder, dass es hin und wieder zu langen Warteliste­n kommt.

Jeder Besucher wird registrier­t, jeder bekommt einen weißen Sicherheit­shelm. Körperlich­e Fitness wird erwartet, denn der Wanderweg ist anspruchsv­oll. Flipflops, hochhackig­e Schuhe, Rucksäcke, Selfiestic­ks bedeuten das Aus für eine Wanderung über den Caminito. Genauso Hunde und Kinder im Kinderwage­n. „Zu gefährlich“, sagt unser Betreuer bei der Sicherheit­sbelehrung.

Auf der offizielle­n Homepage des Caminito heißt es dann auch: „Die Kletterste­ige, die Hängebrück­e auf 105 Meter und die steilen Felswände werden bei vielen Besuchern einen unvermeidb­aren Anflug von Höhenangst hervorrufe­n. Die Höhe, und vor allem die Enge des Weges an einigen Stellen, macht den Caminito Nichts für Menschen mit Höhenangst: Der „Caminito del Rey“galt lange als einer der gefährlich­sten Kletterste­ige der Welt. Durch die bis zu 600 Meter tiefe Schlucht El Chorro fließt der Guadalhorc­e. Angst überwunden: Nima Ashoff gibt ihre Erfahrunge­n auf dem Caminito del Rey heute an Frauen weiter

deshalb zu einem gefährlich­en Wanderweg.“Falls es dennoch zu einem Notfall kommt, kann auf dem Gelände ein Helikopter landen.

Sein Ruf ist tatsächlic­h nicht der Beste, schaut man auf die Unfallzahl­en. Der „Caminito del Rey“war 14 Jahre lang offiziell gesperrt, nachdem dort vier Kletterer den Tod fanden. Fortan trug der Pfad die Bezeichnun­g „gefährlich­ster Weg der Welt“. Trotz der Sperrung oder vielleicht gerade deswegen waren Abenteurer und Extremspor­tler nicht aufzuhalte­n. Selbst horrende Geldstrafe­n von bis zu 5000 Euro schreckten sie nicht ab. Der Adrenalink­ick war für viele ein starker Magnet.

Nima Ashoff kann mitreden, wenn es um die Faszinatio­n dieses Kletterste­igs geht. Vor vier Jahren hatte die 43Jährige Deutschlan­d gerade den Rücken gekehrt und ihren ersten Job in einer spanischen Kletterunt­erkunft angenommen. Sie erinnert sich, dass jeder damals den Kick auf dem Caminito gesucht hat. „Die waren alle völlig verrückt. Ich habe immer gesagt, ihr könnt mir eine Million bieten, den Scheiß würde ich im Leben nicht machen“, lacht Ashoff und fügt hinzu „und dann kam ein Freund, der hat auf mich wie auf ein altersschw­aches Pferd eingeredet und weil ich sowieso gerade in einer Phase war, in der ich mich neu finden und meine Grenzen überschrei­ten wollte, habe ich ‚Ja‘ gesagt.“

Ostfriese ohne Angst

Am nächsten Tag hing sie mit panischer Angst vorm Fallen und schwitzend­en Händen an einem Stahlträge­r im Nichts der senkrechte­n Wand. „Ich bin heute unheimlich dankbar, dass ich diesen alten Weg in gewisser Weise noch gehen konnte. Ich habe meine Angst und meine Komfortzon­e überwunden und eine große Wandlung vollzogen.“Ihre Erfahrunge­n gibt sie heute als Online-Life-Coach an Frauen weiter.

Die wörtliche Übersetzun­g ‚Kleiner Königsweg‘ hört sich

harmlos an. Den Namen erhielt der „Caminito del Rey“1921, als König Alfonso XIII. den Staudamm Conde del Guadalhorc­e eröffnete. Anlässlich dieses Ereignisse­s schritt er über diesen sehr schmalen alten Steg aus Betonplatt­en, der mit Eisenstang­en an der Felswand befestigt war. Dieser windet sich entlang der senkrechte­n Felswände oberhalb einer tiefen Schlucht. Die Menschen benutzten den Pfad damals als Abkürzung von einem Dorf zum anderen. Außerdem diente er den Arbeitern beim Staudammba­u als Transportw­eg und Verbindung ins Tal.

Direkt über der lebensgefä­hrlichen Strecke von damals wurde inzwischen für rund 2,4 Millionen Euro ein neuer Caminito angelegt. Eine Art Laufsteg, durch den die löchrigen Überreste des alten Weges gut zu erkennen sind. Man kann sich gut vorstellen, wie gefährlich und mühsam dieser Weg einmal war.

Johann Detmers aus Aurich ist diesen neuen Laufsteg gegangen und war in diesem Jahr das erste Mal dort. Der 62-Jährige fährt Motorrad und taucht, hat ein Faible für Abenteuer und Nervenkitz­el. „Der spannendst­e Augenblick war eine steile Treppe, über die man auf einen Balkon hinunterst­eigen musste. Da hingen gegenüber zwei Bergsteige­r in der Wand. Das muss ich nicht haben, aber das war für mich ein echtes Highlight. Das war genial“, erinnert sich der Ostfriese.

Gefährlich kam ihm der

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BILD: MATTHIAS WIEFEL
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BILD: WIEFEL

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