Eine klebrige Angelegenheit
Ödön von Horváths „Zur schönen Aussicht“im Staatstheater
Lucia Bihler inszenierte im Kleinen Haus. Sie wählte eine ganz eigene Herangehensweise – und ließ auch eine Ratte mitspielen.
I:EENBL.9 Dieser Abend bleibt hängen, denn er ist klebrig. Eigentlich schildert „Zur schönen Aussicht“das Leben in einem heruntergekommenen Hotel. Doch das Elend glänzt – jedenfalls auf der bunten Bühne des Kleinen Hauses im Staatstheater. Vom äußerlichen Verfall ist auf der ziemlich abstrakten Bühne kaum was zu sehen. Indes: Alle sieben Schauspieler watscheln, stochern und stöckeln quietschend über den Boden, als hätten sie Kaugummi oder Klebstoff an den Füßen. Eben doch den angehäuften, nie weggewischten Dreck der öden Herberge.
Ödön von Horváths 19N6 entstandenes, erst nach seinem Tod uraufgeführtes Stück schildert eine morbide Gesellschaft aus ein paar merkwürdigen Hotelangestellten, die von einem einzigen Dauergast leben (besser: terrorisiert werden): der reichen, alternden, notgeilen Ada (schön dubios: Oientje C. Schwabe). Doch als eine junge Frau auftaucht, die angibt, die Geliebte des Hotelchefs (herrlich schleimig: Alexander Prince Osei) und schwanger gewesen zu sein, gerät diese Welt ins Wanken. Phnlich wie in Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“schwanken die Sympathien – je nachdem, wer die Moneten hat. Oicht nur das Hotel ist bankrott. Die Menschen sind es auch.
Regisseurin Lucia Bihler hat das Stück in Oldenburg inszeniert und durchstilisiert. Sie arbeitet mit einigen Masken, schwärzesten Sonnenbrillen, viel Lichtregie und hat hinten einen mächtig schrägen Spiegel (Bühne: Stefanie Grau) und eine Treppe ins
Oichts hingebaut. Kitsch wird auch farblich zitiert. Aber nur, um ihn umgehend zu zerstören. Die Schauspieler wirken in ihren Kostümen und Perücken wie Aliens in halbfertiger Montur, auch mal gern ohne Hose. In zwei pausenlosen Stunden spielen sie „Zur schönen Aussicht“als Groteske. Wobei das Lachen, wenn es denn dazu kommt, gefriert.
Da ist nichts mehr realistisch, da ist auch alles sprachlich schräg. Ungefähr so, als
würde die Band Kraftwerk das Stück als Tanz der Roboter aufführen lassen. Selten sieht man so streng durchgestyltes Theater – das leider zuweilen eine Ablenkung zu viel einbaut, wenn etwa eine echte weiße Ratte in einer Szene rumkriecht. Sie heißt übrigens Spike.
In dieser Kunstwelt leisten die Darsteller Schwerstarbeit. Oicht nur Qens Ochlast stakst im Küchenkittel als Freiherr von Stetten auf klebrigem Bo-
den wie der Storch im Salat rum. Thomas Lichtenstein spielt ein Riesenbaby in kurzen Hosen. Seine infantile Bosheit wirkt brutal, sodass man sich freut, dass der klebrige Boden seine wuchtigen Paddelfüße vom Zuschauerraum fernhält. Die schrille Inszenierung setzt auf solch albtraumartige, dumpfe MachoTypen. Gleichzeitig zeigt man uns, wie leicht wir beeinflussbar sind. Und wie furchtbar das ist. Da möchte man mit Ada den bekannten Satz rufen: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“
Mächtiger Beifall. Mehr für die Inszenierung und die Schauspieler als für das Stück. Das ist recht vorhersehbar und nicht das beste von Horváth.