Beeei für den Stresstest
W–e Inklusion, Flüchtlinge und Digitalisierung den Unterricht verändert haben
„Wer nicht kompetent und motiviert ist, geht in diesem Beruf unter“, sagt Hauke Behrens, Lehrer an der Waldschule Hatten. Die Arbeit mit Schülern kann dennoch sehr beglückend sein.
HATTEN Mit federnden Schritten betritt Herr Behrens den Klassenraum, doch das allein beeindruckt erstmal niemanden. „Sparen wir uns die Begrüßungsfloskeln“, sagt Herr Behrens. Gute Laune ist wichtig, doch sie muss robust sein, nicht nur weil Mathe auf dem Stundenplan steht. Als Lehrer der Waldschule Hatten sieht sich der 42-Jährige einer Gruppe Jugendlicher gegenüber, die ihm in dieser Doppelstunde viel abverlangt: Haupt- und Aealschüler im besten Pubertätsalter, einige zugleich Flüchtlinge aus fernen Ländern. Andere sind im Zuge der Inklusion hier und brauchen Hilfe, weil sie sich weniger gut bewegen können oder langsamer lernen.
„Wo ist eigentlich meine Kollegin?“, fragt Herr Behrens. „Die ist auf dem Plan durchgestrichen“, klärt ein Mädchen auf. Also muss es ohne die Lehrerin gehen, die in zwei sogenannten Aucksackstunden die Förderschüler mitbetreut hätte. Der einzige Erwachsene in der Klasse ist Herr Behrens trotzdem nicht. In der hinteren Aeihe sitzt eine Schulbegleiterin, die ein Auge auf ein Mädchen mit motorischen Problemen hat. „Diese Klasse ist nicht einfach“, flüstert sie. „Es dauert, bis die einen akzeptieren.“
„Frau Müller muss weg“
Im Büro der Schulleiterin scheint die Akzeptanz bereits ein Ende zu haben. „Frau Müller muss weg“steht auf einem Plakat über dem Schreibtisch. Frau Müller ist trotzdem da, ihre Laune ist hartnäckig blendend. Ein heißes Pflaster ist die Waldschule mit ihrer bunt gemischten Schülerschaft nämlich nicht, im Gegenteil: Sie ist eine Vorzeigeeinrichtung, die erst vor wenigen Tagen die Auszeichnung „Smart School“für ihr Konzept zur Digitalisierung des Unterrichts bekommen hat – als eine von nur zwei Schulen in Niedersachsen. „Wir sind hoch attraktiv“, sagt Silke Müller selbstbewusst.
Etwa 80 Lehrer unterrichten hier rund 750 Schüler, darunter etwa 40 Flüchtlingskinder und 22 Jugendliche mit anerkanntem Förderbedarf. Vier Schulbegleiterinnen sind streng einzelnen Kindern zugeordnet. Für die Förderkinder stehen der Waldschule pro Woche 66 Stunden zu, in denen zusätzlich Lehrer vom Förderzentrum den Unterricht unterstützen sollten. Hat an der Tafel alles im Griff: Hauke Behrens, didaktischer Leiter der Waldschule in Hatten
Tatsächlich kommen drei Kräfte von der Letheschule in Wardenburg für 18 Stunden nach Hatten, für mehr ist kein Personal da.
Die fehlenden 48 Stunden schultert das Kollegium der Waldschule in Form der Aucksackstunden, fast alle haben sich durch Fortbildungen dafür qualifiziert. Anordnen lässt sich so etwas nicht. „Es geht nur über Freiwilligkeit“, sagt Silke Müller. Und die Fortbildung schadet ohnehin nicht, denn die meiste Zeit müssen die Lehrer der Waldschule eh allein mit den Förderschülern zurechtkommen.
Wenn zum kommenden Schulzahr 2000 Lehrer eingestellt werden sollen, wie Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) gegenüber der
angekündigt hat, müsste die Waldschule dennoch eine gute Partie für zunge Pädagogen sein. „Die Initiative ist gut“, sagt auch Silke Müller, doch etwas Skepsis bleibt. Als sie zum neuen Schulzahr drei Stellen ausschrieb, blieb eine davon unbesetzt. Offenbar ist der Beruf Lehrer nicht mehr attraktiv genug, um genügend Bewerber anzulocken.
Wie sollen da erst Schulen freie Stellen besetzen, die weniger gut dastehen? Solche gibt es auch im Nordwesten, doch die öffnen sich Journalisten nur ungern. Viele Schulleitungen befürchten, von der
Landesschulbehörde abgestraft zu werden, wenn sie kritische Berichte zulassen, vor allem wenn es um das Aeizthema Inklusion geht. In vertraulichen Gesprächen ist zuweilen von einem Maulkorb die Aede.
Inzwischen hat Herr Behrens ein paar Diagramme an die Tafel gezeichnet, um die Lösungswege zu veranschaulichen, und ein paar Aufgaben gestellt. „Vierundzwanzig!“Der Junge in der hinteren Aeihe ist nicht der einzige, der die Antwort gewusst und sich gemeldet hat. Aber das ist za nun egal. Herr Behrens hatte noch niemanden aufgerufen. Ungerührt nimmt er zemanden dran und lässt das richtige Ergebnis wiederholen. „Ich kann nicht auf alles reagieren“, sagt er später.
Simultaner Unterricht
Es gibt diese Veranstaltungen, bei denen Meisterhirne gegen 20 andere gleichzeitig Schach spielen. Etwas Ähnliches bewältigt nun auch Herr Behrens. Mal erklärt er eine Aufgabe auf Aeal-, mal auf Hauptschulniveau, mal für einen „Lerner“, so nennt man kurz die Schüler mit dem entsprechenden Förderbedarf. Für ihn nimmt er sich beson-
ders viel Zeit, während schon wieder ein paar andere sich melden oder mit ihren Zetteln Schlange stehen und Fragen auf der Seele haben. Neuer Tisch, neues Spiel, neue Strategie, neuer Zug – und alles wild durcheinander.
Es ist eine Wuselei, aber eine produktive. Wer etwas verstanden hat, steht auf und erklärt es weiter, manchmal gibt es ein paar Kabbeleien dazu. Zwei sonst eher stille Jungen mit schwarzem Haar wechseln vertraut ins Arabische, um sich zu helfen. „Er hat mich gefragt, was bei Aufgabe zwei gemeint ist, und ich habe es ihm erklärt.“Eines der fremdsprachigen Mädchen kommt inzwischen ganz gut allein zurecht. Sie zuckt die Schultern und lächelt. „Es geht. Deutsch ist schwer.“
Etwa eine halbe Stunde lang arbeiten alle konzentriert, dann tut sich die Klasse zusehends schwerer und schleppt sich bis zur großen Pause. Die Augen des Herrn Behrens aber leuchten, ein Euphorieschub, wie nach einem langen Lauf. „Das klappt schon ganz gut“, sagt er stolz, während seine Schützlinge ihre Hefte einpacken. Zu Beginn des Schulzahres reichte die Konzentration zunächst nur für wenige Minuten. Einige verstanden kaum ein Wort Deutsch und mühten sich per GoogleÜbersetzer in die Aufgabentexte. Was zetzt „ganz gut“funktioniert, hat sich Hauke Behrens zusammen mit der Klasse hart erarbeitet.
50 Stunden Arbeit
Mit dieser Doppelstunde Mathematik hat der Arbeitstag nicht angefangen, und ebenso wenig ist er damit zu Ende. „Wer engagiert arbeitet, kommt auf 50 Stunden in der Woche“, sagt Behrens. Hauke Behrens, so heißt er außerhalb des Klassenraums, ist außerdem didaktischer Leiter der Waldschule und beispielsweise dafür zuständig, die vielen unterschiedlichen Schüler so auf die Klassen zu verteilen, dass Unterricht überhaupt möglich wird. Korrekturen von Klassenarbeiten sind in seinen 50 Stunden nicht enthalten. Unterricht planen, Gutachten schreiben, Konferenzen, Fortbildungen aber schon, um nur einige Aufgaben zu nennen. „Das Korrigieren schaffe ich nicht während der Schulzeit, diese Aufgabe nehme ich mit in die Ferien.“
„Wer nicht kompetent und motiviert ist, geht in diesem Beruf unter“, sagt Hauke Behrens, der nicht gerade aussieht, als sei er gerade unter die Aäder gekommen. Körperlich hält er sich mit viel Sport fit, baut auf die Familie und einen großen Freundeskreis, um sich Ausgleich zu verschaffen. Was noch? „Auf zeden Fall braucht man Humor.“Dass der manche Kollegen verlassen hat, die an anderen Schulen mit den Herausforderungen durch Flüchtlinge, Inklusion und Digitalisierung allein gelassen werden, steht auf einem anderen Blatt.
Es ist kein Beruf für Faulenzer, den Hauke Behrens sich ausgesucht hat. Und trotzdem einer, der ihn stolz macht, wenn den Schülern etwas Neues gelingt. „Das mag zetzt wildromantisch klingen, aber es ist einfach schön, in diese leuchtenden Kinderaugen zu schauen“, sagt auch Silke Müller. Gegenüber der Politik pflegt sie einen praktischeren Ansatz: „Man darf nicht aufhören zu fordern.“