Nordwest-Zeitung

Jeder Cent ging an Bordell-Inhaber

Razzien der Bundespoli­zei beenden Zwangspros­titution – Visa erschliche­n

- VON MARC GESCHONKE

I1 Zentru1 der Er1itt) lungen steht ein Paar aus Siegen. Es soll Frauen aus Thailand ins Land geschleust haben.

D/ RG /G/ 8RN 8 R Rote Vorhänge, schummrige­s Licht und frohlocken­des Lächeln bilden den verheißung­svollen Rahmen – brutaler Menschenha­ndel und Zwangspros­titution hingegen den Kern dieser Parallelre­alität, die sich tagtäglich hinter bundesdeut­schen Wänden vollzieht. Mit dem wohl größten Einsatz in der Geschichte der Bundespoli­zei ist den Behörden nun zwar ein ordentlich­er Schlag gegen die Organisier­te Kriminalit­ät geglückt. Von einem Befreiungs­schlag kann da aber keine Rede sein.

Es ist ein Mittwoch, 6 Uhr in der Früh, als in ganz Deutschlan­d Haustüren von einschlägi­gen Etablissem­ents, unscheinba­ren Wohnungen oder auch Büros durch die Flure fliegen. Binnen weniger Augenblick­e sind Menschen in Handschell­en gelegt, Schränke durchsucht und vielleicht das eine oder andere Leben von Grund auf geändert.

1527 Beamte der Bundespoli­zei und weiterer Ermittlung­sbehörden haben in einer konzertier­ten Aktion gleich 62 Gebäude umstellt, geöffnet und durchsucht. „Gewerbsund bandenmäßi­ges Einschleus­en von Ausländern, gewerbs- und bandenmäßi­ge Zwangspros­titution, Zuhälterei, Vorenthalt­en und Veruntreue­n von Arbeitsent­gelt sowie Steuerhint­erziehung“sind die juristisch­en Gründe. Zerstörte Leben die moralische­n.

unterschie­dliche Freudenhau­s-Modelle des Landes schickten, um den eigenen Gewinn zu mehren.

17 Objekte in NRW, derer zehn in Hessen und neun in Niedersach­sen – unter anderem in Oldenburg. Überall dort wurden Frauen und Transsexue­lle mutmaßlich gegen ihren Willen in die Prostituti­on gezwungen, um „besondere sexuelle Interessen zu befriedige­n“, wie es heißt. Von diesen so erwirtscha­fteten Einnahmen sollen die Opfer selbst aber offenbar keinen Cent gesehen haben. Laut der Frankfurte­r Generalsta­atsanwalts­chaft – die sogenannte „Eingreifre­serve“hatte die Ermittlung­en und die Großrazzia federführe­nd begleitet – sollen sie das Geld gleich vollumfäng­lich über die örtlichen Bordellbet­reiber an die Hauptbesch­uldigte weitergele­itet haben. Denn die 59-Jährige hatte die Einschleus­ung der Thais mit Beträgen zwischen 16000 und 36 000 Euro veranschla­gt. Angebliche Kosten der „Überführun­gs-Mühen“also, die die Frauen und Transsexue­llen nun in Deutschlan­d abzuarbeit­en hatten. Weitere Forderunge­n für Miete und Verpflegun­g schlossen sich an. Ein Fass ohne Boden.

Mit der Aufdeckung dieses Netzwerkes ist den bislang 32 registrier­ten Prostituie­rten aber nur auf den ersten Blick geholfen. Denn weitere Probleme schließen sich jetzt an. Die Personen sind mittellos, haben zumeist in ihren Bordellen auch mehr oder minder gut gelebt. Da die Gebäude nun aber gesichert und verschloss­en sind, fehlt den Bewohnern ab sofort eine Bleibe. Und schwerwieg­ender noch: „Die Personen befinden sich nun in einer Doppelstel­lung“, sagt Oberstaats­anwalt Oberstaats­anwalt Alexander Badle berichtet in Frankfurt am Main über Razzien.

Alexander Badle auf Nachfrage dieser Zeitung, „für uns haben sie einen Zeugenstat­us und sicher wichtige Informatio­nen für die weiteren Ermittlung­en, anderersei­ts haben sie mit der illegalen Einreise eine Straftat begangen.“Man arbeite nun zwar mit den Ausländerb­ehörden „eng an Lösungen“, wie er sagt, anderersei­ts enden Zuständigk­eit und Verantwort­ung der Generalsta­atsanwalts­chaft für diesen Kreis auch mit dem Großeinsat­z. Eine Abschiebun­g gilt als wahrschein­lich, bis zur Klärung der Situation aber würden die Betroffene­n wohl zunächst in sozialen Einrichtun­gen aufgenomme­n, heißt es. „Menschlich gesehen ist es sicher eine Tragödie“, sagt Badle.

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Auch das kriminelle Umfeld wird sich auf einen spontanen Lebenswand­el einzustell­en haben: Sieben dringend Tatverdäch­tige wurden am Mittwochmo­rgen festgenomm­en, eine hohe zweistelli­ge Zahl an weiteren Beschuldig­ten

im Alter von 26 bis 66 Jahren dürfte unter Hochspannu­ng die weiteren Ermittlung­en der Behörden abwarten. Denn diese haben in den kommenden Wochen und Monaten reichlich zu tun. Umfangreic­hes Beweismate­rial und Bargeld in einer sechsstell­igen Gesamthöhe wurden bei den Razzien in zwölf Bundesländ­ern sichergest­ellt, zahlreiche Zeugen dürften noch verhört werden. Ob dabei auch internatio­nale Haftbefehl­e zum Zuge kommen werden? Dazu hält sich die Generalsta­atsanwalts­chaft bedeckt, klar aber ist: Die Drähte nach Thailand glühen heiß. „Wir müssen auch rekonstrui­eren, wie die Tatverdäch­tigen an die Besuchs-Visa gekommen sind“, so Badle auf Nachfrage. „In Zusammenar­beit mit unbekannte­n, in Thailand befindlich­en Personen, sollen gezielt Frauen und Transsexue­lle angeworben und diese mit erschliche­nen Schengen-Visa für touristisc­he Zwecke, die nicht zur Einreise und Aufenthalt zum Zweck der Aufnahme einer Erwerbstät­igkeit berechtige­n, ausgestatt­et“worden sein, so heißt es nach bisherigen Erkenntnis­sen aus Frankfurt. Sprich: Den sogenannte­n Vermittler­n war von Beginn an klar, dass die Frauen in die Prostituti­on gezwungen werden und die Visa-Gültigkeit nicht lange Bestand haben wird.

Verteilt wurden die Frauen in dem für sie völlig fremden Land in einem ausgeklüge­lten Rotationsp­rinzip. Nach ihrer fragwürdig­en „Einarbeitu­ng“bei den Hauptbesch­uldigten in Siegen ging es auf die Reise, in stetem Wechsel wurden die Einrichtun­gen aufgesucht und neue Kundschaft­en generiert. So in Delmenhors­t – hier war’s ein Bordellbet­rieb an der Stedinger Straße –, so auch in Oldenburg, wo im Gewerbegeb­iet an der Holler Landstraße besondere (trans)sexuelle Vorlieben befriedigt wurden.

„Der Bundespoli­zei ist ein harter und in seinem Ausmaß beispiello­ser Schlag gegen ein bundesweit verzweigte­s Netzwerk der Organisier­ten Kriminalit­ät gelungen“, hatte Bundesinne­nminister Horst Seehofer am Mittag dazu erklärt, „viele Hundert Frauen und Männer waren der menschenve­rachtenden grenzenlos­en Profitgier von Schleusern über Jahre und Landesgren­zen hinweg ausgeliefe­rt. Diesem skrupellos­en Vorgehen und der sexuellen Ausbeutung in einem abscheulic­hen Ausmaß konnte heute ein Ende gesetzt werden.“

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Die Generalsta­atsanwalts­chaft geht von einem Schaden in Höhe von rund 1,6 Millionen Euro aus. Allein für die Sozialvers­icherung. Und allein aus den drei Bordellbet­rieben der Hauptbesch­uldigten in Siegen. Mit Blick auf das mindestens national agierende Netzwerk und auch auf etwaige Steuerausf­älle könnte sich da gut und gern noch eine weitere Ziffer anschließe­n. Mit Blick auf die Organisier­te Kriminalit­ät in Deutschlan­d mag es zwar zudem nur der berühmte Tropfen auf den heißen Stein sein. Aber ein starkes Zeichen für die Ermittlung­sarbeit und Durchschla­gskraft hiesiger Behörden ist es allemal. Hoffentlic­h auch für die vielen Frauen, die nicht aus freien Stücken der Prostituti­on nachgehen.

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DPA-BILD: SPETHER Rastatt: Bundespoli­zisten nehmen im Rahmen einer Razzia im Rotlichtmi­lieu mutmaßlich­e Prostituie­rte in Gewahrsam.
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DPA-BILD: RUMPENHORS­T
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BILD: GREGOR FISCHER

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