Nordwest-Zeitung

Oenn in Japan der Boden wackelt

Mitarbeite­rin der NWZ erlebt Naturereig­nis – Einheimisc­he gelassen

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Tonia Marie Hysky wurde gleich in der ersten Nacht aus dem Schlaf gerüttelt. Die Menschen in Kyushu sind Erdbeben von klein auf gewohnt.

KYUSHU Um 1.32 Uhr ist es vorbei mit meinem Schlaf. Mitten in der Nacht bebt die Erde in Oita – durch die Erschütter­ung wache ich in meinem Hotelzimme­r auf. Im Halbschlaf merke ich, wie ich hin und her geschaukel­t werde. Es ist ein Gefühl, als würde ich im schwankend­en Wasserbett liegen. Dumpf höre ich aus dem Nachbarzim­mer Wasser schwappen, der Zimmernach­bar hatte sich wohl am Abend ein Bad eingelasse­n.

Das Ganze ist so surreal, dass es mir Angst macht. Nach gefühlten 30 Sekunden ist das Szenario vorbei. Ziemlich müde, aber etwas beunruhigt, döse ich wieder ein.

Beim lokalen Fernsehsen­der Oita Asahi Broadcasti­ng in der Präfektur Oita in Kyushu absolviere ich gerade für zwei Wochen ein Praktikum. Meine japanische­n Kollegen haben von dem Beben in der Nacht so gut wie nichts mitbekomme­n. Ob ich gut geschlafen habe? Ich lache und sage „Jishin ga arimashita, nee!“Es gab doch ein Erdbeben! Aufgewacht ist von den anderen fast niemand. Erdbeben sind in Japan ja nichts Ungewöhnli­ches, vor allem, wenn sie so „leicht“sind.

Im Büro erfahre ich, dass das Beben fast fünf Minuten gedauert hat. Die Technik des Senders hat es notiert, auch die Stärke. Nur 1 auf der japanische­n Skala – die geht von 0 bis 7. Aber da mein Hotelzimme­r im 11. Stock liegt, habe ich es stärker wahrgenomm­en. Je höher man sich im Gebäude befindet, desto stärker ist die Schwingung.

Dass ich gleich in der ersten Nacht von einem Erdbeben „begrüßt“werde, hatte ich nicht gedacht – obwohl es zu erwarten war. Nahezu jeden Tag bebt in Japan die Erde. Oft sind die Beben aber so leicht, dass man sie gar nicht merkt. Marie Hysky.

Bestens vorbereite­t

Würde in Oldenburg in dieser Intensität die Erde beben, das Thema würde mit Sicherheit einige Tage lang für Schlagzeil­en sorgen. Die japanische­n Kollegen staunen nicht schlecht, als ich ihnen erzähle, dass es in Deutschlan­d eigentlich gar keine Erdbeben gibt. Wenn, dann alle

zehn Jahre mal – und das würden anwesende Japaner höchstwahr­scheinlich schlicht verschlafe­n.

Wohl kaum ein Land ist so gut auf Naturkatas­trophen vorbereite­t – und doch ist die Sorge allgegenwä­rtig. Nicht zuletzt wegen der humanitä- ren und atomaren Katastroph­e, welche das Tohoku-Beben der Stärke 7 im März 2011 verursacht­e. Fukushima ist seitdem weltweit ein Begriff.

Schon seit Jahren wird der sogenannte Nankai-Graben vor der Küste Japans beobachtet, der sich von der Hauptinsel Honshu bis Kyushu zieht. Die Japaner befürchten hier ein Mega-Seebeben. Studien zufolge könnte das einen gewaltigen Tsunami auslösen und mehrere zehntausen­d Menschenle­ben fordern.

Schon im japanische­n Kindergart­en beginnt der Trainings-Drill, regelmäßig­e Erdbebenüb­ungen gehören in der Schule zum Alltag. Die Kinder lernen lebenswich­tige Verhaltens­regeln, zum Beispiel Schutz unter einem Tisch suchen oder von Fenstern fernbleibe­n. Das geht bei den Erwachsene­n so weiter. Es gibt bestimmte Tage im Monat, an denen geübt wird. Es gibt Erdbebenru­cksäcke, Trainingsz­entren und das wichtige Frühwarnsy­stem.

Im Sender OAB ist man immer auf ein Erdbeben oder einen Tsunami vorbereite­t. Beim schweren KumamotoEr­dbeben 2016 in der Nachbar-Präfektur, welches auch in Oita Schäden verursacht­e, waren hier in der Nachrichte­nredaktion alle auf den Beinen. Zum Zeitpunkt des Bebens hat Nachrichte­nsprecheri­n Mai Shiiki geschlafen, erzählt sie mir. „Als ich das Beben gemerkt habe, bin ich sofort ins Büro gefahren.“

Schnelligk­eit wichtig

Es geht um Schnelligk­eit. Die Berichte in den Medien sollen so viele Menschen wie möglich warnen und schützen. Klar, der Ablauf, die Technik und die Nachrichte­nsendung müssen hier auch im Ernstfall laufen – einmal pro Woche übt Mai Shiiki das. Der eigene Schutz hat aber oberste Priorität. Im Nebenraum der Nachrichte­nredaktion hängen Helme griffberei­t an der Wand. Jeder hat einen eigenen. An verschiede­nen Stellen im Gebäude werden Notfallvor­räte gelagert.

Im Kontrollra­um des Senders gibt es Warnleucht­en: rot für Erdbeben, blau für die Frühwarnun­g und gelb für alle Eilmeldung­en. Bei Erdbeben ab der japanische­n Stärke 3 schickt das Unternehme­n „Weather News“sofort Informatio­nen raus, die im System von OAB einlaufen und als Meldung ins Fernsehen übertragen werden. Welche Stärke hatte das Beben? Wo war das Epizentrum? Und besteht die Gefahr eines Tsunami?

Gerade in Hafenstädt­en wie Oita kann bei einem Beben auch ein Tsunami entstehen. Im vierten Stock des OAB-Gebäudes wurde daher ein Studio gebaut, um von dort aus senden zu können, wenn das Studio im Erdgeschos­s überflutet ist.

Mit welcher Gelassenhe­it, Disziplin und Ruhe die Japaner mit der ständigen Gefahr umgehen, beeindruck­t offenbar auch Niedersach­sens Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD), der sich in diesen Tagen in Tokio über Maßnahmen zum Katastroph­enschutz informiert hat. Als Mitteleuro­päer bekomme man vermittelt, „dass man auch in Krisensitu­ationen ruhig bleiben kann“, lobte er.

Meiste Beben weltweit

Dazu muss man sagen: Japaner werden ja schon von klein auf mit Erdbeben und dem richtigen Verhalten konfrontie­rt. In keinem anderen Land der Welt bebt so oft die Erde wie hier. Bei Japan stoßen vier Kontinenta­lplatten aufeinande­r und verkanten sich. Löst sich die Spannung, kommt es zum Beben.

Ich selbst habe hier in Japan nicht 24 Stunden Angst vor einem Erdbeben. Aber es beschleich­t mich von Zeit zu Zeit ein ungutes Gefühl. Wenn der Boden unter den Füßen oder das Bett unter dem Körper plötzlich wackelt und schaukelt, dann wird man zum Spielball der Naturkräft­e. Es ist dieser Zustand und die gespenstis­che Atmosphäre, vor der ich Angst habe.

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BILD: TONIA MARIE HYSKY VONHe Maßnahme: Während Tonia Marie Hysky SchuHz unHerm Tisch suchH, bleibH der japanische Kollege im RedakHions­büro gelassen.

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