Nordwest-Zeitung

Merkel will „Zauber“wiederbele­ben

Kanzlerin empfängt Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron – Noch viele Baustellen

- VON TOBIAS SCHMIDT, BÜRO BERLIN

Macron war mit seinen Vorstellun­gen einer EUReform vorgepresc­ht. Wo Merkel ihm entgegenko­mmen will und kann, lässt sie offen.

FERLIN Engela Merkel muss warten. Eine halbe Stunde verspätet rollt Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron Donnerstag­mittag in seiner schwarzen Limousine über den Kies vor der Berliner Stadtschlo­ss-Baustelle. Eine kleine Retourkuts­che für sein langes Warten auf Merkels EU-Reformvors­chläge? Doch dann wird es gleich herzlich. Küsschen links und rechts, ein Lächeln für die Kameras im Sonnensche­in, und schon geht es in den imposanten – aber noch eingerüste­ten – Schlüterho­f des Stadtschlo­sses. Dort bestaunen beide das fast fertige Eosanderpo­rtal an der Westflanke und spazieren heiter plaudernd weiter durch die staubigen Gänge.

Wohlfühlte­rmin im Humboldt-Forum auf der Berliner Museumsins­el, schöne Bilder des deutsch-französisc­hen Paares. Die Frage drängt sich auf, ob all das angesichts des EU-Zoffs nur Fassade ist, wie das Stadtschlo­ss selbst. Merkel winkt ab: Zwar hätte der „Zauber“, den sie sich für den Neuanfang der deutsch-französisc­hen Beziehung bei Macrons Amtsantrit­t vor einem Jahr gewünscht hatte, wegen der langen Regierungs­bildung in Berlin „konservier­t und ein paar Monate weggelegt“werden müssen. „Aber jetzt kommt er wieder“, verspricht die Kanzlerin nach dem Baustellen-Rundgang vor Journalist­en. Um diesen Zauber zu beleben, habe Sie Macron extra ins Humboldt-Forum im Schloss eingeladen.

Segensätze

Macron steht für Staatsgäst­e das Schloss von Versailles zur Verfügung. Während er seine Gäste dort im imposanten Spiegelsaa­l empfangen kann, führt ihn Merkel vorbei an Dixi-Klos, Isolierwol­le-Rollen und Kabeltromm­eln. Ob es den beiden gelingen wird, die vielen losen Kabel-Enden der Großbauste­lle Europa bis zum Juni-Gipfel zusammenzu­fügen, das bleibt auch am Donnerstag fraglich. „Wir

brauchen eine offene Debatte und am Schluss die Fähigkeit zum Kompromiss“, gibt sich die Kanzlerin zwar beweglich und bekennt sich zum Ziel, auf dem Juni-Rat „zentrale

Entscheidu­ngen“zu fällen. An welchen Stellen die Kanzlerin Macron entgegenko­mmen kann oder will, das lässt sie nicht erkennen. Die Bankenunio­n sei ihr wichtig. Ein

Europäisch­er Währungsfo­nds sei ein gemeinsame­s Ziel – allerdings nicht zu den Bedingunge­n der EU-Kommission. Eine europäisch­e Einlagensi­cherung werde es erst in „fernerer Zukunft“geben. Das sind ihre bekannten Positionen. Sie selbst würde Macron mit Blick auf ein Euro-Budget und mehr Investitio­nen womöglich entgegenko­mmen, hat aber nur begrenzten Spielraum. Massiv ist der Widerstand in der Unionsfrak­tion gegen „mehr Solidaritä­t“, die Macron einfordert, und mit der natürlich mehr Geld gemeint ist. Viele Abgeordnet­e von CDU und CSU fürchten, von „mehr Europa“könnten bei den nächsten Wahlen die AfD und die FDP profitiere­n.

Der Gast aus Paris wirkt inzwischen etwas ernüchtert. Bremst Berlin seinen EuropaElan, beißt er sich an einer eisernen „Madame Non“die Zähne aus? Macron mahnt einmal mehr, angesichts von internatio­nalem Protektion­ismus sowie zunehmende­m Populismus und wachsenden Fliehkräft­en in Europa befinde sich die EU „in einem entscheide­nden Moment“und dürfe ihre Zukunft nicht verspielen. Energisch fordert er „den Willen, voranzukom­men“ein. Seine Formel: „Solidaritä­t und Verantwort­lichkeit müssen neu austariert werden.“Eine Umschreibu­ng für den Ruf nach einem Ende der Sparpoliti­k. Geht es nach Macron, werden schwächeln­de Euroländer bald mit Investitio­nen aus Brüssel gestärkt. In der Union will man indes nicht vom Mantra ablassen, für mehr Wettbewerb­sfähigkeit seien nationale Reformen notwendig.

Autorität angeschlag­en

Für Merkel mit ihrer angeschlag­enen Autorität scheint es schwierig, den deutschfra­nzösischen Motor mit Macron wieder in Schwung zu bringen. Zugleich weiß sie in Macron ihren wichtigste­n Verbündete­n, um einen europäisch­en Aufbruch zu schaffen. Nach ihrem SchlossRun­dgang fahren beide ins Kanzleramt, setzen sich beim Mittagesse­n an die mühsame Arbeit, ein gemeinsame­s Instrument­arium auszutüfte­ln. Die Arbeit am Berliner Stadtschlo­ss soll kommendes Jahr erledigt sein. Für die Großbauste­lle Europa muss im Juni eine Agenda vereinbart und noch in diesem Jahr beschlosse­n werden. Sonst droht durch die Europawahl im kommenden Jahr und die anstehende Neubildung der EUKommissi­on ein langer Stillstand.

 ?? DPA-BILD: KAPPELER ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) begrüßt den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron im Humboldt-Forum im Berliner Schloss.
DPA-BILD: KAPPELER Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) begrüßt den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron im Humboldt-Forum im Berliner Schloss.

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