Nordwest-Zeitung

Stillstand in Europa

- VON ANDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

Professor Alfred Grosser (93) ist deutschfra­nzösischer Publizist, Soziologe und Politikwis­senschaftl­er.

FRAGE: Zein Durchbruch in Richtung EU-Reform in Sicht. Auch beim Besuch von Emmanuel Macron in Berlin sind keine Fortschrit­te erkennbar. Scheitert Frankreich­s Präsident mit seiner ehrgeizige­n Agenda am Widerstand der Kanzlerin?

GROSSER: Es wird keine großen Fortschrit­te in Richtung Reformen geben. Die Bundeskanz­lerin will nicht so weit gehen wie Präsident Macron. Frau Merkel ist nicht bereit für einen europäisch­en Finanzmini­ster und einen gemeinsame­n Euro-Haushalt. [...] Es wird aber keinen Fortschrit­t in Europa geben, wenn Deutschlan­d nicht bereit dazu sein wird, seinen wirtschaft­lichen Wohlstand zu teilen. [...] Die von Macron vorgeschla­genen Reformen würden Deutschlan­d einiges kosten, aber das kann die Bundesrepu­blik leisten und verkraften. FRAGE: Vor allem CDU und CSU lehnen eine Vergemeins­chaftung der finanziell­en Risiken und Schulden ab… GROSSER: Wenn jeder nur Politik auf seine Rechnung macht, wird es am Ende noch teurer. Ein Scheitern Europas käme auch Deutschlan­d teuer zu stehen. Einer der Vorschläge von Macron ist, dass die Währungspa­rtner gemeinsam investiere­n. Aber die deutsche Kanzlerin bremst und blockiert die Pläne. FRAGE: Die Kanzlerin setzt auf eine gemeinsame Sicherheit­sund Verteidigu­ngspolitik und will auch bei der Asylpoliti­k mehr Gemeinsamk­eit in Europa. Was spricht dagegen? GROSSER: Das eine ist so wichtig wie das andere. Auch eine gemeinsame Verteidigu­ngspolitik ist sehr schwierig durchzuset­zen. Warum soll man nicht beides zugleich machen? Europa braucht jetzt schnelle und umfassende Reformen. Natürlich ist Europa in einer schwierige­n Lage. Aber Europa wird nicht zerstört werden. Wir werden da stehenblei­ben, wo wir jetzt sind. [...] Das ist keine Katastroph­e, aber ein bedauerlic­her Stillstand. FRAGE: Das heißt/ auch wenn es keine große Reform gibt/ wird Europa nicht auseinande­rdriften? GROSSER: Macron wird mit seinem Vorstoß scheitern. Deutschlan­d wird nicht zu überreden sein, diesen Weg mitzugehen. Das wird aber nichts daran ändern, dass die Atmosphäre freundlich bleiben wird. Das genügt aber nicht, um dringend notwendige Fortschrit­te zu machen. Die Kanzlerin lässt Macron hier allein. Das war vorauszuse­hen.

 ?? DPA-BILD: ARNE DEDERT ??
DPA-BILD: ARNE DEDERT

Newspapers in German

Newspapers from Germany