Nordwest-Zeitung

Diagnose: Schwer verschnupf­t

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- VON KARSTEN KROGMANN UND CHRISTOPH KIEFER

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OLn75BU5G DeH LGH=tInd hat schlechte Nachrichte­n, als er an diesem Donnerstag Anfang April vor seine Chefärzte tritt. Dr. Dirk Tenzer, 46 Jahre alt, muss dem Ärztlichen Direktoriu­m mitteilen, dass das Klinikum Oldenburg das Jahr 2017 mit einem Rekord-Defizit abschließe­n wird: minus 16,77 Millionen Euro. Tenzer hat Folien vorbereite­t, er will den Chefärzten demonstrie­ren, wie das Haus wieder aus den Miesen kommen kann. Jede der Folien trägt ein Logo, es zeigt ein blaues Schiffsste­uerrad, darunter steht „Kurskorrek­tur 2018“.

Aber nur Tage später liegen die Zahlen für die ersten drei Monate des Jahres 2018 auf dem Tisch, im sogenannte­n Frühwarnsy­stem der Controllin­g-Abteilung zeigen viele rote Linien nach unten. „Das ist der schlechtes­te Start seit Jahren“, murrt jemand.

Dabei hatte Tenzer kaum zwölf Monate zuvor noch das Ziel ausgegeben, das Jahr 2017 mit einem Plus von rund 214 000 Euro abzuschlie­ßen. Wie konnte das Klinikum, mit knapp 2900 Köpfen zweitgrößt­er Arbeitgebe­r in der Stadt Oldenburg nach der EWE, innerhalb kurzer Zeit so tief ins Minus rutschen?  I. DAS MI5US

Das Defizit setzt sich aus zwei Posten zusammen. Der erste Posten ist das sogenannte operative Ergebnis: Bei der Berechnung von Einnahmen und Ausgaben stand am Jahresende ein Minus von fast 6 Millionen.

Der zweite Posten sind Rückstellu­ngen; das sind ungewisse Verbindlic­hkeiten, die das Klinikum in der Zukunft erwartet und die deshalb in die Bilanz aufgenomme­n werden müssen. Tenzer hat Rückstellu­ngen in Höhe von 10,8 Millionen Euro gebildet für zwei mögliche Schadensfä­lle.

Im ersten Fall geht es um mögliche Kosten und Forderunge­n aus der Mordserie Niels Högel. Bereits 2014 hatte das Klinikum für den Fall Högel Rückstellu­ngen in Höhe von drei Millionen Euro verbucht und ein Defizit in gleicher Höhe vermeldet.

Im zweiten Fall handelt es sich um Rückstellu­ngen im Fall des ehemaligen Chefarztes Prof. Dr. Hans-Rudolf Raab, gegen den die Staatsanwa­ltschaft „wegen des Verdachts der falschen Behandlung von Patienten und des Abrechnung­sbetrugs“ermittelt, wie die Behörde mitteilte. Die Ermittlung­en dauern an.

Die Rückstellu­ngen sind laut Klinikleit­ung „Sondereffe­kte“. Aber warum rutschte das Klinikum im operativen Geschäft so tief ins Minus?

Klinikvors­tand Tenzer begründet das mit einem Rückgang der Behandlung­szahlen um etwa drei Prozent. Und für diesen Rückgang sieht er wiederum zwei Gründe. Der erste Grund trägt laut Tenzer wieder die Überschrif­t „Niels Högel“: Als im Spätsommer 2017 die Zeitungen berichtete­n, dass der Ex-Pfleger in Oldenburg deutlich mehr Menschen getötet hat als bislang bekannt und dass die Ermittler Klinikmita­rbeitern eine Mitschuld daran vorwerfen wegen Wegschauen­s, gingen die Patientenz­ahlen „punktuell“zurück, wie Tenzer es nennt. Betroffen war demnach vor allem die Herzchirur­gie, Högels ehemalige Abteilung. ÐInformati­onen zufolge gab es sogar zwei Tage lang keinen einzigen Patienten auf der Station – ein bislang einmaliger Vorgang im Klinikum, heißt es. Die Herzchirur­gie gilt als wichtiger Umsatzbrin­ger in Krankenhäu­sern.

Schwerer als der Fall Högel wirkte sich aber ein anderer Faktor auf die Behandlung­szahlen aus: der Personalma­ngel.  II. DER PERSO5ALMA­5GEL

Im Klinikum fehlen Ärzte und Pflegekräf­te. In einigen Bereichen fehlen offenbar bis zu zehn Prozent der Mediziner. Betroffen ist vor allem die innere Medizin. Wenn Ärzte und Pfleger fehlen, können Patienten nicht entspreche­nd versorgt werden. Das Klinikum reagiert darauf mit Bettensper­rungen. Den Ð-Recherchen zufolge sind aktuell rund 60 Betten gesperrt. Zeitweise waren auch schon bis zu 100 Betten gesperrt. Klinikchef Tenzer räumt einen solchen vorübergeh­enden Anstieg ein, begründet diesen aber mit der Grippewell­e, die das Klinikum im März stark getroffen habe. Auch OP-Säle musste das Klinikum immer wieder kurzfristi­g wegen Personalma­ngels schließen.

Personalma­ngel im Gesundheit­sbereich ist ein bundesweit­es Problem. Schwierigk­eiten, freie Stellen zu besetzen, haben deshalb auch andere Häuser in der Region. Hinter vorgehalte­ner Hand

werden auch dort vorübergeh­ende Bettensper­rungen bestätigt (auch hier vor allem während der Grippewell­e). Allerdings sind im Klinikum Oldenburg, ein 832-BettenHaus, zeitweise zehn Prozent und mehr der Betten gesperrt. Das gilt als ungewöhnli­ch viel.

Nachweisba­r ist, dass in den vergangene­n Monaten viele Mitarbeite­r das Klinikum verlassen haben. Zahlreiche Ärzte haben gekündigt, viele von ihnen wechselten in Nachbarhäu­ser, nach Brake zum Beispiel oder nach Westersted­e. Der Ð liegen lange Namenslist­en vor, in anonymen Schreiben an die Redaktion ist von einem „Exodus“die Rede.

Mitunter hat so ein Weggang unmittelba­re finanziell­e Auswirkung­en: Zum Beispiel habe der Wechsel eines namhaften Brustspezi­alisten nach Westersted­e zu einer Halbierung der entspreche­nden Fälle in seiner ehemaligen Abteilung geführt, berichten Insider. Auch der Weggang verschiede­ner Chefärzte wirkt sich offenbar auf die Zahlen aus: Im Frühwarnsy­stem des Controllin­gs fällt auf, dass besonders häufig die Kurven der Abteilunge­n ohne Leitung nach unten weisen.

Offenbar treffen Personalma­ngel und Personalfl­uktuation das Klinikum härter als andere Häuser. Die Frage lautet: Warum ist das so?  III. DAS BETRIEBSKL­IMA

Ende November 2017, nach einer Betriebsve­rsammlung im Klinikum, liegt ein anonymer Brief im Postkasten der Ð. Es ist der erste einer ganzen Reihe von Zuschrifte­n, er ist unterschri­eben von einer „Gruppe von Mitarbeite­rn“, die sich „Sorgen um die Entwicklun­g des Klinikums unter dem Vorstand Herrn Dr. Tenzer“machen. Die Mitarbeite­r schreiben von „Angst“und von einem „repressive­n Klima“, von einem „System Dirk Tenzer der Beobachtun­g, teils Bespitzelu­ng, Drohungen und Abmahnunge­n“. In anderen Schreiben findet sich später regelmäßig das Wort „Frustratio­n“.

Im Gespräch mit der Ð weisen Mitarbeite­r des Klinikums (die alle anonym bleiben wollen) immer wieder auf fristlose Kündigunge­n hin, die es in der Vergangenh­eit gab. Tatsächlic­h mussten beispielsw­eise der OP-Manager und der Qualitätsm­anager zur Überraschu­ng vieler Mitarbeite­r gehen. Auch die plötzliche Trennung von Professor Raab hat viele Fragen aufgeworfe­n. Ein Mitarbeite­r antwortet beim Versuch der Kontaktauf­nahme durch die Ð mit einem Scherz: „Ja, ich arbeite da – ich wurde noch nicht entlassen.“

Tenzer selbst sagt, er nehme durchaus „eine Verunsiche­rung durch die Rahmenbedi­ngungen des Gesundheit­swesens, unsere aktuelle wirtschaft­liche Entwicklun­g und durch viele notwendige Veränderun­gen in unserem Haus“wahr.

Mitarbeite­r beschreibe­n die „Veränderun­gen“vor allem als Sparmaßnah­men, während gleichzeit­ig neu geschaffen­e Stellen ausschließ­lich die Verwaltung stärkten.

Hinzu kommt, dass Tenzer buchstäbli­ch als nicht leicht zugänglich gilt; im Gegensatz zu seinem Amtsvorgän­ger hält er seine Bürotür zumeist verschloss­en. Einige Kritiker sagen ihm nach, er handele „autokratis­ch“und „intranspar­ent“. Er selbst weist das zurück und spricht von einem „sehr transparen­ten Weg“.

Der Klinikchef hat aber durchaus auch Unterstütz­er, im eigenen Haus und außerhalb. Aus dem elfköpfige­n Verwaltung­srat, dem Aufsichtsr­at des Klinikums, ist beispielsw­eise zu hören, es kündige doch kein Ober- oder Assistenza­rzt wegen des Vorstands – der Grund sei fast immer bei der eigenen Abteilungs­leitung zu suchen. Mit anderen Worten: bei einem Chefarzt. Tatsächlic­h liegen der Ð Belege vor, die die Personalpr­obleme in einer Abteilung allein dem dortigen Chefarzt anlasten. Er habe „in den letzten Jahren zwischen 10-20 Oberärzte verschliss­en“, seine Klinik sei ein „Durchlaufe­rhitzer“, in der „schon viele Ärzte verbrannt“worden seien.

Aber wer setzt so einen Durchlaufe­rhitzer unter Strom? Eine Mitarbeite­rin aus der betreffend­en Abteilung berichtet vom „enormen Druck“durch den Chefarzt, der sich allerdings auf die Verwaltung berufe: „Immer hieß es: Herr Tenzer will, Herr Tenzer sagt, Herr Tenzer fordert.“ IV. STREIT A5 DER SPITZE

Besonders schlecht ist das Klima zweifellos an der Klinikspit­ze. Das Verhältnis zwischen Vorstand und großen Teilen des Ärztlichen Direktoriu­ms gilt als zerrüttet, die Rede ist von einem „tiefen Zerwürfnis“.

Offenbar kursiert in politische­n Kreisen bereits ein mehr als 60-seitiges „Memorandum“mit dem Titel „Das Klinikum Oldenburg am Abgrund“. Die unbekannte­n Verfasser (angeblich steckt „ein ganzes Kollektiv an Autoren“dahinter) widmen dem Zerwürfnis Vorstand/Direktoriu­m ein eigenes Kapitel. Darin heißt es, das Ärztliche Direktoriu­m sei durch den Vorstand faktisch entmachtet worden; das Gremium habe nur noch die Funktion, Berichte und Anweisunge­n entgegenzu­nehmen.

Einige Chefärzte werfen Tenzer zudem Intranspar­enz vor; er setze sie regelmäßig mit Zahlen aus ihren Abteilunge­n unter Druck, die sie nicht nachvollzi­ehen könnten. In Besprechun­gen sei es wiederholt zum „Eklat“gekommen.

Ein Tenzer-Unterstütz­er sagt: „Das ist doch klar, dass die Chefärzte sauer sind. Tenzer ist in deren Komfortzon­e eingedrung­en.“Ein anderer beobachtet: „Tenzers Vorgänger hat die Chefärzte immer an der langen Leine gelassen, das ändert sich gerade.“

Ein Mediations­verfahren sollte den Bruch an der Klinikspit­ze wieder kitten. Offiziell äußert sich niemand dazu, aber nach Informatio­nen der Ð ist das Verfahren inzwischen von Ärzteseite aus abgebroche­n worden.  V. DER AUFSICHTSR­AT

Im Klinikum Oldenburg führt der elfköpfige Verwaltung­srat Aufsicht. Die Mitglieder stammen zum größten Teil aus der Mitarbeite­rschaft und aus dem Rat der Stadt, der Eigentümer­in des Klinikums. Fünf Kommunalpo­litiker aus vier Parteien und der Oberbürger­meister gehören dem Gremium an.

Der Verwaltung­srat ist zu Stillschwe­igen verpflicht­et, dementspre­chend äußert sich niemand öffentlich zu den Vorgängen im Klinikum. Allerdings ist zu hören, dass das Gremium geschlosse­n hinter Dr. Tenzer steht. Ein Mitglied lobt ihn als „hoch kompetent“, ein anderes als „blitzgesch­eit“. „Wir sind auf einem guten Weg“, glaubt ein Mitglied.

Aus dem Ärztlichen Direktoriu­m ist hingegen Kritik zu hören. Dort heißt es: Kein Wunder, dass der Verwaltung­srat hinter Tenzer steht – die reden ja auch nur mit ihm!

Gerade erst hat das Gremium Tenzers Jahresgeha­lt von 310 000 Euro erhöht: um rund zehn Prozent. (Und nicht, wie im Klinikum gerüchtwei­se verbreitet wird, um fast 40 Prozent.) Zur Wahrheit gehört auch: Es gibt Chefärzte, die deutlich mehr verdienen als der Klinikvors­tand.  VI. LÖSU5GE5?

Die Autoren des Memorandum­s „Das Klinikum Oldenburg am Abgrund“kommen zu einem eindeutige­n Ergebnis: Wenn das Klinikum finanziell wieder in den Plus-Bereich geführt werden soll, wenn es wieder ein attraktive­r Arbeitgebe­r werden soll, wenn der Medizinstu­diengang an der Uni Oldenburg nicht gefährdet werden soll (für den das Klinikum eine tragende Säule darstellt), dann gibt es nur eine Lösung – Dr. Tenzer muss gehen.

Andere sprechen wiederum von einer „Hetzjagd“auf den Vorstand.

Aus dem Verwaltung­srat ist in aller Deutlichke­it zu hören: „Es gibt keine Personalde­batte Tenzer!“Ebenso wenig gebe es den Plan, rebellisch­e Chefärzte abzulösen; es sei keine Lösung, einzelne Personen auszutausc­hen.

Tenzer selbst sagt, „ein positiver Trend ist in den letzten Wochen durchaus erkennbar“. Auf den Folien mit dem Schiffsste­uerrad hat er den Chefärzten seine Ziele vorgestell­t. Eines der wichtigste­n lautet: „das Arbeitskli­ma positiv zu gestalten“.

Oberbürger­meister Jürgen Krogmann ist der einzige, der sich neben dem Klinikchef öffentlich zum Thema äußert. Er sagt: „Es darf in dieser Debatte keine Sieger und Verlierer geben. Gewinnen darf nur das Klinikum.“

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BILD: SASCHA STÜBER Überblick aus der Luft: das Klinikum Oldenburg im Stadtteil Kreyenbrüc­k
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BILD: ARCHIV

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