Diagnose: Schwer verschnupft
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OLn75BU5G DeH LGH=tInd hat schlechte Nachrichten, als er an diesem Donnerstag Anfang April vor seine Chefärzte tritt. Dr. Dirk Tenzer, 46 Jahre alt, muss dem Ärztlichen Direktorium mitteilen, dass das Klinikum Oldenburg das Jahr 2017 mit einem Rekord-Defizit abschließen wird: minus 16,77 Millionen Euro. Tenzer hat Folien vorbereitet, er will den Chefärzten demonstrieren, wie das Haus wieder aus den Miesen kommen kann. Jede der Folien trägt ein Logo, es zeigt ein blaues Schiffssteuerrad, darunter steht „Kurskorrektur 2018“.
Aber nur Tage später liegen die Zahlen für die ersten drei Monate des Jahres 2018 auf dem Tisch, im sogenannten Frühwarnsystem der Controlling-Abteilung zeigen viele rote Linien nach unten. „Das ist der schlechteste Start seit Jahren“, murrt jemand.
Dabei hatte Tenzer kaum zwölf Monate zuvor noch das Ziel ausgegeben, das Jahr 2017 mit einem Plus von rund 214 000 Euro abzuschließen. Wie konnte das Klinikum, mit knapp 2900 Köpfen zweitgrößter Arbeitgeber in der Stadt Oldenburg nach der EWE, innerhalb kurzer Zeit so tief ins Minus rutschen? I. DAS MI5US
Das Defizit setzt sich aus zwei Posten zusammen. Der erste Posten ist das sogenannte operative Ergebnis: Bei der Berechnung von Einnahmen und Ausgaben stand am Jahresende ein Minus von fast 6 Millionen.
Der zweite Posten sind Rückstellungen; das sind ungewisse Verbindlichkeiten, die das Klinikum in der Zukunft erwartet und die deshalb in die Bilanz aufgenommen werden müssen. Tenzer hat Rückstellungen in Höhe von 10,8 Millionen Euro gebildet für zwei mögliche Schadensfälle.
Im ersten Fall geht es um mögliche Kosten und Forderungen aus der Mordserie Niels Högel. Bereits 2014 hatte das Klinikum für den Fall Högel Rückstellungen in Höhe von drei Millionen Euro verbucht und ein Defizit in gleicher Höhe vermeldet.
Im zweiten Fall handelt es sich um Rückstellungen im Fall des ehemaligen Chefarztes Prof. Dr. Hans-Rudolf Raab, gegen den die Staatsanwaltschaft „wegen des Verdachts der falschen Behandlung von Patienten und des Abrechnungsbetrugs“ermittelt, wie die Behörde mitteilte. Die Ermittlungen dauern an.
Die Rückstellungen sind laut Klinikleitung „Sondereffekte“. Aber warum rutschte das Klinikum im operativen Geschäft so tief ins Minus?
Klinikvorstand Tenzer begründet das mit einem Rückgang der Behandlungszahlen um etwa drei Prozent. Und für diesen Rückgang sieht er wiederum zwei Gründe. Der erste Grund trägt laut Tenzer wieder die Überschrift „Niels Högel“: Als im Spätsommer 2017 die Zeitungen berichteten, dass der Ex-Pfleger in Oldenburg deutlich mehr Menschen getötet hat als bislang bekannt und dass die Ermittler Klinikmitarbeitern eine Mitschuld daran vorwerfen wegen Wegschauens, gingen die Patientenzahlen „punktuell“zurück, wie Tenzer es nennt. Betroffen war demnach vor allem die Herzchirurgie, Högels ehemalige Abteilung. ÐInformationen zufolge gab es sogar zwei Tage lang keinen einzigen Patienten auf der Station – ein bislang einmaliger Vorgang im Klinikum, heißt es. Die Herzchirurgie gilt als wichtiger Umsatzbringer in Krankenhäusern.
Schwerer als der Fall Högel wirkte sich aber ein anderer Faktor auf die Behandlungszahlen aus: der Personalmangel. II. DER PERSO5ALMA5GEL
Im Klinikum fehlen Ärzte und Pflegekräfte. In einigen Bereichen fehlen offenbar bis zu zehn Prozent der Mediziner. Betroffen ist vor allem die innere Medizin. Wenn Ärzte und Pfleger fehlen, können Patienten nicht entsprechend versorgt werden. Das Klinikum reagiert darauf mit Bettensperrungen. Den Ð-Recherchen zufolge sind aktuell rund 60 Betten gesperrt. Zeitweise waren auch schon bis zu 100 Betten gesperrt. Klinikchef Tenzer räumt einen solchen vorübergehenden Anstieg ein, begründet diesen aber mit der Grippewelle, die das Klinikum im März stark getroffen habe. Auch OP-Säle musste das Klinikum immer wieder kurzfristig wegen Personalmangels schließen.
Personalmangel im Gesundheitsbereich ist ein bundesweites Problem. Schwierigkeiten, freie Stellen zu besetzen, haben deshalb auch andere Häuser in der Region. Hinter vorgehaltener Hand
werden auch dort vorübergehende Bettensperrungen bestätigt (auch hier vor allem während der Grippewelle). Allerdings sind im Klinikum Oldenburg, ein 832-BettenHaus, zeitweise zehn Prozent und mehr der Betten gesperrt. Das gilt als ungewöhnlich viel.
Nachweisbar ist, dass in den vergangenen Monaten viele Mitarbeiter das Klinikum verlassen haben. Zahlreiche Ärzte haben gekündigt, viele von ihnen wechselten in Nachbarhäuser, nach Brake zum Beispiel oder nach Westerstede. Der Ð liegen lange Namenslisten vor, in anonymen Schreiben an die Redaktion ist von einem „Exodus“die Rede.
Mitunter hat so ein Weggang unmittelbare finanzielle Auswirkungen: Zum Beispiel habe der Wechsel eines namhaften Brustspezialisten nach Westerstede zu einer Halbierung der entsprechenden Fälle in seiner ehemaligen Abteilung geführt, berichten Insider. Auch der Weggang verschiedener Chefärzte wirkt sich offenbar auf die Zahlen aus: Im Frühwarnsystem des Controllings fällt auf, dass besonders häufig die Kurven der Abteilungen ohne Leitung nach unten weisen.
Offenbar treffen Personalmangel und Personalfluktuation das Klinikum härter als andere Häuser. Die Frage lautet: Warum ist das so? III. DAS BETRIEBSKLIMA
Ende November 2017, nach einer Betriebsversammlung im Klinikum, liegt ein anonymer Brief im Postkasten der Ð. Es ist der erste einer ganzen Reihe von Zuschriften, er ist unterschrieben von einer „Gruppe von Mitarbeitern“, die sich „Sorgen um die Entwicklung des Klinikums unter dem Vorstand Herrn Dr. Tenzer“machen. Die Mitarbeiter schreiben von „Angst“und von einem „repressiven Klima“, von einem „System Dirk Tenzer der Beobachtung, teils Bespitzelung, Drohungen und Abmahnungen“. In anderen Schreiben findet sich später regelmäßig das Wort „Frustration“.
Im Gespräch mit der Ð weisen Mitarbeiter des Klinikums (die alle anonym bleiben wollen) immer wieder auf fristlose Kündigungen hin, die es in der Vergangenheit gab. Tatsächlich mussten beispielsweise der OP-Manager und der Qualitätsmanager zur Überraschung vieler Mitarbeiter gehen. Auch die plötzliche Trennung von Professor Raab hat viele Fragen aufgeworfen. Ein Mitarbeiter antwortet beim Versuch der Kontaktaufnahme durch die Ð mit einem Scherz: „Ja, ich arbeite da – ich wurde noch nicht entlassen.“
Tenzer selbst sagt, er nehme durchaus „eine Verunsicherung durch die Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens, unsere aktuelle wirtschaftliche Entwicklung und durch viele notwendige Veränderungen in unserem Haus“wahr.
Mitarbeiter beschreiben die „Veränderungen“vor allem als Sparmaßnahmen, während gleichzeitig neu geschaffene Stellen ausschließlich die Verwaltung stärkten.
Hinzu kommt, dass Tenzer buchstäblich als nicht leicht zugänglich gilt; im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger hält er seine Bürotür zumeist verschlossen. Einige Kritiker sagen ihm nach, er handele „autokratisch“und „intransparent“. Er selbst weist das zurück und spricht von einem „sehr transparenten Weg“.
Der Klinikchef hat aber durchaus auch Unterstützer, im eigenen Haus und außerhalb. Aus dem elfköpfigen Verwaltungsrat, dem Aufsichtsrat des Klinikums, ist beispielsweise zu hören, es kündige doch kein Ober- oder Assistenzarzt wegen des Vorstands – der Grund sei fast immer bei der eigenen Abteilungsleitung zu suchen. Mit anderen Worten: bei einem Chefarzt. Tatsächlich liegen der Ð Belege vor, die die Personalprobleme in einer Abteilung allein dem dortigen Chefarzt anlasten. Er habe „in den letzten Jahren zwischen 10-20 Oberärzte verschlissen“, seine Klinik sei ein „Durchlauferhitzer“, in der „schon viele Ärzte verbrannt“worden seien.
Aber wer setzt so einen Durchlauferhitzer unter Strom? Eine Mitarbeiterin aus der betreffenden Abteilung berichtet vom „enormen Druck“durch den Chefarzt, der sich allerdings auf die Verwaltung berufe: „Immer hieß es: Herr Tenzer will, Herr Tenzer sagt, Herr Tenzer fordert.“ IV. STREIT A5 DER SPITZE
Besonders schlecht ist das Klima zweifellos an der Klinikspitze. Das Verhältnis zwischen Vorstand und großen Teilen des Ärztlichen Direktoriums gilt als zerrüttet, die Rede ist von einem „tiefen Zerwürfnis“.
Offenbar kursiert in politischen Kreisen bereits ein mehr als 60-seitiges „Memorandum“mit dem Titel „Das Klinikum Oldenburg am Abgrund“. Die unbekannten Verfasser (angeblich steckt „ein ganzes Kollektiv an Autoren“dahinter) widmen dem Zerwürfnis Vorstand/Direktorium ein eigenes Kapitel. Darin heißt es, das Ärztliche Direktorium sei durch den Vorstand faktisch entmachtet worden; das Gremium habe nur noch die Funktion, Berichte und Anweisungen entgegenzunehmen.
Einige Chefärzte werfen Tenzer zudem Intransparenz vor; er setze sie regelmäßig mit Zahlen aus ihren Abteilungen unter Druck, die sie nicht nachvollziehen könnten. In Besprechungen sei es wiederholt zum „Eklat“gekommen.
Ein Tenzer-Unterstützer sagt: „Das ist doch klar, dass die Chefärzte sauer sind. Tenzer ist in deren Komfortzone eingedrungen.“Ein anderer beobachtet: „Tenzers Vorgänger hat die Chefärzte immer an der langen Leine gelassen, das ändert sich gerade.“
Ein Mediationsverfahren sollte den Bruch an der Klinikspitze wieder kitten. Offiziell äußert sich niemand dazu, aber nach Informationen der Ð ist das Verfahren inzwischen von Ärzteseite aus abgebrochen worden. V. DER AUFSICHTSRAT
Im Klinikum Oldenburg führt der elfköpfige Verwaltungsrat Aufsicht. Die Mitglieder stammen zum größten Teil aus der Mitarbeiterschaft und aus dem Rat der Stadt, der Eigentümerin des Klinikums. Fünf Kommunalpolitiker aus vier Parteien und der Oberbürgermeister gehören dem Gremium an.
Der Verwaltungsrat ist zu Stillschweigen verpflichtet, dementsprechend äußert sich niemand öffentlich zu den Vorgängen im Klinikum. Allerdings ist zu hören, dass das Gremium geschlossen hinter Dr. Tenzer steht. Ein Mitglied lobt ihn als „hoch kompetent“, ein anderes als „blitzgescheit“. „Wir sind auf einem guten Weg“, glaubt ein Mitglied.
Aus dem Ärztlichen Direktorium ist hingegen Kritik zu hören. Dort heißt es: Kein Wunder, dass der Verwaltungsrat hinter Tenzer steht – die reden ja auch nur mit ihm!
Gerade erst hat das Gremium Tenzers Jahresgehalt von 310 000 Euro erhöht: um rund zehn Prozent. (Und nicht, wie im Klinikum gerüchtweise verbreitet wird, um fast 40 Prozent.) Zur Wahrheit gehört auch: Es gibt Chefärzte, die deutlich mehr verdienen als der Klinikvorstand. VI. LÖSU5GE5?
Die Autoren des Memorandums „Das Klinikum Oldenburg am Abgrund“kommen zu einem eindeutigen Ergebnis: Wenn das Klinikum finanziell wieder in den Plus-Bereich geführt werden soll, wenn es wieder ein attraktiver Arbeitgeber werden soll, wenn der Medizinstudiengang an der Uni Oldenburg nicht gefährdet werden soll (für den das Klinikum eine tragende Säule darstellt), dann gibt es nur eine Lösung – Dr. Tenzer muss gehen.
Andere sprechen wiederum von einer „Hetzjagd“auf den Vorstand.
Aus dem Verwaltungsrat ist in aller Deutlichkeit zu hören: „Es gibt keine Personaldebatte Tenzer!“Ebenso wenig gebe es den Plan, rebellische Chefärzte abzulösen; es sei keine Lösung, einzelne Personen auszutauschen.
Tenzer selbst sagt, „ein positiver Trend ist in den letzten Wochen durchaus erkennbar“. Auf den Folien mit dem Schiffssteuerrad hat er den Chefärzten seine Ziele vorgestellt. Eines der wichtigsten lautet: „das Arbeitsklima positiv zu gestalten“.
Oberbürgermeister Jürgen Krogmann ist der einzige, der sich neben dem Klinikchef öffentlich zum Thema äußert. Er sagt: „Es darf in dieser Debatte keine Sieger und Verlierer geben. Gewinnen darf nur das Klinikum.“