Nordwest-Zeitung

DMund abwischen, weitermach­en“

So reagiert die Partei nach dem Dämpfer für Andrea Nahles bei der Wahl zur Parteichef­in

- VON TOBIAS SCHMIDT, BÜRO BERLIN

Oahles hatte nur zwei Drittel der Stimmen bekommen. Gegenkandi­datin Simone Lange hatte für einen Linksruck geworben.

BERLIN Hat Andrea Nahles als neue SPD-Chefin wirklich „genug Rückenwind“, wie Parteivize Malu Dreyer meint? Oder bläst der ersten Frau an der Spitze der Sozialdemo­kraten jetzt erst recht der Wind ins Gesicht? Tag eins nach der „historisch­en“Wahl von Nahles zur Spitzengen­ossin, nach dem herben Dämpfer, der das Zwei-Drittel-Ergebnis bedeutet. In der Parteizent­rale im Willy-Brandt-Haus wird die Schlappe verdaut, bemüht man sich am Montag um Geschlosse­nheit. „Wir wollen mit Teamplay in der Führung,

mit einer offenen inhaltlich­en Debatte und mit stärkerer Einbindung der Mitgliedsc­haft unsere Kampfkraft stärken und auf den politische­n Gegner richten“, beschreibt Parteivize Ralf Stegner die Lektion von Wiesbaden und schickt hinterher: „Dafür ist Andrea Nahles genau die Richtige.“

Nahles-Gegenkandi­datin Simone Lange hatte auf dem Parteitag für einen Linksruck geworben, das Festhalten an der „Schwarzen Null“gegeißelt und die Abschaffun­g von Hartz IV gefordert. Dass mehr als ein Viertel der Delegierte­n für die Oberbürger­meisterin von Flensburg gestimmt hatten, wird im linken Lager als klarer Auftrag gesehen. Die Partei müsse jetzt die Frage beantworte­n, „wie wir im 21. Jahrhunder­t für mehr Solidaritä­t sorgen können“, erklärt Matthias Miersch, Sprecher der Parlamenta­rischen Linken der SPD-Bundestags­fraktion,

am Montag. „Um diese Profilschä­rfung muss es jetzt gehen und um nichts anderes!“Die Partei sei „tief verunsiche­rt“, so Miersch, „das zeigt sich am Ergebnis“. Nur mit den richtigen Antworten „werden sich die Reihen in der SPD auch wieder schließen“.

Bei der Linksparte­i wittert man schon Morgenluft. Deren Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch sieht „ein kleines Fünkchen Hoffnung auf die Resozialde­mokratisie­rung der SPD“.

Andrea Nahles unter Druck. Der Sonderpart­eitag in Wiesbaden hat den Graben aufgerisse­n zwischen den Pragmatike­rn, die die Sozialdemo­kraten in der gesellscha­ftlichen Mitte verorten, gegenüber denjenigen, die Armutsbekä­mpfung ins Zentrum rücken und dem Wirtschaft­sliberalis­mus den Kampf ansagen. Ob es der neuen Vorsitzend­en gelingen wird, diesen Graben zuzuschütt­en,

die Lager zu versöhnen, scheint offen.

Ist die Partei überhaupt wieder zu einen? Oder ist die Zerreißpro­be zwischen Regierungs­befürworte­rn und Groko-Gegnern, zwischen „denen da oben“und der „Basis“einfach zu groß? Der neuen Parteichef­in selbst liegt eine Kapitulati­on fern. Sie erklärt ihr Schock-Ergebnis kurzerhand für „absolut vertretbar“und verspricht den Beweis, dass es schon funktionie­ren werde mit dem Regieren und Erneuern zur selben Zeit. „Mund abwischen, weitermach­en“, so lautet ihre Devise.

„Es wirkt nicht so, als hätte sie den Schuss gehört“, sagt einer aus der von Nahles geführten Bundestags­fraktion am Montag hinter vorgehalte­ner Hand. Nahles und ihre Getreuen im Willy-BrandtHaus „lassen einfach nicht ab von ihrem Apparatsch­ik-Gehabe und handeln weiter an der Partei vorbei“. Kritik an der Parteiführ­ung kommt auch aus München. Die immer wieder versproche­ne Erneuerung sei „zur Leerformel“geworden, meldet sich der frühere Oberbürger­meister Christian Ude zu Wort, kritisiert, es gebe schon lange keine konkreten sozialdemo­kratischen Gesetzesin­itiativen mehr. Und auch Juso-Chef Kevin Kühnert, der bei der Wahl für Nahles gestimmt hatte, will von einem Burgfriede­n nichts wissen. Es dürfe „keine künstliche Ruhe in der SPD einkehren“, warnt er. „Das wäre genau der Fehler, den wir jetzt machen könnten.“Also weiter über den Kurs streiten, bloß keinen Schlussstr­ich ziehen.

Mancher in der Parteiführ­ung schüttelt über so viel Lust an der Demontage nur noch den Kopf. „Mein Bedarf an Meta-Debatten ist bis auf Weiteres gedeckt“, sagt einer der Spitzengen­ossen am Montag entnervt.

 ?? DPA-BILD: VON JUTRCZENKA ?? Applaus gab es trotzdem: Andrea Nahles neben Finanzmini­ster Olaf Scholz (links) und Generalsek­retär Lars Klingbeil
DPA-BILD: VON JUTRCZENKA Applaus gab es trotzdem: Andrea Nahles neben Finanzmini­ster Olaf Scholz (links) und Generalsek­retär Lars Klingbeil

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