DMund abwischen, weitermachen“
So reagiert die Partei nach dem Dämpfer für Andrea Nahles bei der Wahl zur Parteichefin
Oahles hatte nur zwei Drittel der Stimmen bekommen. Gegenkandidatin Simone Lange hatte für einen Linksruck geworben.
BERLIN Hat Andrea Nahles als neue SPD-Chefin wirklich „genug Rückenwind“, wie Parteivize Malu Dreyer meint? Oder bläst der ersten Frau an der Spitze der Sozialdemokraten jetzt erst recht der Wind ins Gesicht? Tag eins nach der „historischen“Wahl von Nahles zur Spitzengenossin, nach dem herben Dämpfer, der das Zwei-Drittel-Ergebnis bedeutet. In der Parteizentrale im Willy-Brandt-Haus wird die Schlappe verdaut, bemüht man sich am Montag um Geschlossenheit. „Wir wollen mit Teamplay in der Führung,
mit einer offenen inhaltlichen Debatte und mit stärkerer Einbindung der Mitgliedschaft unsere Kampfkraft stärken und auf den politischen Gegner richten“, beschreibt Parteivize Ralf Stegner die Lektion von Wiesbaden und schickt hinterher: „Dafür ist Andrea Nahles genau die Richtige.“
Nahles-Gegenkandidatin Simone Lange hatte auf dem Parteitag für einen Linksruck geworben, das Festhalten an der „Schwarzen Null“gegeißelt und die Abschaffung von Hartz IV gefordert. Dass mehr als ein Viertel der Delegierten für die Oberbürgermeisterin von Flensburg gestimmt hatten, wird im linken Lager als klarer Auftrag gesehen. Die Partei müsse jetzt die Frage beantworten, „wie wir im 21. Jahrhundert für mehr Solidarität sorgen können“, erklärt Matthias Miersch, Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion,
am Montag. „Um diese Profilschärfung muss es jetzt gehen und um nichts anderes!“Die Partei sei „tief verunsichert“, so Miersch, „das zeigt sich am Ergebnis“. Nur mit den richtigen Antworten „werden sich die Reihen in der SPD auch wieder schließen“.
Bei der Linkspartei wittert man schon Morgenluft. Deren Fraktionschef Dietmar Bartsch sieht „ein kleines Fünkchen Hoffnung auf die Resozialdemokratisierung der SPD“.
Andrea Nahles unter Druck. Der Sonderparteitag in Wiesbaden hat den Graben aufgerissen zwischen den Pragmatikern, die die Sozialdemokraten in der gesellschaftlichen Mitte verorten, gegenüber denjenigen, die Armutsbekämpfung ins Zentrum rücken und dem Wirtschaftsliberalismus den Kampf ansagen. Ob es der neuen Vorsitzenden gelingen wird, diesen Graben zuzuschütten,
die Lager zu versöhnen, scheint offen.
Ist die Partei überhaupt wieder zu einen? Oder ist die Zerreißprobe zwischen Regierungsbefürwortern und Groko-Gegnern, zwischen „denen da oben“und der „Basis“einfach zu groß? Der neuen Parteichefin selbst liegt eine Kapitulation fern. Sie erklärt ihr Schock-Ergebnis kurzerhand für „absolut vertretbar“und verspricht den Beweis, dass es schon funktionieren werde mit dem Regieren und Erneuern zur selben Zeit. „Mund abwischen, weitermachen“, so lautet ihre Devise.
„Es wirkt nicht so, als hätte sie den Schuss gehört“, sagt einer aus der von Nahles geführten Bundestagsfraktion am Montag hinter vorgehaltener Hand. Nahles und ihre Getreuen im Willy-BrandtHaus „lassen einfach nicht ab von ihrem Apparatschik-Gehabe und handeln weiter an der Partei vorbei“. Kritik an der Parteiführung kommt auch aus München. Die immer wieder versprochene Erneuerung sei „zur Leerformel“geworden, meldet sich der frühere Oberbürgermeister Christian Ude zu Wort, kritisiert, es gebe schon lange keine konkreten sozialdemokratischen Gesetzesinitiativen mehr. Und auch Juso-Chef Kevin Kühnert, der bei der Wahl für Nahles gestimmt hatte, will von einem Burgfrieden nichts wissen. Es dürfe „keine künstliche Ruhe in der SPD einkehren“, warnt er. „Das wäre genau der Fehler, den wir jetzt machen könnten.“Also weiter über den Kurs streiten, bloß keinen Schlussstrich ziehen.
Mancher in der Parteiführung schüttelt über so viel Lust an der Demontage nur noch den Kopf. „Mein Bedarf an Meta-Debatten ist bis auf Weiteres gedeckt“, sagt einer der Spitzengenossen am Montag entnervt.