HÄFTLING UND JVA-CHEF IM DOPPEL-INTERVIEW
Von einem, der auszieht, Freiheit zu lernen – Und von einem, der noch lange Unfreiheit erleben muss
Ob man denn in solch einem Abschiedsgespräch mal ganz persönlich werden dürfe? „Sie dürfen alles“, sagt Gerd Koop, während er einen Kartonbogen auseinander faltet und die Pappfelder ineinander steckt. 27 Jahre Chef der Justizvollzugsanstalt Oldenburg, der alten und der neuen – Koop hat’s gepackt. Und packt. Und dann beginnt also dieses hochspannende Gespräch mit einem, der gern und leidenschaftlich und immer wieder über die Arbeit des Menschen Koop spricht. Was und wer sich aber tatsächlich dahinter verbirgt, wird nur zwischen den vielen Zeilen deutlich. Wenn überhaupt. Wie denkt denn der Koop über den Koop? „Naja, das Ministerium hat mich immer machen lassen, ich bin da auch wahnsinnig stolz auf unser Personal, das...“– Moment mal. Das ist nur der berufliche Aspekt. Was macht den Koop denn bitteschön privat aus? „Also ich liebe ja Menschen und habe mich nie von schweren Straftaten der Häftlinge beeinflussen...“– nun, es ist kompliziert. Fürs Abschiedsgespräch mit der über die große Gesellschaft und die kleine JVA-Welt muss deshalb Verstärkung her: Jürgen Zosse (Name geändert). Der 50-Jährige aus der Gefangeneninteressenvertretung sitzt seit siebeneinhalb Jahren wegen Mordes ein, siebeneinhalb weitere Jahre hat er an der Cloppenburger Straße noch vor sich. Hier also: Von einem, der mehr oder minder freiwillig auszieht – und von einem, der unfreiwillig noch lange Zeit wird bleiben müssen.
FRAGE: Freiheit... ZOSSE: ... ist für mich eingeschränkt, klar, und es ist sehr schwer, damit umzugehen. Freiheit ist Familie, mehr Zeit für sie zu finden. Ich arbeite darauf hin, wieder in meine Familie zu kommen, meiner Arbeit draußen nachzugehen. Man muss viel dafür tun, hart an sich arbeiten – es liegt an jedem selbst, Wege zu finden, damit klar zu kommen. KOOP: Wenn jemand in die Haft kommt, müssen wir erst einmal klar machen, dass hier Unfreiheit beginnt – das darf aber nicht in Mutlosigkeit enden. Das beschäftigt mich sehr stark. Am Ende der Haft soll ja die Freiheit stehen, das ist für manche Inhaftierte ein langer, beschwerlicher, herausfordernder Weg. Erst einmal aber haben sie sich selbst in die La- Packen für die Rente@ Gerd Koop (6A), noch Leiter der Justizvollzugsanstalt an der Cloppenburger Straße, räumt nach 2B-Cähriger Oldenburger Dienstbarkeit seine Schränke aus.
ge gebracht, in dieser Anstalt sein zu müssen ... ZOSSE: ...richtig ... KOOP: ... und müssen den Preis dafür bezahlen. Ganz elementar ist: Ich muss helfen, dass der Häftling wieder an die Zukunft und Freiheit glauben kann – ob in einem, zehn oder 30 Jahren. Man darf sich nie aufgeben.
Koop betont stets, auf das Gute im Menschen zu vertrauen. Daran hat auch der 13. Mai 1991 nichts geändert – der Tag, an dem er die JVA Oldenburg unter seine Fittiche nahm. EMails signiert er mit dem Radbruch-Zitat „Es gibt kein besseres Mittel, das Gute in den Menschen zu wecken, als sie so zu behandeln, als wären sie schon gut.“Und genau so hat er das Regiment im Hause geführt. JVA-Leiter Gerd Koop
FRAGE: Regeln ... ZOSSE: ... müssen sein, um diesen Vollzug durchzukriegen. Dazu gehört Sauberkeit, das ist für mich wichtig und wurde hier auch jahrelang sehr gut eingehalten – was mich sehr gewundert hat. Es gibt geregelte Strukturen, die von den Bediensteten auch richtig durchgesetzt werden. KOOP: Ich kann dieses Gefängnis nur so liberal führen, weil wir klare Regeln haben, die ich auch bedingungslos einfordere. Sie fördern den Respekt untereinander, darunter fallen wichtige Aspekte der Sauberkeit, der Gewaltfreiheit
und auch der Verzicht auf Drogen. Das ist nicht so leicht in einem Gefängnis. Wir aber gehören zu den Anstalten, in denen relativ wenig Drogen und wenig Gewalt vorkommen. Es gibt einen ganz klaren Zusammenhang zwischen Sauberkeit und Gewaltreduzierung in einem Gefängnis.
Koop bezeichnet seine JVA als „Silicon Valley“des hiesigen Strafvollzugs, als „Experimentierbude“. Eine, in die er seine Erfahrungswerte als Pädagoge, Coach und Manager – gestartet mit einem Hauptschulabschluss, via Handelsschule über Ausbildung und Studiengänge empor gearbeitet – eingebracht hat. 1991 machte er sich mit der Anstalt in Kreyenbrück gedanklich auf den Weg, wirkte als Projektleiter an deren Planung mit. Noch länger aber ist er auch Familienmensch, seit 30 Jahren verheiratet mit einer Frau, die „mein bester Coach ist“, sagt er. Koop ist Christ, katholisch und ein „bunter Blumenstrauß“, wie er im weiteren Austausch dann doch etwas persönlicher wird: „Ich kann nichts richtig gut, aber vieles ein bisschen.“Dann greift er zur Tasse, nimmt schnell einen tiefen, langen Schluck.
FRAGE: Die Gesellschaft ... ZOSSE: Klar versteht man, dass man uns Gefangene da draußen anders sieht. Wir haben unsere Taten begangen und müssen dafür büßen. Aber dass man eine zweite Chance bekommt und sich erarbeiten kann, ist gut. Dass die Angehörigen der Opfer draußen auch irgendwann damit umgehen könnten, wenn wir wieder rauskommen. Es ist zwar schwer, wie man hört, da man uns nicht haben will – aber vielleicht können wir ja doch noch ein bisschen in der Gesellschaft dazugehören. KOOP: Die Gesellschaft hat ein eigenes Bild von einer JVA, das oft überhaupt nicht identisch mit dem wahren Leben ist. Hier spielen ganz andere Dinge eine Rolle, als es die Gesellschaft formuliert. Wenn man einfach nur „für immer wegsperren“wollte, müsste man kein Strafvollzugsgesetz mehr
haben. Da beginnt für uns auch die Herausforderung – die Gesellschaft von Anfang an einzubinden. Deshalb machen wir auch so viel Öffentlichkeitsarbeit. Das ist die Brücke zur Freiheit.
Koop stellt Koop immer wieder in Frage. Bei jeder Entscheidung, mit jedem Satz. Auch wenn dies oftmals anders, ja eher gegenteilig wirken mag. Koop kann zweifellos verkaufen – und scheut sich nicht, dies zu verteidigen: „Tue Gutes und rede darüber!“Solange es dem guten Zweck und dem Guten im Menschen dient, habe es seine Berechtigung. Dass die eigene Tochter indes viele Züge des Herrn Papa trage, sich aber gleichsam auch von ihm abgrenzen könne, wertet er als starkes Zeichen. Auch wenn es in ihm vielleicht etwas anders aussehen mag. „Ich begleite sie als Vater, beeinflussen kann ich sie nicht.“ JVA-Insasse Jürgen ZosseE
FRAGE: Ein Jahr ... KOOP: Für mich ist das Jahr ganz schnell weg. Wenn ich etwas verändern möchte, ist so ein Jahr gar nichts. Ich weiß aber natürlich auch, dass ein Jahr ein ganz großer Unterschied ist, zwischen meinem Denken und Ihrem ... ZOSSE: Ja, das ist eine sehr schwere Sache für uns, das durchzuhalten. Der Tag ist sehr lang, viel länger als draußen. Man denkt über viele Dinge, die Tat und so, nach. Man versucht sich zu erklären, warum, wieso hat man... Die siebeneinhalb Jahre bis jetzt sind eine verlorene Zeit im Leben. Aber wir haben einen Ausgleich durch Sport, Spiele und Bücherei, die wir nutzen können, um vor dem nächsten Einschluss einigermaßen den Kopf frei zu kriegen.
Bei den „Rolling Bones“hat Koop Gitarre gespielt, zu Rock und Blues auch mal in die Tasten gegriffen. Wenn er künftig wieder über mehr Zeit verfügen kann, wird sich diese Leidenschaft, eine von vielen, also sicherlich nochmals auf sein Fingerspitzengefühl auswirken. Ob’s die werte Gattin freuen mag? Mit Glück treibt
sich Koop aber auch weiter in der Weltgeschichte herum, wird freiberuflich Menschen fangen, führen und coachen. Alles Erlebnisse, die für sein Gegenüber Zosse im wahrsten Sinne Zukunftsmusik sind.
FRAGE: Wie ist das Leben hinter Oldenburger Gittern? KOOP: Ich habe mich früher immer geärgert, dass Inhaftierte überall für jede Hafterleichterung kämpfen mussten. Am Ende haben sie aber trotzdem geschimpft: Eu re Anforderungen können wir nicht erfüllen! So gab es immer Feindbilder zwischen Mitarbeitern und Inhaftierten. Das habe ich versucht, zu verändern – wir haben den deutschen Strafvollzug auf den Kopf gestellt. Von Beginn an haben alle seitdem die Vergünstigungen, die man überhaupt bekommen kann. Es hat dazu geführt, dass die Inhaftierten nicht auf dumme Gedanken wie Selbstmorde oder Unterdrückung untereinander kommen. Die innere Öffnung führt zu einer neuen Form von Kommunikation, was ein wichtiger Indikator für Veränderung ist. Konsequent und liberal! Wir reagieren sehr schnell und sehr hart, aber gewähren auch unglaublich viele Freiheiten. Die Inhaftierten wissen, dass es ein ganz hohes Gut ist. ZOSSE: Die Konsequenzen finde ich gut, manchmal ein bisschen zu hart. Aber darüber entscheiden ja die, die den Fehler begangen haben.
Neun Justizminister hat Koop in seiner „Strafvollzugszeit“quasi verbraucht. Einer, der die Eröffnung der neuen Oldenburger JVA 2001 miterlebt hatte, ist Prof. Dr. Christian Pfeiffer (niedersächsischer Justizminister 2000-2003). Der schwärmt bis heute in Vorträgen allerorts von seinem einstigen Angestellten – „dem besten Anstaltsleiter, den ich hatte“. Auf -Nachfrage zum Abschied Koops spricht Pfeiffer vom „schweren Verlust“, sagt: „Er ist der empirische Beweis dafür, dass Dinge um so besser laufen, je gerechter und fairer der Führungsstil ist.“ FRAGE: Es geht hier immer nur um Täter. Welche Bedeutung kommt den Opfern zu? ZOSSE: Man wird immer daran erinnert. Ich bin ein Täter – und muss damit klar kommen, mein Leben lang. Alles ist zusammengebrochen und nicht rückgängig zu machen, aber dazu muss ich stehen. Ich bin froh, dass man hier mit Psychologen reden kann und die Chance bekommt, irgendwann einen Punkt zu setzen. KOOP: Für mich ist Täterverantwortung der beste Opferschutz – die alltägliche Auseinandersetzung mit den Opfern, Taten und sich selbst. Wir haben schon vor 15 Jahren einen Arbeitskreis gebildet, arbeiten eng mit Opferschutzeinrichtungen zusammen und haben selbst hohe Erwartungen an Inhaftierte. Am Ende der Haft soll der Täter sagen: Ja, ich selbst bin dafür verantwortlich, niemand anders. Wenn ich den Eindruck habe, selbst das Opfer zu sein, obwohl ich jemanden getötet oder vergewaltigt habe, dann passt das nicht. Wir helfen also zunächst dabei, dass die Gesellschaft geschützt wird vor Menschen, die noch nicht so weit sind. Bloßes Wegsperren hat aber noch nie einen Menschen gebessert, das Leben außerhalb der Mauern muss auch geübt werden. Unser Job ist nicht die dauerhafte Bestrafung, sondern die Nachbarschaftsproduktion. Am Ende muss dies jedoch auch die Gesellschaft so akzeptieren – dann will ich nicht, dass noch ein Vorbehalt gegenüber den vorher Inhaftierten besteht.
Dass Koop schon jetzt im Mai und nicht erst wie zunächst geplant im November die schweren JVA-Eisentüren ein letztes Mal zuzieht, hat in erster Linie akute gesundheitliche Gründe. Eine lange Zeit im derart massiven Dienste der Gesellschaft wirkt sich halt irgendwann auch auf Kopf oder Körper aus. Verdient ist der Ruhestand gewiss allemal, gewünscht hätte man ihm aber auch einen späteren Abschied – aus wohl ganz egoistischen Gründen, wie man dem Bedauern des Justizministeriums entnehmen kann. Denn: „Herr Koop ist ein sehr erfahrener und langjährig verdienter Anstaltsleiter und genießt über die Landesgrenzen hinaus Anerkennung“, heißt es dort auf Nachfrage. Eine offizielle Verabschiedung im würdigen Rahmen gibt’s trotzdem erst, wenn die Nachfolge feststeht. Das kann noch etwas dauern: Die Stelle wird erst im Sommer ausgeschrieben. Sei’s drum. Koop packt ein. Endgültig. Die Autogramme von Westernhagen, von Rehhagel, von der Ferres – die öffentlichkeitswirksam zu Besuch in seinem Knast waren. All die neuen Standardwerke im Strafvollzug, an denen er selbst mitgewirkt hat. Und ein paar weitere Erinnerungen aus einem Knast, der an Koop sicher noch lange, lange Zeit erinnern wird.
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weitere Auszüge des Interviews mit Gerd Koop und Häftling Jürgen Zosse in einem Videomitschnitt unter
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