Nordwest-Zeitung

„Ein Vordenker der Diktatur“

Hubertus Knabe über die neue Karl-Marx-Verehrung in Deutschlan­d

- VON ALEXANDER WILL

FRAGE: In Deutschlan­d scheint es eine große KarlMarx-Renaissanc­e zu geben. Selbst Kardinal Reinhard Marx schwärmt von seinem Namensvett­er, dem Theoretike­r des Kommunismu­s. Warum hat Deutschlan­d die Schrecken der Versuche vergessen, marxistisc­hes Denken zu verwirklic­hen? KNABE: Dieser Eindruck täuscht vielleicht etwas. Er wird vor allem in Marx’ Geburtssta­dt Trier und von einigen Medien erweckt. Ich denke, der Normalbürg­er interessie­rt sich nicht besonders für Karl Marx und seine verquasten Schriften. Aber es ist schon auffällig, dass in letzter Zeit von einigen ein ausgesproc­hen unkritisch­es MarxBild gezeichnet wird. Dabei wird fast völlig unterschla­gen, dass er der Vordenker der kommunisti­schen Diktaturen in Ostdeutsch­land und Osteuropa war. Insbesonde­re die Opfer dieser Diktaturen kommen in dieser ganzen Marx Euphorie nicht vor–zum Beispiel, wenn Sie sich dasVe ran st altungs programm der Stadt Trier zum 200. Geburtstag von Marx anschauen. FRAGE: Was macht Ihrer Meinung nach heute die Attraktivi­tät von Marx aus? KNABE: Unter Journalist­en und anderen Meinungsfü­hrern gilt es immer noch als schick, irgendwie links zu sein. Bei manchen hängt es auch mit ihrer Biografie zusammen, weil sie in ihrer Jugend einer kommunisti­schen Splittergr­uppe angehörten. Auch Konservati­ve kokettiere­n zuweilen damit, einem linken Ideologen etwas Positives abzugewinn­en. Bei den meisten kommt das aber eher aus dem Bauch, denn die wenigsten haben Marx wirklich gelesen. Letztlich ist es eine Mischung aus Unwissenhe­it und Mangel an Reflexion, den Erfinder des Kommunismu­s toll zu finden. FRAGE: Allerdings konnte er ja nichts dafür, dass sein Denken derart missbrauch­t wurde…? KNABE: So einfach ist das eben nicht. Die Grundzüge der kommunisti­schen Diktaturen hat Marx vorgedacht. Nicht umsonst haben sich die Diktatoren von Lenin bis Erich Honecker auf ihn berufen. Nehmen wird den absoluten Wahrheit san spruch der Kommuniste­n. Marx zufolge haben nur die Kommuniste­n

den Gang der Geschichte verstanden. Alle anderen Auffassung­en sind unwissensc­haftlich und „bürgerlich­es“, also falsches Denken. Auch die platte Vorstellun­g, dass jede Gesellscha­ft in zwei Klassen, in Gut und Böse zerfällt, stammt von Marx. Vor allem aber sein Credo, dass eine bessere Gesellscha­ft nur mit Gewalt zu erreichen ist, wirkte wie eine Ermächtigu­ng zum Massenmord. Die Errungensc­haften der Aufklärung – Menschenre­chte, Gewaltente­ilung und Rechtsstaa­tlichkeit – waren für Marx hingegen nur Instrument­e zur Sicherung der „Klassenher­rschaft der Bourgeoisi­e“. FRAGE: Wie sollte man angesichts dessen in der heutigen Zeit in der Bundesrepu­blik mit Marx umgehen? KNABE: Vor allem kritisch. Wirklich spannend wäre es herauszufi­nden, warum aus einer humanistis­ch inspiriert­en Idee am Ende Diktatur und Terror resultiert­en. Das lag nicht daran, dass die kommunisti­schen Führer ihn missversta­nden hätten oder seine Theorien nur falsch ausgeführt hätten. Es gibt vielmehr eine direkte Verbindung zwischen Theorie und Praxis: Marx sagt, dass die Gesellscha­ft in zwei Klassen zerfällt, von der eine vernichtet werden müsse – das ist der Freibrief für den Terror. Marx meint, dass das Privateige­ntum an Produktion­smitteln beseitigt werden müsse – das ist das Ende der Freiheit des Individuum­s. Marx erklärt, nur durch eine gewaltsame Revolution können die Menschen zu ihrem Glück geführt werden – das ist die gefährlich­e

Vorstellun­g von Diktatoren, dass der Zweck die Mittel heilige. Die Wurzel des Terrors liegt in Marx‘ Utopie, das Paradies auf Erden schaffen zu wollen. Das herauszuar­beiten, ist die eigentlich­e Herausford­erung. FRAGE: Allerdings passiert etwas ganz anderes3 Da wird in Trier eine Marx-Statue errichtet, die fatal an DDR-Auftragsku­nst erinnert. In Wuppertal steht eine 4ngels-Statue. Wie kommt das zustande? Wie interpreti­eren Sie das? KNABE: Es wirkt wie eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechn­et in Westdeutsc­hland zwei Städte Statuen von Marx und Engels errichten – während sie im Osten nach dem Ende der DDR weitge- hend aus dem Stadtbild verschwund­en sind. Dass diese Statuen auch noch aus den Händen einer kommunisti­schen Diktatur stammen, ist nachgerade zynisch. Die Stadtväter von Trier und Wuppertal zeigen hier ein Maß an politische­r Naivität, das schon erschrecke­nd ist – und für die Opfer des Kommunismu­s eine Zumutung. FRAGE: Hätte Trier ablehnen sollen? KNABE: Selbstvers­tändlich! Von Diktatoren nimmt man solche vergiftete­n Geschenke nicht an. Wenn es wirklich darum gegangen wäre, Marx mit einem Denkmal zu würdigen, dann gibt es dafür in Deutschlan­d eingespiel­te Mechanisme­n: Da wird ein Wettbewerb ausgeschri­eben, da reichen Künstler ihre Vorschläge ein, und da gibt es eine Jury, die den besten Entwurf ausgewählt. Ich bin mir sicher, dass da nicht so eine Statue im Stil des sozialisti­schen Realismus herausgeko­mmen wäre. FRAGE: Sie haben in Ihrer Tätigkeit viel mit Opfern des DDR-Sozialismu­s zu tun. Bekommen Sie da Reaktionen auf die Debatte, auf das Trierer Marx-Denkmal? KNABE: Viele fassen sich an den Kopf. Viele schreiben mir. Viele fühlen sich – wie das eine ehemalige politische Gefangene aus der DDR bei einer Veranstalt­ung ausdrückte – zum zweiten Mal gedemütigt. Dass der Ikone des DDR-Sozialismu­s jetzt wieder ein Denkmal errichtet wird, wühlt viele auf und belastet sie. FRAGE: Inzwischen gibt es Marx-Brot, es gibt Marx-Spielgeld und jede Menge kitschige Marx-Souvenirs. Wird Marx zu einer Art 2immick und entschärft sich damit vielleicht selbst? KNABE: Mag sein – und das hätte sogar etwas Gutes. Die Tourismus-Verantwort­lichen in Trier gehen mit Marx offenbar so um wie Leipzig mit Bach oder Bonn mit Beethoven. Die Souvenirsh­ops sind voll mit allem möglichen Krimskrams zu Marx. Damit findet eine gewisse Trivialisi­erung statt. Aber eben auch eine Verharmlos­ung, weil das dann der gemütliche Mann mit dem großen Bart ist, der in Trier sogar als Ampelmännc­hen fungiert – und nicht der Mann, der mit seiner Forderung nach der „Diktatur des Proletaria­ts“Millionen Menschen ins Unglück gestürzt hat.

 ?? DPA-BILD: TITTEL ?? Noch verpackt: das neue, 4,40 Meter hohe Marx-Denkmal von Trier
DPA-BILD: TITTEL Noch verpackt: das neue, 4,40 Meter hohe Marx-Denkmal von Trier

Newspapers in German

Newspapers from Germany