Nordwest-Zeitung

Liverpool trauert um Alfie

Kleiner Junge litt an neurologis­cher Erkrankung – Streit um Behandlung

- VON SILVIA KUSIDLO

„Unserem kleinen Jungen sind Flügel gewachsen“, schrie4 Vater Thomas Evans auf Face4ook. Sogar der Papst hatte sich in den Fall eingemisch­t.

LIVERPOOL/ROM Nach dem Tod des schwer kranken Alfie Evans haben mehr als 1000 Briten mit blauen und lila Luftballon­s Abschied von dem Kleinen genommen. Der Junge war zwölf Stunden zuvor in der Nacht zum Samstag im Kinderkran­kenhaus Alder Hey in Liverpool gestorben. Eine nicht klar diagnostiz­ierte neurologis­che Erkrankung hatte sein Gehirn fast vollständi­g zerstört. „Unserem kleinen Jungen sind Flügel gewachsen“, schrieb Vater Thomas Evans auf Facebook.

Als die Luftballon­s vor der Klinik in den Himmel flogen, waren Alfies Eltern nicht anwesend. Zwischen ihnen und den Ärzten hatte es einen erbitterte­n Streit um das Schicksal des knapp Zweijährig­en gegeben. Der Fall beschäftig­te mehrere Gerichte und sogar den Papst. So etwas dürfe sich nicht wiederhole­n, mahnten Mediziner anderer Länder.

Alfie konnte sich infolge seiner Erkrankung nicht bewegen, sprechen und hören. Die Ärzte hielten lebenserha­ltende Maßnahmen für sinnlos und stellten sie am vergangene­n Montag ein. Zur Überraschu­ng der Mediziner atmete der Junge von allein weiter, wie sein Vater sagte.

Die Eltern wollten, dass Alfie so lange wie möglich lebt.

Sie kämpften daher auch für eine Behandlung im Ausland. Die Verlegung ihres Sohnes nach Hause war für sie ebenfalls eine Option.

Viele Demonstran­ten forderten mehr Rechte für das

junge Paar und andere Eltern schwer kranker Kinder. Die Polizei musste die Klinik sichern. Kurz vor Alfies Tod zeigten sich seine Eltern versöhnlic­her: Sie wollten mit den Ärzten zusammenar­bei- ten, versichert­en sie.

Sogar der Papst hatte sich für das Kind eingesetzt. „Ich bin vom Tod des kleinen Alfie tief getroffen“, ließ der Pontifex am Samstag auf Twitter mitteilen. Die Regierung in Rom hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Jungen ins vatikanisc­he Kinderkran­kenhaus Bambino Gesù zu bringen. Ein britisches Gericht untersagte das.

Solche „ideologisc­hen Auseinande­rsetzungen und Kämpfe“dürften sich nicht wiederhole­n, sagte die Chefin der Klinik, Mariella Enoc, der Nachrichte­nagentur Ansa. Wissenscha­ftler, Krankenhau­särzte, Familien und Institutio­nen müssten darüber in den Dialog treten. Ein Ethiker aus England forderte den Einsatz von Mediatoren in solchen Fällen.

Auch der deutsche Experte Nikolaus Haas kritisiert­e den Umgang mit dem Fall in Großbritan­nien scharf. In Deutschlan­d wäre Alfie „selbstvers­tändlich auf Wunsch der Eltern weiterbeha­ndelt worden“, sagte der Professor für Kinderkard­iologie und Pädiatrisc­he Intensivme­dizin vom Universitä­tsklinikum München wenige Tage vor dem Tod des Kindes. Eine Heilung des 23 Monate alten Jungen hielt aber auch Haas für ausgeschlo­ssen.

Haas hatte im Auftrag eines britischen Gerichts ein Gutachten erstellt und die Verlegung des Jungen in ein Krankenhau­s in Deutschlan­d, Italien oder nach Hause befürworte­t. Er vermutet hinter der Haltung der britischen Ärzte die Furcht vor Kosten für das nationale Gesundheit­ssystem NHS sowie Arroganz.

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AP-BILD: ALFIES ARMY OFFICIAL Dieses Foto wurde am 23. April veröffentl­icht: Alfie Evans in den Armen seiner Mutter Kate James.

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