Wie man Eltern richtig füttert
Sreylle Bergs Kinderstück „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter“
Die 70-minütige Premiere fand in der Exerzierhalle statt. Es geht um ein Mädchen, das benachteiligt wird – und wie es sich in die Gesellschaft zurückkämpft.
OLDENBURG Lisa ist acht. Entschuldigung! Fast neun, ruft Lisa. Das Mädchen schläft in einer gläsernen Koje, die wie die Kapsel eines Raumschiffs aussieht und auf Stelzen in die Exerzierhalle des Staatstheaters gebaut wurde.
Das wird später eine Rolle spielen, denn Lisa schmökert gern in Astronomiebüchern. Sie träumt sich damit weg. Sie ist eine bedrängte Außenseiterin – die Eltern öde (weil arbeitslos), die Wohnung öde (weil ärmlich), der Schulweg öde (weil andere Kinder sie fies quälen) und die Schule öde (weil selbst die Lehrerin sie fertigmacht). Da sehnt man sich nach Freude, Kuscheln, einem Kumpel. Es darf auch ein Außerirdischer sein.
Sibylle Bergs Kinderstück „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter“erzählt in 70 rasanten Minuten von einem klugen Mädchen, das Nähe,
Verwandtschaft, Liebe sucht. Und überall auf Hänselei und Mobbing stößt.
Blöd auf dem Sofa
Regisseurin Katharina Birch hat das Drama feinfühlig und nie oberlehrerhaft mit einer putzmunteren Rebecca Seidel in Szene gesetzt. Die Hauptdarstellerin erinnert in ihrem Jungmädchen-Charme an Pippi Langstrumpf. Tatsächlich gibt es auch was zu lachen in diesem nur manchmal traurigen Schauspiel für alle ab acht Jahren.
Zum Beispiel die Eltern. Franziska Werner und Johannes Schumacher hängen in potthässlichen Bademänteln zu blöd auf dem Sofa rum. Ihre Tochter nehmen sie in Selbstmitleid und Suff kaum wahr, dabei managt die den Laden. Die Kleine geht einkaufen, pünktlich zur Schule und versucht eine Aufmunte-
rung. Lustig ist die Fütterung der beiden Schlaffis durch Lisa, meist mit Pizza. Aber die Eltern packen sonst fast nichts, hocken nur traurig rum. Aus ihren Augen spricht einzig ein traniges „Häh?“
Oder die fiesen Gangstarappenden Jungs vom Spielplatz, auch mal eben im fliegenden Rollen- und Emotionswechsel von Franziska Werner und Johannes Schumacher gespielt. Andere Klamotten und ein anderes Gesicht und – rums – schon haben die beiden die Lisa gepackt und kopfüber in die Abfalltonne gesteckt. Nicht die feine Art.
Auf der Bühne der robusten Exerzierhalle kommt man mit wenigen Utensilien, im Grunde null Umbaupausen, flotten Musikeinlagen und feinen Lichtspielen aus. In keiner Sekunde wird es langweilig, und nicht nur die Kinder schauen gebannt zu.
Die Geschichte wird klar von der stark wirkenden Lisa oder auch mal einem Erzähler aus dem Off erzählt. Es spricht für das Stück, dass Lisas üble Zurücksetzung nicht nur bitter ausfällt. Gewiss, Lisa erleidet ihr Drama – aber nur, bis mit Klaas Schramm in saukomisch kurzen Hosen der Walter, der Außerirdische, im Vorgarten landet, was ein wenig an Alf erinnert.
Walter hilft mental und real. Prompt mutiert die Außenseiterin durch die Tipps ihres seltsamen Freundes zu einer selbstsicheren Person, die ihr Leben verbessert, indem sie sich verändert.
Das große Glück
Ein hübscher Wandel. Der wird dann noch märchenhaft durch das Glück aller überzuckert. Das konterkariert ein wenig den Sinn des Stücks, das ja andeutet, das man in kleinen Schritten große Probleme angehen kann. Nun, wer will schon was gegen das große Glück sagen? Das wäre so, als würde man Schoko-Eis kritisieren, weil es lecker schmeckt.
Kinder und Eltern klatschten begeistert. Als man rauskam, schien die Sonne. Das passte gut.