Nordwest-Zeitung

„Menschen wollen keine Pflegerobo­ter“

Medienexpe­rte Gerald Lembke entlarvt digitale Mythen für den Arbeitgebe­rverband Oldenburg

- VON TIMO EBBERS

Mit teils kruden Ideen würden Politiker dem Wandel begegnen, sagte Lembke. Was er selbst als Digitalmin­ister anstellen würde, dürfte viele Zuhörer überrascht haben.

OLDENBURG Die sogenannte „digitale Revolution“erwischte es als erste. Die gibt es nämlich gar nicht, wenn man den Worten Professor Gerald Lembkes glaubt. „Wir haben eine mobile Revolution“, stellte der Dozent für Digitale Medien, Medienmana­gement und Kommunikat­ion an der Dualen Hochschule BadenWürtt­emberg in Mannheim klar. Dass sein eigener Vortrag unter dem Titel „Digitale Revolution – und was kommt danach?“am Donnerstag­abend auf Einladung des Arbeitgebe­rverbandes (AGV) Oldenburg etwa 120 Zuhörer in die Weser-Ems-Halle gelockt hatte, definierte eben das SpanTag Zu Gast beim AGV: Gerald Lembke (Mitte) mit Jörg Waskönig (Vorsitzend­er, links) und Jürgen Lehmann (Hauptgesch­äftsführer)

nungsfeld seiner Analyse. Mit vielen Schlagwort­en und Klischees räumte der Wissenscha­ftler radikal auf.

Die Digitale Revolution entlarvte Lembke süffisant als Schlagwort halbinform­ierter Digital-Politiker wie Alexander Dobrindt, Dorothee Bär (beide CSU) oder FDP-Chef Christian Lindner. Lembke, der sich seit Beginn seiner

akademisch­en Karriere an der Universitä­t Oldenburg mit der Digitalisi­erung auseinande­rsetzt, sieht eher das Erscheinen des iPhones im Jahr 2007 als Beginn der eigentlich­en mobilen Revolution. Dass auch in Deutschlan­d inzwischen fast jeder ein Smartphone in der Jackentasc­he mit sich herumtrage und sich rund dreieinhal­b Stunden am aktiv damit beschäftig­e, habe die Welt verändert. „Doch was machen wir eigentlich auf diesen Geräten?“, fragte Lembke, um mit der Antwort zu überrasche­n: Daddeln, Videos gucken, Zeit totschlage­n. Jedenfalls nichts Vernünftig­es. Deshalb hält Lembke auch nicht viel von den Verheißung­en der 5 GNetze: Otto-Normal-Verdaddler brauche die nicht.

Übrigens wird laut Lembke täglich im Schnitt nur zehn Minuten telefonier­t, weshalb manche Entwickler schon an Smartphone­s herumdenke­n, mit denen man nicht mehr telefonier­en kann.

Auch der große Gewinner der mobilen Revolution überrascht etwas: Facebook. Die schlechte Presse nach dem Datenskand­al führe paradoxerw­eise eher dazu, dass die Menschen gleich die Facebook-App anklicken. Viele Unternehme­n witterten in diesem Markt ihre Chance – mit teils kruden Ideen. Für Produkte wie Blutdruckm­essgeräte, die ihre Ergebnisse direkt in eine App laden, von der aus ihre Benutzer ihren Gesundheit­szustand per Netzwerk mit der ganzen Welt teilen können, hegt Lembke keine Sympathien: „Was ist mit dem Datenschut­z?“

Der wirkliche Verbrauche­r habe trotz des Smartphone­s in der Jacke analoge Vorlieben. „Menschen wollen keine Pflegerobo­ter, fliegenden Taxis oder sprechende Toaster“, sagte Lembke. Viele Innovation­en seien eher bedenklich. Dieser Vorwurf traf auch Estland, das als Vorzeigela­nd des E-Government gilt. Russlands Präsident Wladimir Putin könne inzwischen von seinem Pferd aus in estnischen Daten spähen, spottete Lembke.

Und was würde er als deutscher Digitalmin­ister tun?, lautete die letzte Publikumsf­rage. „Nischenpro­dukte“finde er spannend, vor allem eines: Datenschut­z. „Stellen Sie sich vor, wir hätten in Deutschlan­d Datennetze, an die selbst der US-Geheimdien­st NSA nicht herankäme. Darin würde ich investiere­n.“

 ?? BILD: MARTIN REMMERS ??
BILD: MARTIN REMMERS

Newspapers in German

Newspapers from Germany