Nordwest-Zeitung

Seltener Patient im Krankenhau­s

Schwer verletzter Fischadler wird in Wildtierau­ffangstati­on Rastede gepflegt

- VON FRANK JACOB

Seltener Patient: Ein verletzter Fischadler wird zurzeit in der Wildtierau­ffangstati­on in Rastede gesund gepflegt. Damit seine Federn nicht in Mitleidens­chaft gezogen werden, wurden kleine Plastiktüt­en darüber gezogen.

Drahtseile schnitten in die Flügel des in Niedersach­sen vom Aussterben bedrohten Fischadler­s, als dieser auf Beutejagd war. Angler fanden den schwer verletzten Vogel in einem Moorgebiet.

RASTEDE Dne Patient befindet sich in Kammer 6. Durch ein kleines Fenster neben der von außen mit einem Riegel verschloss­enen Holztür lässt sich beobachten, wie sich sein Zustand von Tag zu Tag verbessert. An diesem Samstag ist er seit genau zwei Wochen in der knapp 50 Quadratmet­er großen und drei Meter hohen Kammer hinter der Holztür. Durch die mit grün ummantelte­n Maschendra­ht geschlosse­ne Decke fällt das Tageslicht herein.

21 weitere solcher Räume gibt es in dem langen Gebäude, das auf dem Gelände der Wildtierau­ffangstati­on in Rastede steht. Sie zweigen links und rechts von einem mit Holzhacksc­hnitzeln ausgelegte­n „Flur“ab und beherberge­n allesamt Großvögel wie den Patienten in Kammer 6. Das Gebäude mit den 22 Räumen ist sozusagen das RehaZentru­m für verletzte Eulen, Greifvögel oder Störche.

Gefährdete Art

Der Patient hinter Holztür Nummer 6 ist der neueste und zugleich seltenste Zugang, der von Stationsle­iter Klaus Meyer und seinem Team zurzeit

gepflegt wird: ein Fischadler. „In ganz Niedersach­sen gab es 2017 nur 15 Revierpaar­e“, sagt der 59-Jährige. Seit einigen Jahren arbeitet er in der Projektgru­ppe Seeadler- und Fischadler­schutz Niedersach­sen mit und weiß daher Bescheid über die Population im Land.

„Nur zehn dieser Revierpaar­e gelang eine erfolgreic­he Brut, bei der die Jungvögel flügge geworden sind“, sagt Meyer. Von Rastede aus betrachtet lebt das nächste Paar am Dümmer See – rund 100 Kilometer entfernt. „Wir warten seit Jahren darauf, dass sich ein Paar an der Thülsfelde­r Talsperre ansiedelt“, berichtet Meyer. Daraus wurde bislang aber nichts.

Woher genau der Fischadler stammt, der in der Wildtierau­ffangstati­on gesund gepflegt wird, kann der Stationsle­iter nicht sagen. Ob es sich um ein weibliches oder männliches Tier handelt, ist ebenfalls unbekannt. Bevor der Vogel wieder ausgewilde­rt wird, soll noch ein DNA-Test vorgenomme­n werden.

Wie der Fischadler sich seine Verletzung­en mit großer Wahrschein­lichkeit zugezogen hat, weiß Meyer indes schon. „Über Teiche, in denen Fische gezüchtet werden, werden häufig mit kleinen Abständen dickere Drahtseile parallel zueinander gespannt, vor allem um Kormorane oder Graureiher abzuhalten“, schildert er.

Meyer geht davon aus, dass der Fischadler in einem auf diese Art und Weise geschützte­n Teich Beute machen wollte und beim Herabstürz­en mit den ausgebreit­eten Flügeln in

die gespannten Drahtseile geriet. „Der Fischadler hat links und rechts vom Flügel dieselben Verletzung­en“, schildert Meyer. Der Draht schnitt in die Haut der Oberarme des Vogels. Das Tier blutete stark, konnte nicht mehr richtig fliegen und wurde schließlic­h entkräftet aufgefunde­n – im Pestruper Moor bei Wildeshaus­en (Kreis Oldenburg). Wie weit sich das verletzte Tier noch schleppte, bevor es dort landete, ist nicht bekannt. „Zwei Angler entdeckten den Fischadler, packten ihn in eine Decke und brachten ihn zunächst zu einer kleineren Station in Vechta“, schildert Meyer.

Da die Wildtierau­ffangstati­on in Rastede aber eher auf solche Fälle spezialisi­ert ist, kam der Vogel dann vor knapp zwei Wochen ins RehaZentru­m von Klaus Meyer und seinem Team. „Vor fünf Jahren hatten wir schon einmal einen Fischadler mit den gleichen Verletzung­en hier“, erinnert sich der 59-Jährige. Der Vogel damals war bei den Ahlhorner Fischteich­en in gespannte Drähte geflogen. „Die Drähte wurden daraufhin mit rot-weißem Flatterban­d markiert, so dass sie von Vögeln besser wahrgenomm­en werden“, berichtet Meyer. Er habe seitdem nicht gehört, dass es dort noch einmal zu einem solchen Unfall gekommen ist.

In den beiden vergangene­n Wochen habe sich der neue Patient im Reha-Zentrum gut entwickelt, freut sich der Stationsle­iter. „Er frisst mittlerwei­le selbst, und die Wunden verheilen.“Nur einer der beiden Flügel ist noch ein bisschen abgespreiz­t. Vm Krankenhau­s für Großvögel: Klaus Meyer, Leiter der Wildtierau­ffangstati­on, hat diesen Bereich mit 22 Kammern nach seinen eigenen Vorstellun­gen gebaut.

Rasch auswildern

Die schnelle Genesung ist im Falle des Fischadler­s aber auch zwingend nötig. „In zwei bis drei Wochen muss er ausgewilde­rt werden“, sagt Meyer. Denn: Fischadler lassen sich nicht über längere Zeit „in Gefangensc­haft“halten, dann würden sie verkümmern und ihre Flügelspit­zen und Federn würden kaputt gehen. Nur um Beute zu machen, wagen sich Fischadler in Bodennähe, selbst gefressen wird in sicherer Höhe.

Meyer sagt deshalb: „Ein Fischadler hat auf dem Erdboden nichts zu suchen.“Der Leiter der Wildtierau­ffangstati­on hat die Federn seines Patienten aus diesem Grund auch mit kleinen Plastiktüt­chen gesichert, um Schäden vorzubeuge­n.

Kammer 6 im Reha-Zentrum für verletzte Großvögel soll der Fischadler nun möglichst bald wieder verlassen. Bevor er ausgewilde­rt wird, soll er aber noch einen Ring der Vogelwarte Helgoland erhalten. Auf diesem sind ein Buchstabe und zwei Zahlen vermerkt, die mit Hilfe eines guten Fernglases abgelesen werden können. So kann der Fischadler künftig identifizi­ert werden.

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BILD: FRANK JACOB
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BILD: FRANK JACOB

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