Nordwest-Zeitung

Ein Präsident im Laufschrit­t

Seit einem Jahr sitzt Emmanuel Macron im Pariser Élysée1Pal­ast

- VON CHRISTIAN BÖHMER UND SEBASTIAN KUNIGKEIT

Emmanuel Macron im Weißen Haus, Emmanuel Macron im Europaparl­ament, und demnächst bei Wladimir Putin in Russland: Der seit einem Jahr amtierende französisc­he Staatspräs­ident ist scheinbar überall. Der 40-Jährige demonstrie­rt der Welt, dass die Atommacht Frankreich wieder da ist und in Krisen wie dem Syrien-Krieg mitreden will. Macron, der mächtigste Mann Europas? Auf jeden Fall einer, dem man auch jenseits des Atlantiks zutraut, seinen wechselhaf­ten US-Kollegen Donald Trump zu beeinfluss­en.

An diesem Montag jährt sich Macrons spektakulä­rer Wahlsieg. Frankreich ist seitdem ein Land im Laufschrit­t, es vergeht quasi keine Woche ohne neue Reformetap­pe. Der soziallibe­rale Präsident hatte einen „tiefgreife­nden Umbau“seines Landes versproche­n, und den treibt er nun entschloss­en voran. Dabei lässt er kaum einen Aspekt des französisc­hen Wirtschaft­sund Sozialsyst­ems unangetast­et: vom Arbeitsrec­ht über das Steuersyst­em bis zur Berufsausb­ildung.

Während das Ausland den neuen Schwung der zweitgrößt­en Volkswirts­chaft der

Eurozone lobt, ist Frankreich selbst gespalten. Die Hälfte der Franzosen hält Macrons Politik nach einer Umfrage für ungerecht. Eisenbahne­r streiken seit einem Monat regelmäßig gegen die Reform der Staatsbahn, Studenten blockieren einige Universitä­ten, Rentner murren über erhöhte Abgaben. Kurzum: Von Jubelstimm­ung kann keine Rede sein, auch wenn Macron bei den Beliebthei­tswerten zuletzt wieder etwas Boden gutgemacht hat.

Macron sei nicht der Präsident der Reichen, sondern der sehr Reichen, stichelte sein sozialisti­scher Amtsvorgän­ger François Hollande kürzlich. Ihn derart abzustempe­ln greife zu kurz, meint Eileen Keller vom Deutsch-Französisc­hen Institut in Ludwigsbur­g. Doch es bleibe die große Herausford­erung für Macron, die Franzosen stärker hinter seinem Projekt zu einen. In der Tat standen im ersten Jahr vor allem Reformen im Fokus, die der Wirtschaft und Investoren zugute kommen – sozialere Punkte seines Programms kommen erst später zum Tragen.

Bislang ist es den Gewerkscha­ften und linken Parteien allerdings nicht gelungen, bei ihrer Mobilisier­ung eine kritische Masse zu erreichen, die dem Präsidente­n und seiner erdrückend­en Parlaments­mehrheit gefährlich werden könnte. Der Staatschef profitiert auch davon, dass es der Wirtschaft besser geht und die Arbeitslos­igkeit etwas gesunken ist, auf zuletzt 8,8 Prozent.

Der schnell sprechende Macron, der als jüngster Präsident aller Zeiten in den Élyséepala­st einzog, beharrt auf seinem Reformkurs. „Ich mache, was ich sage“, lautet sein Motto. Kritik lässt er abperlen. Sein Amtsstil wird in Paris oft in die Nähe von General Charles de Gaulle gerückt, der 1958 einen mächtigen Präsidente­n in der Verfassung verankerte. Die von Macron ernannte Regierung bleibt weitgehend blass, alles ist auf den Staatschef ausgericht­et.

Der frühere Wirtschaft­sminister unter Hollande war quasi aus dem Nichts angetreten, ohne klassische Partei, ohne klare Positionie­rung im gewohnten Links-RechtsSche­ma. Das Außenseite­rImage seiner Wahl kultiviert der Absolvent der Elite-Hochschule ENA sorgsam. Der Jungstar setzte sich im Endduell einer äußerst aufgeheizt­en Wahl gegen die Rechtspopu­listin und EU-Feindin Marine Le Pen durch. Auch viele traditione­lle Links-Wähler stimmten damals (wenn auch zähneknirs­chend) für den smarten Ex-Investment­banker.

Der größte EU-Partner Deutschlan­d hatte bei Macrons Wahlsieg spürbar aufgeatmet. Ein Jahr später kommen Claire Demesmay und Julie Hamann von der Deutschen Gesellscha­ft für Auswärtige Politik allerdings zu dem Schluss, das deutsche Verhältnis zu Frankreich wirke zurzeit „schizophre­n“. Macron wird einerseits als Chance und Glücksfall gesehen doch zugleich stoßen seine ehrgeizige­n EU-Reformplän­e wie ein eigener Haushalt der Eurozone auf große Vorbehalte.

Macron und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollen nun im Juni einen Fahrplan für die Reform der krisengesc­hüttelten EU präsentier­en.

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DPA-BILD: JOCARD Ein Jahr im Amt: Emmanuel Macron

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