Land bürdet Kitas neue Lasten auf
Streit um Sprachförderung – Erzieherinnen sollen ab 1. August Aufgabe von Lehrern übernehmen
Kultusminister Tonne (SPD) verteidigt die Neuerung. Städtetag und Opposition äußern scharfe Kritik.
HANNOVER – Kehrtwende bei der vorschulischen Sprachförderung in den Kindertageseinrichtungen: Die Erzieherinnen sollen ab 1. August diese Aufgabe übernehmen, die bisher von Grundschullehrkräften wahrgenommen wurde. „Sowohl für den Kindergarten als auch für die Schule wird es eine Erleichterung sein, dass die Kinder künftig von den vertrauten Bezugspersonen gefördert werden“, verteidigt Niedersachsens Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) seine Reformpläne gegen Kritik.
„Das Land schiebt die vorschulische Sprachförderung einfach auf die Kommunen ab“, zürnt Städtetagspräsident (NST) Ulrich Mädge (SPD), zugleich Oberbürgermeister in Lüneburg. „So schnell werden wir keine Kapazitäten für eine solide Sprachförderung aufbauen können“, ergänzt Frank Klingebiel (CDU), NST-Vizepräsident und OB in Salzgitter.
Der Städtetag kämpft bisher vergeblich darum, diesen Systemwechsel um ein Jahr zu verschieben, denn zum 1. August 2018 stehen mit dem Start von beitragsfreien Kitas und flexibler Einschulung bereits viele neue Aufgaben ins Haus. Tatsächlich fehlen in Niedersachsen aktuell mehr als 1500 Erzieher und sozialpädagogische Assistenten. Dieser Personalmangel dürfte sich durch die Sprachförderung verschärfen, auch wenn Kultusminister Tonne den Kommunen für den Mehraufwand pro Jahr 32,5 Millionen Euro zahlen will. Im Gegenzug spart er aber kräftig: Die vorschulische Sprachförderung belastete die Grundschulen mit 14 000 Stunden – das entspricht 500 Lehrerstellen. Mit diesem Personal lässt sich die Unterrichtsversorgung in den Grundschulen besser bewerkstelligen.
Die Grünen-Bildungsexpertin Julia Hamburg warnt vor den Folgen von fehlenden Konzepten und Personal in den Kitas. „Leidtragende werden die Kinder sein“, vermutet auch der FDP-Bildungsexperte Björn Försterling. Qualität bleibe bei dem absehbaren Durcheinander auf der Strecke.
„Leidtragende werden die Kinder in den Kitas sein. Qualität bleibt dabei auf der Strecke“BJÖRN FÖRSTERLING, FDP-SCHULEXPERTE
Auf Deutschlands höchstem Berg schnüren die Fraktionsspitzen ein großes Wohn- und Mietenpaket. Trotzdem gibt es auch Misstöne.
ZUGSPITZE Es wirkt fast ein wenig so, als ob die große Koalition gleich hier oben mit ihrer großen Wohnungsbauoffensive beginnen will. Ein per Hubschrauber auf die Zugspitze in 2962 Meter Höhe gebrachter gelber Kran kreist im Schatten des Gipfelkreuzes, Baumaterial liegt herum, die Bauarbeiter haben hier einen der schönsten Arbeitsplätze Deutschlands mit Blick auf das Alpenpanorama.
Hier schlagen die Chefs der Bundestagsabgeordneten von Union und SPD, Volker Kauder (CDU), Gastgeber Alexander Dobrindt (CSU) und Andrea Nahles (SPD) am Montag die ersten großen Pflöcke der
Regierung ein. Und im Schatten des Gipfelkreuzes geben sie sich nach holprigem Start gut gelaunt. „Wir sind Motor der Koalition“, sagt Nahles.
Von einem „Geist der Zugspitze“, spricht Kauder. Gerade am Abend rede man bei solchen Klausuren auch mal über anderes als Politik. Denn Krisenzeiten könnten noch kommen – da sei es wichtig, dass man sich aufeinander verlassen kann. „Wir wollen
etwas voranbringen im Interesse der Menschen.“
Auch Nahles sagte, die Vision der Koalition sei, das Leben der Bürger besser zu machen. Und Dobrindt ist es, der das erste Projekt der Koalition auf die Reise schicken darf. Ein Maßnahmenpaket gegen immer teurere Immobilienpreise und in Städten rasant steigende Mieten, die zur schweren Hypothek werden. 1,5 Millionen neue Wohnungen
bis 2021, ein Baukindergeld für Familien zum Erwerb von Eigentum und verschärfte Regelungen zur Deckelung der Mieten, das ist der Plan.
Auf dem bereits zubetonierten Gipfel der Zugspitze entstehen aber keine Wohnungen – nur das Restaurant und die Panoramaterrasse werden hier unüberhörbar neu gebaut. Doch Gipfelshow und Wortspiele sind das eine, Dobrindt spricht vom „Top of
Germany“. Er, der hier seinen Wahlkreis hat, hat mit gezielten Provokationen wieder mal im Vorfeld die Schlagzeilen auf sich und die CSU gelenkt. Im Interview sprach er von „aggressiver Anti-AbschiebeIndustrie“, die eine schnellere Abweisung von Asylbewerbern verhindere.
Die Empörung auch aus Reihen der SPD war ihm gewiss, von einem Angriff auf den Rechtsstaat sprach der Anwaltverein, denn das Ausschöpfen von Asylrechtswegen sei verbrieftes Recht.
Die Dobrindt-Attacke soll das Gipfelidyll nicht stören, beim Statement im Schatten des Gipfelkreuzes hat sogar der Baukran den Dienst eingestellt. Alle Drei sind selbstbewusst genug, um ein eigenes Machtzentrum jenseits des Kanzleramts von Angela Merkel zu entwickeln.
Dann wird wieder gearbeitet. Drinnen steht auch das Riesenthema Klimaschutz auf der Tagesordnung – gerade hier kann man gut schmelzende Gletscher sehen.