Berechenbar
Putins vierte Amtszeit als russischer Präsident begann mit viel Pomp und erstaunlich wenig Protest. Während sich der russische Machthaber für das Vertrauen des Volks bedankte und den Segen der Kirche holte, hielten sich die Proteste der Putin-Kritiker in Grenzen. Die Macht des Präsidenten ist ebenso ungebrochen wie seine Popularität.
Dabei hatte es vor der Wahl durchaus Anzeichen gegeben, dass sich vor allem die städtische Bevölkerung zunehmend von der autokratischen Führung im Kreml distanziert. Die Wahl am 18. März ergab indes ein anderes Bild. Gerade in Moskau und Petersburg, den Hochburgen des überschätzten Oppositionellen Alexej Nawalny, verzeichnete Putin deutliche Stimmenzuwächse. Und diese Zuwächse sind nicht mit dem im Westen reflexartig erhobenen Vorwurf der Wahlmanipulation zu erklären.
Der Westen muss endlich akzeptieren, dass die Sicht auf diesen Präsidenten in Russland eine ganz andere ist als im Ausland. Putin gilt in seiner Heimat nicht als Ursache der Probleme, sondern als deren Lösung. Er steht für Stärke, Stolz und Stabilität.
Putin macht Fehler. Er schafft keine nachhaltige Industrie und verhindert den Aufbau einer Bürgergesellschaft. Ihm ist es aber gelungen, das schwer regierbare Riesenreich nach der postkommunistischen Anarchie der JelzinÄra wieder zu stabilisieren und den in Russland von vielen als Schmach empfundenen Bedeutungsverlust der ehemaligen Weltmacht zu kompensieren. Das ist sein Antrieb.
Auf dem diplomatischen Parkett hat er gegenüber Autokraten, mit denen die Europäische Union deutlich entspannter umgeht, klare Vorteile. Putin ist kein religiöser Fanatiker wie der türkische Präsident Erdogan und kein twitternder Bauchentscheider wie der US-Präsident Trump. Er ist berechenbar. Der Westen sollte diese Eigenschaften zum Vorteil ganz Europas nutzen und sich von seinem Konfrontationskurs lösen. Denn dieser Kurs wird auch in den nächsten sechs Jahren keinen Erfolg haben.
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