Nordwest-Zeitung

Vertuschun­g am Klinikum?

Management schwieg im Fall Niels Högel

- VON KARSTEN KROGMANN

OLDENBURG/DELMENHORS­T Warum hat das Klinikum Oldenburg 2001/02 im Fall Niels Högel nicht die Polizei eingeschal­tet? Hat die Geschäftsf­ührung unbedingt vermeiden wollen, dass der Verdacht gegen den Pfleger öffentlich bekannt wird? Fakt ist, dass das Klinikum damals vom sogenannte­n Hygieneska­ndal erschütter­t wurde, der auch bundesweit für Schlagzeil­en sorgte. Auch als Klinikum-Geschäftsf­ührer Rudolf Mintrop 2005 parallel das Management des Klinikums Delmenhors­t übernahm, in dem Högel auf frischer Tat ertappt worden war, informiert­e er die Behörden nicht über die Oldenburge­r Erfahrunge­n mit dem Pfleger. Die Ð hat die Abläufe rekonstrui­ert.

2001 hatte das Klinikum bereits einen Hygieneska­ndal zu bewältigen – und dann kam der Fall Högel. Ließ das die Klinikleit­ung zögern?

OLDENBURG/DELMENHORS­T Im Sommer 2001 erschütter­n zwei Todesfälle das Klinikum Oldenburg. Ein 38-jähriger Mann und eine 59-jährige Frau sterben an den Folgen einer Hirnhauten­tzündung, nachdem ihnen ein verunreini­gtes Kontrastmi­ttel gespritzt wurde. Die Staatsanwa­ltschaft ermittelt, der Fall macht als „Oldenburge­r Hygieneska­ndal“bundesweit Schlagzeil­en.

Klinikum-Geschäftsf­ührer Rudolf Mintrop räumt damals vor der Presse ein: Alle Kontrollme­chanismen hätten versagt. Er spricht von „einem gewissen Maß an Sorglosigk­eit“und verschärft umgehend die Hygienevor­schriften. In der Region verlieren viele Menschen das Vertrauen ins Klinikum, im Interview mit der sagt Mintrop: „Wir haben mehrere Anrufe verunsiche­rter Patienten erhalten.“

Zufall ausgeschlo­ssen

Wenige Wochen später, vielleicht sogar nur Tage, treffen sich Ärzte und Pfleger auf der herzchirur­gischen Intensivst­ation 211 zu einer Krisensitz­ung in einem anderen Fall: Auf der Station gibt es eine auffällige Häufung von Reanimatio­nen und Todesfälle­n. Besonders häufig treten diese Fälle ein, wenn der Pfleger Niels Högel Dienst hat, eine eigens angefertig­te Strichlist­e dokumentie­rt das. Wann genau diese Liste erstellt wird,

ist noch unklar, ebenso wie das konkrete Datum der Krisensitz­ung.

Der Pfleger Högel jedenfalls denkt: Jetzt haben sie mich! Das sagt er Jahre später der Polizei, als längst feststeht: Högel hat Dutzende Patienten getötet. Nach der Krisensitz­ung meldet er sich krank, er fehlt die nächsten drei Wochen. In diesen drei Wochen gibt es nur zwei Todesfälle auf der Station.

Högel wundert sich, nichts geschieht mit ihm. Nach drei Wochen nimmt er den Dienst wieder auf, in seiner ersten Wochenends­chicht gibt es zehn Reanimatio­nen. Fünf Patienten sterben.

Es ist eine der großen Fragen im Fall Högel: Warum schaltete das Klinikum damals nicht die Polizei ein?

Vielleicht muss man aber auch eine andere Frage stellen: Was wäre geschehen, wenn das Klinikum die Polizei eingeschal­tet hätte? Wie hätten die verunsiche­rten Patienten reagiert? Noch immer

machte der Hygieneska­ndal Schlagzeil­en, Ende Oktober 2001 veröffentl­ichte das Nachrichte­nmagazin „Der Spiegel“den Artikel „Schlampere­i mit Todesfolge“.

Unbemerkt von der Öffentlich­keit gewinnt der Fall Högel im Klinikum an Brisanz. Im Dezember 2001 wechselt Högel die Abteilung, aber auch dort wächst das Misstrauen gegen den Pfleger. Im Spätsommer 2002 muss Högel das Klinikum verlassen; als Gegenleist­ung für seinen „freiwillig­en“Abschied bekommt er ein gutes Zeugnis.

Rudolf Mintrop, der Geschäftsf­ührer des Klinikums, ist über den Verdacht gegen Högel informiert. Mindestens ein Gespräch ist dokumentie­rt, in dem ihn der Betriebsra­t fragte, ob das alles nicht auch Zufall sein könne: Reanimatio­nen, Todesfälle, Högel? Nein, soll Mintrop geantworte­t haben, das halte er für ausgeschlo­ssen. Wann dieses Gespräch stattgefun­den hat, ist ebenfalls unklar – spätestens

kurz vor Högels Rauswurf.

Unterdesse­n beschäftig­t der Hygieneska­ndal weiter die Öffentlich­keit. Das Klinikum hat zwei Ärzte fristlos entlassen, die Arbeitsger­ichtsproze­sse laufen. Die Presse berichtet mehrfach darüber, zuletzt im November 2002.

Das ist ein Monat, bevor Högel seine neue Stelle im Klinikum Delmenhors­t antritt.

Ein alter Bekannter

Zweieinhal­b Jahre später, am 22. Juni 2005, wird der Pfleger Högel auf der Intensivst­ation auf frischer Tat ertappt, als er einem Patienten heimlich ein lebensgefä­hrliches Medikament spritzt.

Nur eine Woche zuvor beschließt der zuständige Ausschuss des Delmenhors­ter Stadtrats, die Geschäftsf­ührung des städtische­n Klinikums an das Klinikum Oldenburg zu übertragen; das Haus ist in die roten Zahlen gerutscht. Geschäftsf­ührer wird damit: Rudolf Mintrop. Im Juli bestellt der Aufsichtsr­at des Klinikums Mintrop, zeitgleich vernimmt die Polizei Högel. Ende Juli berichtet erstmals die Presse über den Fall Högel. Ab dem 1. September ist Mintrop offiziell verantwort­lich für Delmenhors­t – und somit auch für den Fall Högel.

Sagt der neue Geschäftsf­ührer niemandem: Den Fall kenne ich? Der Mann beschäftig­te mich auch in Oldenburg?

Als Högel 2006 erstmals der Prozess gemacht wird (es geht um Mordversuc­h in einem einzigen Fall), schreibt der Gerichtsre­porter der : „Das Gericht wird die Frage prüfen müssen, ob es auch in anderen Kliniken zu ungeklärte­n Todesfälle­n gekommen ist.“Wäre das nicht spätestens der Zeitpunkt gewesen, die Behörden über die Krisensitz­ung in Oldenburg zu informiere­n? Über die Strichlist­e und über den Rauswurf Högels? All das wird erst durch die Ermittlung­en der Soko „Kardio“bekannt, fast zehn Jahre später.

Mintrop bleibt bis Ende 2011 Geschäftsf­ührer in Delmenhors­t. Ein Jahr später verlässt er auch Oldenburg und wechselt nach Dortmund.

Polizei und Staatsanwa­ltschaft ermitteln mittlerwei­le gegen fünf damalige Mitarbeite­r des Klinikums Oldenburg, unter ihnen ist auch Mintrop. Es geht nicht um den Vorwurf der Vertuschun­g – es geht um den Verdacht des Totschlags durch Unterlasse­n.

Die Ermittler müssen nun vor allem die Zeitabläuf­e rekonstrui­eren: Wer wusste was wann und informiert­e wen? Nach -Informatio­nen gestalten sich die Ermittlung­en schwierig, die Auskunftsb­ereitschaf­t der Beteiligte­n soll nicht sehr ausgeprägt sein.

Auf eine Bitte der um Stellungna­hme reagierte Mintrop bislang nicht.

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REPRO: MARTINA BORRMANN Im August 2001 sprach die mit Klinikum-Geschäftsf­ührer Rudolf Mintrop über den Hygieneska­ndal, der damals bundesweit Schlagzeil­en machte.

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