Nordwest-Zeitung

Immer mehr Ratten

Nutrias verbreiten sich explosions­artig – Meterlange Gänge höhlen Uferböschu­ngen aus

- VON ANJA BIEWALD

Die Sorge vor Biberratte­n wächst. Sie graben Höhlen und Gänge in die Deiche. Die Tiere verbreiten sich explosions­artig, hat die Ohmsteder Sielacht festgestel­lt. Die großen Ratten greifen im Wasser sogar Hunde an, die gegen sie keine Chance haben . .

Die Tiere schädigen Uferböschu­ngen und Deichanlag­en. Mehr als 100 Nutrias wurden nun gefangen. Letztes Jahr waren es nur sechs.

ELSFLETH/OHMSTEDE An diesem Tag führt Henning Heinemann im Schöpfwerk Dalsper im Landkreis Wesermarsc­h eine Strichlist­e. Jeder dunkle Stummel in seinem Eimer ist ein Strich auf dem Papier. Über 100 Stummel und Striche werden es am Ende sein. Und das bereitet Heinemann Sorge. Große Sorge.

Henning Heinemann ist der Verbandsvo­rsteher der Ohmsteder Sielacht. Die Stummel sind Nutriaschw­änze. Jeder Schwanz steht für ein getötetes Tier. „Im Herbst hatten wir beim letzten Termin sechs Nutrias, jetzt sind es so viele. Die vermehren sich explosions­artig.“Und damit stellen die Nagetiere eine Gefahr für den Deichschut­z dar.

Auch ganz putzig

Ja, sie sehen ganz putzig aus. Nicht wenige Betrachter würden Nutrias sogar irgendwie niedlich finden. Doch bei den Wasserund Bodenverbä­nden in der Wesermarsc­h rufen die Tiere nur Sorgen hervor. Nutrias graben Gänge in Deiche und Uferböschu­ngen. „Und das sind keine kleinen Gänge, das sind drei Meter tiefe Röhren, die höhlen alles aus“, erklärt Jäger Hartwig Vögel. Auch er hat Nutriaschw­änze als Beleg für seinen Jagderfolg bei der Sielacht abgegeben. „Die Jungtiere sind

schon nach drei bis vier Monaten geschlecht­sreif, der Nachwuchs kommt dreimal im Jahr“, schildert Vögel, warum sich Nutrias oder Biberratte­n so immens schnell vermehren

und ausbreiten können: „Und das sind große Löcher in den Deichen.“Schließlic­h bringt ein Nutria rund zehn Kilo auf die Waage. „Wir sehen die Schäden an den Gewässern, die Ufer können wegbrechen, beim Mähen können Pflegefahr­zeuge einbrechen und umstürzen“, ergänzt Henning Heinemann: „Wir müssen hier extrem aufpassen. Sie werden immer mehr und ein großes Problem.“Die Nutrias sehen auf den ersten Blick aus wie Biber und

stammen aus Südamerika. Wegen ihres Pelzes wurden die Nagetiere einst nach Europa geholt. Wahrschein­lich sind es ausgebüxte Tiere aus solchen Pelzfarmen, die sich immer weiter verbreitet haben und nun hier ansässig geworden sind. „Eine heimische Tierart ist das aber nicht, sie ist invasiv“, sagt auch Heino Röver. Er ist amtlich bestellter Bisamjäger. Damit ist gleich der nächste Kandidat genannt, der den Uferböschu­ngen schadet. Bisamratte­n graben ihre Gänge unterhalb der Wasserlini­e, Nutrias oberhalb. Zu sehen sind die Gänge nicht so einfach.

„Die Bisampopul­ation haben wir dank der Fänger im Griff“, sagt Heinemann. Rund 120 000 Tiere seien niedersach­senweit im Jahr 2016 in die Fallen gegangen. Aber: Fallen werden in der Wesermarsc­h immer wieder und in großer Zahl gestohlen oder zerstört. Falsch verstanden­er Tierschutz? „Wahrschein­lich“, sagt Heinemann.

Die Diebstähle wurden übrigens bei der Polizei zur Anzeige gebracht. Anwohner im Umfeld von Gewässern werden gebeten, auffällige und unbekannte Fahrzeug zu melden. Röver: „So eine Falle bringt man nicht einfach so weg. Die werden schon ins Auto geladen.“

Schonzeit beendet

Nun kommen die Nutrias dazu – und deren Gänge fallen deutlich größer aus als die der Bisamratte­n. Auch auf Landeseben­e wurde die Gefahr für den Deich- und Gewässersc­hutz durch die Nagetiere erkannt: Niedersach­sen will Biberratte­n effektiver bekämpfen. Das Landwirtsc­haftsminis­terium hat seit dem 25. April die Schonzeit für die Ratten aufgehoben. Nach der Sommerpaus­e will das Ministeriu­m auch den Schutz von Muttertier­en aufheben. Neben der ganzjährig­en Jagdzeit können dann auch Elterntier­e geschossen werden, die ihre Jungen aufziehen.

Einen Austausch gibt es mit den Niederland­en, die eine Invasion der Nager aus Deutschlan­d beklagen. Jäger Hans-Hermann Mohrmann (Obmann für Naturschut­z in der Jägerschaf­t der Stadt Oldenburg) berichtet, dass es im Nachbarlan­d staatlich angestellt­e Nutria-Bekämpfer gibt, um die Deiche zu schützen. Mohrmann warnt auch Hundebesit­zer, die ihre Tiere ohne Leine laufen oder in den Gewässern schwimmen lassen: „Ein Hund hat gegen ein Nutria keine Chance.“

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BILD: ANJA BIEWALD/ARCHIV Henning Heinemann (rechts), Verbandsvo­rsteher der Ohmsteder Sielacht, und der amtlich bestellte Bisamfänge­r Heino Röver zeigen eine 9alle. Diese werden reihenweis­e entwendet. Das kleine Bild zeigt eine Nutriafami­lie mit Bau.
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