Was ein Autor im Nordwesten erlebt
Michael =umpfm>ller >ber seinen ?Literarischen Landgang@ im Oldenburgischen
Der Berliner (56) kommt im Rahmen des Stipendiums – nach seiner Rundreise im Herbst 2017 – nun zu Lesungen in die Region. 4ir drucken im Folgenden den Anfang seiner Erz<hlung.
OLDENBURGER LAND Ich weiß nicht, ob es klug ist, ausgerechnet jetzt zu reisen, aber Rieke findet, auf jeden Fall. Sie müsse unbedingt mal raus und sich bewegen, sagt sie, denn so in Bewegung könne sie am besten nachdenken, klären, was nun ist und wie sie weiter leben will. Und ist das nicht gerade die Frage?
Man sieht Rieke nicht an, was ihr in den letzten Monaten geschehen ist. Rieke ist weiterhin die Rieke, die sie vor zwanzig Jahren gewesen ist, eine etwas geschundene Version davon, aber immer noch mit diesem nördlich ruhigen Blick, denn sie kommt aus dem Norden, und dort will sie jetzt eine Weile hin.
Wir haben eine Woche, und in dieser Woche will sie sich entscheiden.
Regen in Cloppenburg
Nicht groß reden, sondern einfach nur herumfahren, ein bisschen gehen, schauen, was da oben im Norden so ist, was sie noch kennt, denn sie ist seit Jahren nicht dort gewesen und als Kind nur die ersten sechs Jahre.
Ich kann kaum sagen, wie sehr ich Rieke bewundere. Dass sie sich nicht blindlings fügt, sondern darauf beharrt, dass man jederzeit einen Rest Freiheit hat, dass nicht alles gegeben und unvermeidlich ist, sondern man auch nein sagen kann oder zu etwas anderem, neuen vielleicht ja. Leider ist das schwer. Ich fühle mich wie dein Odysseus zwischen den beiden Felsen, sagt sie. Pest und Cholera, wenn es nur Pest und Cholera wäre.
Rieke hat bis vor einem halben Jahr fürs Radio gearbeitet, was bedeutet, dass ich jede Menge Stimmen von ihr kenne, die ihr verfügbaren Tonarten, sagen wir, in den ersten Morgenstunden, wenn sie mit ihrem unverwüstlichen Optimismus ihre Hörer
aus den Betten holt: Guten Morgen, es ist euer Tag, ich bin Rieke und möchte, dass ihr etwas aus ihm macht, denn ihr habt ihn nur dieses eine Mal, und das ist heute.
Sie hat sich gewünscht, dass ich das Fahren übernehme.
Wir sind schon länger unterwegs als geplant, kurz vor Magdeburg stehen wir ewig im Stau, aber für Rieke ist nur wichtig, dass wir alles schnell hinter uns lassen. Sie hat ihre Füße auf das Armaturenbrett gelegt und studiert die Regionalkarte 04, die sie für die Reise besorgt hat, und
irgendwann sagt sie: Cloppenburg. Lass uns nach Cloppenburg fahren.
Eine ihrer Großmütter stammte aus Cloppenburg, sie ist seit Ewigkeiten tot, aber gut. Das Navi sagt, zwei Stunden, es beginnt schon zu dämmern, man sieht nicht mehr viel, aber in diesen Minuten betreten wir den klösterlichen Raum, der für Rieke der Norden ist, das Schweigekloster ihrer frühen Kindheit, in dem sie sich eine – ich weiß nicht – spirituelle Stärkung erhofft, eine Erfrischung ihrer müden Seele, oder wie immer sie es in den letzten Tagen formuliert hat.
In Cloppenburg, leider, nieselt es. Der erste Eindruck ist alles andere als erfreulich,
denn auch das Hotelzimmer ist nicht besonders, aber immerhin, wir bekommen eins und können es auf der Stelle beziehen.
Draußen ist es inzwischen richtig Nacht geworden, es ist halb neun, der Nieselregen hat sich in einen hartnäckigen Landregen verwandelt, alles ist nass und dunkel, von erhabenen Gefühlen keine Spur.
Götter im Urlaub
Aber da drüben, schau, leuchtet die Akropolis, sage ich, denn keine drei Minuten vom Hotel gibt es einen Griechen, in dem jede Menge Leute beim Essen sitzen, direkt am Wasser eines schmalen Flusses; die Götter meinen es gut mit uns, was wiederum Rieke sagt, weil sie an die Existenz von Göttern glaubt, und warum auch nicht, wir kön-
nen jede Art von Beistand gebrauchen.
Auch die Köche im Akropolis könnten ihn gebrauchen, denn das Gyros und die Moussaka sind – na ja – doch eher mäßig, aber deshalb sind wir auch nicht gekommen, und der eisgekühlte Ouzo schmeckt beinahe wie in Griechenland.
Wahrscheinlich haben die Götter von Cloppenburg gerade Urlaub, sagt Rieke, die es mit Namen und Aufenthaltsorten der Götter nicht so genau nimmt, aber jederzeit mit ihnen rechnet, und das schätze ich an ihr.
Ich unterrichte seit fünfundzwanzig Jahren Latein und Griechisch an einem Gymnasium und habe es mit Schülern zu tun, die von Göttern nie gehört haben und allenfalls Vorfahren der Aliens in ihnen sehen, Witzfiguren aus den Weiten des Alls, das für sie ganz leer ist, die ganzen Himmel über uns, während Rieke überall Spuren des Göttlichen zu erkennen meint, in den Wolkenformationen, den Sternen, klar, wenn Schwärme von Vögel vorüberziehen oder im Sommer alles Stille ist.