Innige Lichtmomente rund um den Lindenbaum
#chuberts „Winterreise“Schluss- und Höhepunkt beim Liederpfingsten in Warfleth
WARFLETH Dichter Wilhelm Müller muss innerlich gegrinst haben, als er über seine sommerlich-naturnahen Gedichte nach den „Papieren eines reisenden Waldhornisten“in Klammern setzte: „Im Winter zu lesen.“Franz Schubert hat 20 davon im Liederzyklus „Die schöne Müllerin“vertont. Ähnlich ironische Distanz haben Komponist und Dichter zu ihren 24 Liedern der „Winterreise“aber nicht offiziell bekundet: „Im Sommer zu singen.“Das geht durchaus.
Unglücklich verlieben kann man sich auch im Mai. Existenzielle Bedrohung fühlen kann man zu jeder Jahreszeit. Und der Schauder, den das Wort „Winterreise“provoziert, wirkt immer. Da mag das 3. Liederpfingsten-Festival in der Konzertkirche in Warfleth (Gemeinde Berne/ Wesermarsch) eine Menge gesungene Vielfalt zusammenfassen: Am Ende setzt diese weglose und ausweglose Stunde mit Schubert den Höhepunkt.
Der Tenor Simon Bode und der Pianist Graham Johnson lassen zuvor in Benjamin Brittens acht „Winter Words“erkennen, wie melodiös und facettenreich der Sänger seine Stimme einzusetzen vermag. Und das biblische Drama „Abraham and Isaac“des Briten mit der sich prächtig einfügenden Mezzosopranistin Sharon Carty packt in seiner emotionalen Wucht.
Dem Begleiter, zwischen Terminen in London und Amsterdam nach Warfleth gekommen, rollt Veranstalter Reinhard Rakow ideell und real einen roten Teppich aus: „Johnson ist der bedeutendste Liedbegleiter weltweit, eine Legende“, sagt er. Diese Meinung hat er nicht alleine.
Johnson spielt sich in der „Winterreise“nie in den Vordergrund, verharrt aber auch nicht im Halbschatten. Er tritt dem einsamen Migranten auf die Zehen. Bode wagt derart angetrieben emotionale Extreme. Er erzählt oft mit Wut, will die Endzeitstimmung nicht hinnehmen. Dazu passt eine gewisse Härte seiner Stimme im Forte geradezu erschütternd. Heftig treffen die Hörer die leisen Momente. In der nachtrauernden Erinnerung wirkt das Vergangene verklärter als es wohl war.
Früh lassen Bode/Johnson in ihrer unbändigen Gestaltungskraft das Lied vom „Lindenbaum“fein schattiert zum Wendepunkt aller Illusionen werden. „Am Brunnen vor dem Tore“ahnt der ziellos Flüchtende, dass nichts Vertrautes bleiben wird. Bei Bode blitzen über dieser keinesfalls nur im Winter zu spürenden sozialen Kälte in großer Innigkeit Lichtmomente auf. So setzt er am Ende beim „Leiermann“das Unausweichliche in Klammern. „Wunderlicher Alter, willst du mit mir gehen?“– Es muss nicht gleich in die Hoffnungslosigkeit führen.