Nordwest-Zeitung

Mächtiges Haus in unruhigen Zeiten

Was die Europäisch­e Zentralban­k in 20 Jahren bewirkt hat – Und was jetzt passieren muss

- VON JÖRN BENDER UND FRIEDERIKE MARX

1hre Macht ist groß, manchem ist sie unheim8 lich. Die EZB bestimmt nicht nur über die Zin8 sen für Millionen Euro8 päer. Bisweilen treiben die Währungshü­ter auch Politiker vor sich her.

BRAGKBURT/MAIN Am Anfang stand ein klassische­r europäisch­er Kompromiss: Den Chefposten bei der neu gegründete­n Europäisch­en Zentralban­k (EZB) bekam im Sommer 1998 nicht etwa ein Deutscher oder ein Franzose, sondern der Niederländ­er Wim Duisenberg. Abgesehen vom Gerangel um das Spitzenper­sonal wurde eines der bedeutends­ten Projekte der europäisch­en Wirtschaft­sgeschicht­e fast unbemerkt in die Tat umgesetzt: Die Gründung einer gemeinsame­n Zentralban­k und somit das gemeinsame Einstehen für eine stabile Währung im Euroraum.

Gewaltige Aufgabe

„Am 25. Mai 1998 ernannten die Regierunge­n der elf teilnehmen­den Mitgliedst­aaten den Präsidente­n, den Vizepräsid­enten und die vier weiteren Mitglieder des Direktoriu­ms der EZB. Deren Ernennung erfolgte mit Wirkung zum 1. Juni 1998 und begründete die Errichtung der EZB“, vermerkt die Historie nüchtern.

Erst vier Wochen später, Ende Juni 1998, feierte die Polit-Prominenz die EZBGründun­g mit einem Festakt in Frankfurt. EZB-Präsident Duisenberg – mit der EuroEinfüh­rung zum 1. Januar 1999 qua Amt oberster Währungshü­ter für damals elf Staaten mit zusammen 300 Millionen Menschen – ließ keinen Zweifel, worum es der neuen Mammut-Behörde vor allem gehen muss: um das Vertrauen der Bürger, dass die Gemeinscha­ftswährung ebenso stabil ist wie zuvor D-Mark, Franc, Gulden und Co. „Der Euro ist ihre Währung, und sie sollten sich darauf verlassen können, dass er seinen Wert behält“, schrieb er den unabhängig­en

Zentralban­kern ins Stammbuch.

Welche gewaltige Aufgabe der Niederländ­er mit dem Pokergesic­ht zu verrichten hatte, beschrieb der frühere Wall-Street-Journalist Matt Marshall treffend in seinem Buch „Die Bank“(1999): „Duisenberg­s größte Herausford­erung besteht darin, den Konvoi der EZB-Politik durch das Minenfeld nationaler Empfindlic­hkeiten zu lotsen.“

In einer auf 19 Länder gewachsene­n Eurozone ist das eher noch schwierige­r geworden. Während Südeuropa

über den Billiggeld-Kurs der EZB nach der jüngsten Finanzkris­e 2007/2008 jubelt, müssen die Währungshü­ter die diversen Sondermaßn­ahmen etwa in Deutschlan­d immer wieder rechtferti­gen. „Wenn die EZB so weitermach­t, kauft sie bald auch alte Fahrräder auf und gibt dafür neues Papiergeld heraus“, ätzte im Sommer 2011 der FDP-Finanzpoli­tiker Frank Schäffler.

Staatsanle­ihenkäufe, Finanzspri­tzen für klamme Banken, Nullzins, Strafzinse­n für geparkte Bankeinlag­en –

dass die EZB im Kampf gegen Mini-Inflation und schwache Konjunktur auch manches Tabu brach, nährte bei manchem die Sehnsucht nach der Stabilität­skultur der Deutschen Bundesbank. Sparer fühlen sich enteignet, auch wenn auf der anderen Seite zum Beispiel Immobilien­käufer vom Zinstief profitiere­n.

Die EZB brauche „mehr deutsche Handschrif­t“forderte im Frühjahr 2016 der CSUPolitik­er Markus Söder, heute bayerische­r Ministerpr­äsident, öffentlich­keitswirks­am in der „Bild am Sonntag“. In einer jüngeren Analyse vertreten auch Analysten der UBS die Ansicht: „Deutschlan­ds Gewicht im EZB-Rat ist angesichts der Regel ,Eine Person, eine Stimme‘ zu gering.“Die Hoffnung ist groß, dass Bundesbank-Präsident Jens Weidmann im Herbst 2019 den derzeitige­n EZB-Präsidente­n Mario Draghi beerben und als erster Vertreter der größter Volkswirts­chaft Europas auf einen der einflussre­ichsten Posten auf dem Kontinent befördert wird.

Gläserne Bestung

Die Machtfülle des Amtes demonstrie­rte Draghi eindrucksv­oll im Sommer 2012. „Die EZB wird alles tun, um den Euro zu retten“, versprach der Italiener: „Whatever it takes.“Draghis Machtwort stabilisie­rte die Eurozone in der tiefsten Krise ihrer jungen Geschichte, als die Politik schnelle Entscheidu­ngen vermissen ließ – das gestehen Draghi sogar seine Kritiker zu. Gleichwohl wird bis heute auch vor Gericht gestritten, ob die EZB, die nicht demokratis­ch gewählt ist, unter Draghis Führung nicht ihre Kompetenze­n überschrit­ten hat.

Entrückt ist die Notenbank, die seit November 2014 zusätzlich die wichtigste­n Banken im Euroraum direkt überwacht, auch räumlich: Vom Eurotower in der Frankfurte­r Innenstadt zieht es die EZB 2015 in einen gläsernen Neubau im Osten der Bankenmetr­opole. Zur Eröffnung im März 2015 greifen Vermummte Polizisten an, gehen Autos in Flammen auf, fliegen Steine – Kapitalism­uskritiker der „Blockupy“-Bewegung hatten zu Protesten aufgerufen.

Mffnete die Notenbank zu ihrem zehnjährig­en Bestehen 2008 noch ihre Pforten und gewährte zumindest 1000 ausgewählt­en Bürgern einen Blick hinter die Fassade, gleicht die EZB heute einer Festung. Mehr Transparen­z fordert nicht nur der künftige Bundesbank-Vorstand Burkhard Balz. Im Januar sagte der CDU-Politiker dem „Handelsbla­tt“: „Fast 20 Jahre nach der Gründung der EZB ist es Zeit für eine Bestandsau­fnahme, was gut und was nicht so gut gelaufen ist.“

 ?? DPA-BILD: PILICK ?? Blick von einem Hubschraub­er auf das Gebäude der Europäisch­en Zentralban­k in Frankfurt am Main und das von Menschen gebildete Eurozeiche­n. Rund 10 000 Menschen hatten damals – am Neujahrsta­g 1999 – den Geburtstag des Euro gefeiert.
DPA-BILD: PILICK Blick von einem Hubschraub­er auf das Gebäude der Europäisch­en Zentralban­k in Frankfurt am Main und das von Menschen gebildete Eurozeiche­n. Rund 10 000 Menschen hatten damals – am Neujahrsta­g 1999 – den Geburtstag des Euro gefeiert.

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