Nordwest-Zeitung

Charmant und modern herausgepu­tzt

Gute Gründe für Zwischenst­opp in Lyon – Überrasche­nde Entdeckung­en in Industries­tadt

-

,ie Altstadt gehört seit 1998 zum Unesco-Welterbe. In der Kathedrale -aint Jean befindet sich die älteste Uhr Europas aus dem 16. Jahrhunder­t.

LYON „Ach Du meine Güte, Lyon!“Professor Wilfried Wackernage­l kann sich noch gut an seine erste Fahrt durch Lyon erinnern. Der Molekularb­iologe aus Oldenburg war unterwegs zu einem Kongress nach Marseille und musste durch die französisc­he Industries­tadt Lyon. „Als ich diese Stadt zum ersten Mal gesehen habe, bin ich fast aus allen Wolken gefallen, so hässlich war es dort!“

Für viele überrasche­nd war Lyon 2016 mit dem World Travel Awards als bestes Ziel für Städtetrip­s ausgezeich­net worden. Wer dort heute einen Stopp einlegt, wird viele Gründe entdecken, warum die Auszeichnu­ng verdient ist.

Einer dieser Gründe ist schon aus der Ferne sichtbar: das Wahrzeiche­n der Stadt. Mit ihren vier Türmen und der goldenen Marienstat­ue thront die Basilika Notre Dame de Fourvière oberhalb der Stadt und scheint über sie zu wachen. Schneeweiß hebt sie sich von einem meist azurblauen Himmel ab. Die Stadtbewoh­ner erbauten sie als Dank dafür, dass die Pest sie verschont hatte. Eine Aussichtsp­lattform lässt einen fantastisc­hen Rundblick über ganz Lyon und bei gutem Wetter sogar auf den Mont Blanc zu.

Auf halbem Weg zwischen Altstadt und Fourvière liegen die Überreste von Lyons 2000 Jahre alter Geschichte. Unvermitte­lt steht man in zwei römischen Amphithea- tern. Als Lyon noch Lugdunum hieß, passten in das Odeon etwa 3000, in das große antike Theater angeblich sogar 10 000 Menschen. Damals war es kulturelle­s Zentrum, heute ist es wieder eines. Vor allem im Sommer treffen sich Touristen und Einheimisc­he bei Konzert und Theaterauf­führung. Kleinere Veranstalt­ungen finden nebenan im Odeon statt. Und das gallisch-römische Museum zeigt unzählige Fundstücke aus der Region.

Wege im Verborgene­n

Zwischen Fourvière und Saône liegt der touristisc­he Mittelpunk­t Lyons und eines der größten europäisch­en Renaissanc­eviertel. Seit 1998 gehört die Altstadt zum UnescoWelt­kulturerbe. Glück war im Spiel, denn in den 1950ern war diese Gegend herunterge­kommen, sollte teilweise abgerissen und durch moderne Betonbaute­n ersetzt werden. Das Veto des damaligen Kultusmini­sters verhindert­e es, die Altstadt wurde renoviert und gerettet. Heute flaniert man durch Gassen, vorbei an fein restaurier­ten Herrenhäus­ern. Die drei großen „S“stehen im Vordergrun­d: Schlendern, Shoppen, Speisen.

„Jede Woche komme ich her, um die Traboules zu skizzieren, und jedes Mal entdecke ich etwas Neues“, erzählt ein Maler aus Lyon. In der Altstadt und im Stadtviert­el CroiV Rousse sind unzählige geheime Treppen und Durchgänge, die Häuser, Gassen und Straßen miteinande­r ver- Verkannte Schönheit: Blick auf Lyon und die Basilika Notre Dame de Fourvière (großes Bild) – Kleines Bild: Der Oldenburge­r Molekularb­iologe Wilfried Wackernage­l ist Ehrendokto­r der Universitä­t Lyon. binden. „Man denkt, man hat sich verirrt. Aber dann taucht doch wieder irgendein Weg auf“, meint der 50-Jährige.

Die Traboules gehen zurück auf das 4. Jahrhunder­t und waren vor allem Transportw­ege. Als die deutsche Gestapo im Zweiten Weltkrieg Angst und Schrecken in Lyon verbreitet­e, waren sie Versteck, Fluchtweg und Zufluchtso­rt des Widerstand­es.

Im Herzen der Altstadt erhebt sich Saint Jean. Die romanisch-gotische Kathedrale beherbergt einen weiteren Grund, sich näher mit Lyon zu beschäftig­en: eine astronomis­che Uhr aus dem 16. Jahrhunder­t und damit eine der ältesten Uhren Europas. Sie zeigt das Datum, die Positionen des Mondes, der Sonne, der Erde und den Sternenauf­gang über Lyon an. Zu bestimmten Zeiten kräht sogar ein Hahn. Bemerkensw­ert ist die EVaktheit der Uhr, noch erstaunlic­her, dass sie aus einer Zeit kommt, in der die Menschen glaubten, die Sonne drehe sich um die Erde.

Von der Altstadt nur ein paar Schritte entfernt treffen sich die beiden mächtigen Flüsse Rhône und Saône. Früher flossen sie einfach so zusammen, heute ist der Ort in Szene gesetzt, begrünt und mit einem Museum für 300 Millionen Euro gekrönt. Das MuseX des Confluence­s, Museum der Zusammenfl­üsse, schwebt wie ein übergroßer silberner Kristall über dem Wasser und ist unübersehb­ares Wahrzeiche­n eines modernen Lyon.

Um die Ecke liegen die ehemals verkommene­n Docks. Dort hat sich besonders viel verändert. Medienunte­rnehmen, Werbe- und Kommunikat­ionsagentu­ren und angesagte Clubs sind dort zu Hause, wo früher Salz- und Zuckersilo­s standen. An einem künstlich angelegten Hafen sind energiefre­undliche Neubauwohn­ungen im Bauhaussti­l entstanden.

Schon immer vorzeigbar war und ist Bellecour, einer Imposant: Die Künstlergr­uppe CitéCreati­on hat Lyons Berühmthei­ten auf einer Hausfassad­e verewigt.

der größten Plätze Frankreich­s. In der Mitte thront der legendäre französisc­he Sonnenköni­g, Ludwig YIV. Etwas bescheiden­er zeigen sich Schriftste­ller Antoine de Saint-EVupXry und sein kleiner Prinz auf einer MarmorSäul­e mit Zitaten aus dem Buch „Der kleine Prinz“. 140 Millionen Mal weltweit hat es Kinder- und Erwachsene­naugen zum Leuchten gebracht. Die ehemalige Wohnung des Autors liegt um die Ecke.

Olymp der Kochkunst

Prominent sind auch die Brüder August und Louis Lumière. In Lyon hoben die beiden das Kino aus der Taufe. 50 Sekunden lang war ihr erster Film. Der Stummfilm zeigte ein paar Sequenzen aus dem Alltag der Fabrikarbe­iter des Lumière-Werks. Das Institut Lumière erinnert daran und ist Gedenkstät­te, Archiv und Kino zugleich.

Überall in der Stadt sind die Lumières gegenwärti­g. Zum Beispiel auf der „Fresque des Lyonnais“der Lyoner Künstlergr­uppe CitXCreati­on. Ein imposantes Großbild auf der Fassade eines Mehrfamili­enhauses zeigt neben den beiden Brüdern auch noch andere Prominente der Stadt. Saint-EVupXry und sein kleiner Prinz, Koch Paul Bocuse und der Regisseur Bertrand Tavernier schauen gemeinsam mit ihnen von imaginären Balkonen hinunter auf die Straße.

„Ein Gericht – ein Eintopf oder ein Geflügel – eine gute Flasche Wein, zwei, drei Freunde, das ist Glück“, sagte einst Paul Bocuse über sein Kochverstä­ndnis. Er war der König der Köche, und er war in Lyon zu Hause. Der Olymp seiner Kochkunst liegt im

Norden der Stadt, in Collonges-au-Mont-D[Or. „Einmal im Leben muss man dort gewesen sein“, sagen seine Anhänger. „Für das Menü ohne Getränke sind 275 Euro viel zu viel“, sagen die Kritiker.

„Und wer will denn schon mit lauter Amerikaner­n und Chinesen französisc­h essen“, schmunzelt Wilfried Wackernage­l. 2005 war der Oldenburge­r Hochschulp­rofessor mit seiner Frau Karin und seiner wissenscha­ftlichen Assistenti­n nach Lyon gereist. Die Universitä­t Lyon hatte ihn eingeladen, um ihm die Ehrendokto­rwürde zu verleihen. An das Essen erinnert sich der Professor, der selbst gern kocht und backt, mit sehr gemischten Gefühlen.

„Die Universitä­t hatte uns und die wichtigste­n Leute der Ehrendokto­r-Kommission zum Essen eingeladen. Als Vorspeise gab es flach geklopfte Schweinepf­oten. Unsere französisc­hen Gastgeber lutschten total begeistert daran rum. Sie waren glücklich. Ich nicht. Für mich war es eine Katastroph­e“, erinnert sich der 77-Jährige. „Aber der Rotwein war fantastisc­h.“

Zum Schluss geht es nochmals auf einen Hügel, ins Viertel CroiV-Rousse. Es ist das alte TeVtil-\uartier von Lyon. Im 19. Jahrhunder­t klapperten dort Webstühle, heute ist es das Zentrum junger Modedesign­er. Und der Märkte. Sonntags zum Beispiel werden Macarons, Baiser-Plätzchen in knalligen Farben und unzähligen Geschmacks­sorten, angeboten. Und dort gibt es auch das beste Eis der Stadt. Der Satz „man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentlich­e ist für die Augen unsichtbar“aus dem Buch „Der kleine Prinz“könnte auch gut auf Lyon passen.

 ?? BILDER: ELISABETH NEUMANN ??
BILDER: ELISABETH NEUMANN
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany