„Wir Deutsche denken rational“
Experte Stefan Janßen von der Jade Hochschule erklärt, warum wir so sehr am Bargeld hängen
Sind die Deutschen in puncto Alternativen zum Bargeld rückständig? Stefan Janßen sagt „Nein“und verrät auch, warum das so ist.
FRAGE: Herr Janßen, warum sind wir Deutsc.e so skeptisc. gegenüber alternativen Beza.lmet.oden?
JANßEN: Es fehlen vor allem die Anreize, um auf andere Bezahlmethoden umzusteigen. Nehmen wir mal Großbritannien als Beispiel. Dort ist das Bankensystem ganz anders strukturiert. Es gibt fünf große Banken, die den gesamten Markt dominieren. Die Wettbewerbssituation ist anders. Während wir in Deutschland darüber diskutieren, ob Banken Kontoführungsgebühren einführen, ist diese Diskussion in Großbritannien überflüssig – die würde dort niemand führen. Die Gebühren gibt es da von jeher und sie sind sehr hoch. Das heißt, die traditionellen Zahlungsmittel sind teuer. Und die neueren Möglichkeiten wie Apple Pay und ähnliches sind günstiger und daher interessant. Bei uns ist es aber so, dass eigentlich jeder in jungen Jahren ein Konto einrichtet und eine EC-Karte bzw. Girokarte erhält. Damit zu bezahlen, kostet meistens nichts extra. Auf der Kostenseite gewinnt man durch andere Bezahlmethoden also erstmal nichts, stattdessen ist es aufwendiger, damit zu arbeiten, denn neue Systeme müssen erstmal eingerichtet werden.
FRAGE: Welc.e Rolle spielt die Sic.er.eit?
JANßEN: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. 90 Prozent der Deutschen haben Bedenken, dass alternative Bezahlmethoden unsicher sind und daher ihre Daten gehackt werden können. Etwa genauso viele Deutsche haben Bedenken, dass ihre Daten gesammelt und missbraucht werden – Stichwort gläserner Bürger. Hinzu kommen Ängste, dass beim Bezahlen mit dem Smartphone im entscheidenden Moment der Akku leer sein könnte oder man keinen Empfang hat. Letzteres ist bei der Nutzung von NFC zwar nicht entscheidend, bei QR allerdings schon. Zumindest im Kassenbereich muss für die Nutzung Empfang da sein. Das ist leider noch nicht selbstverständlich.
FRAGE: Nac. welc.en Kriterien wä.len Händler die Beza.lmet.oden aus?
JANßEN: Händler entscheiden nach Kosten und Sicherheit. Die Einrichtung neuer Systeme kostet Geld und wenn Kunden das nicht nutzen, ist es für den Händler uninteressant. Und die Deutschen denken rational: Bargeld kostet mich nichts, das Bezahlen geht schnell, es ist immer verfügbar und ich muss mir keine Gedanken wegen Datenmissbrauch machen. Niemand kriegt mit, was ich kaufe und wo ich es kaufe. Daher muss sich auch der Händler fragen, ob alternative Bezahlmöglichkeiten neben Bargeld wirklich einen Anreiz für Kunden schaffen, mehr einzukaufen.
FRAGE: Sie sprec.en von rationaler Denke – wie äußert sic. das genau im Ver.alten?
JANßEN: Vergleichen wir mal die USA mit Deutschland. Sie können in den USA natürlich mit Bargeld bezahlen, aber wenn Sie das tun, denkt jeder, Sie sind Drogenhändler oder anderweitig kriminell, vor allem, wenn Sie mit großen Scheinen bezahlen. Es geht schon damit los, dass viele Deutsche nicht gern offen über ihr Gehalt sprechen. Das zeigt bereits den gravierenden kulturellen Unterschied – die Risikobereitschaft. Die Amerikaner sind hochindividuell, aggressiv und wettbewerbsorientiert, siehe Silicon Valley. Die Deutschen sind dagegen konservativer, vorsichtiger und schauen lieber auf die Gruppe. Das spiegelt sich auch in den genutzten Zahlungsmethoden wider. Die Amerikaner probieren erstmal alles aus. Das kostet allerdings Zeit. Hierzulande fängt niemand an, neue Bezahlmethoden zu testen, wenn hinter einem eine lange Schlange an der Kasse steht. Da macht man sich nicht gerade beliebt. Deutsche vertrauen in Institutionen, die sie kennen. Für die Amerikaner ist das neue Startup hip, da heißt es sofort, deren Angebot probiere ich aus. In den USA gibt es aggressive Start-ups. Einige wie Ebay oder Amazon haben den Durchbruch geschafft, viele gehen aber auch schnell pleite. Die Deutschen dagegen haben eher den familiengeführten Mittelstand. Beide Methoden sind sehr erfolgreich aber eben anders und das merken wir an der Bevölkerung ganz genau so.
FRAGE: Was müsste passieren, damit sic. das Ver.alten .ierzulande ändert?
JANßEN: Deutsche vertrauen in Institutionen, die sie kennen. Das Problem bei den alternativen Zahlungsmethoden ist, dass es zu viele Anbieter auf dem Markt gibt – er ist völlig zersplittert. Aus Kundenbefragungen wissen wir, dass sich Deutsche einen Marktführer wünschen. Bei den Online-Bezahlmethoden ist das Paypal. Alternativ wird meist noch die Sofortüberweisung angeboten. Beim Bezahlen mit dem Smartphone gibt es nicht nur eine Lösung. Man kann darüber direkt auf das Konto zugreifen, außerdem gibt es Zahlungsverkehrsdienstleister. Das macht es so unübersichtlich. Zwar kann theoretisch jeder entsprechende Apps programmieren, der Zugriff auf Konten ist allerdings streng reguliert – zum Datenschutz und zur Datensicherheit. Drittanbieter können also nicht einfach mit den Daten spielen, sie unterliegen ähnlichen Vorschriften, wie Banken. Trotzdem ist es für viele erstmal ein großer Schritt, zuzustimmen, die Daten freizugeben – danach müssen Banken im Gegensatz zu Drittanbietern nicht fragen, da sie alle erforderlichen Daten schon haben und auch ein ganz anderes Vertrauensverhältnis zum Kunden besteht. Ideal wäre es, wenn hinter einem Marktführer, der sich in diesem Bereich erst noch finden muss, jemand mit großem Namen steht. Das kann ein bekanntes Kreditinstitut sein oder ein größerer anderer Anbieter.
FRAGE: Inwiefern beeinflusst Bargeld unseren Umgang mit Finanzen?
JANßEN: Es ist bewiesen, dass man, wenn man Bargeld aus der Hand gibt, zumindest unterbewusst einen Verlustschmerz verspürt. Bei elektronischen Methoden sieht man dagegen nur noch eine Zahl und bei NFC nicht mal mehr das, da ziehen Sie nur noch die Karte durch den Scanner oder halten Ihr Smartphone auf das Lesegerät. Sie merken gar nicht mehr, wie viel Geld Sie ausgeben, der Überblick geht verloren. Wer gern bargeldlos bezahlt, hat meist auch mehrere Konten – das bedeutet noch mehr Unübersichtlichkeit. Den Umgang mit Geld lernt ein Kind sehr gut mit dem Sparschwein, und eben mit Bargeld. Man drückt den Kleinen Geldstücke in die Hand, gibt ihnen das Taschengeld zum Einteilen. Wichtig ist, was die Eltern vorleben. Kulturell gibt es enorme Unterschiede.
FRAGE: Zum Beispiel?
JANßEN: Viele Amerikaner sind verschuldet. Der Anteil der privat Verschuldeten ist dort viel höher als in Deutschland. Hierzulande wird man schneller ausgebremst, damit keine extreme Überschuldung entsteht. Die Anbieter der verschiedenen Zahlungssysteme haben natürlich ein Interesse daran, dass Sie sich da Geld leihen. Unsere Banken haben natürlich auch ein Interesse daran, Geld zu verleihen und daran zu verdienen, aber sie haben auch die Kundenbeziehung und möchten das Geld irgendwann mal wiedersehen. Daher schauen sie, ob sich jemand noch einen Kredit leisten kann, oder ob nun besser Schluss ist. Und wer mit Bargeld in ein Geschäft geht, greift wahrscheinlich eher zu einem günstigeren Produkt, wenn er sieht, wie die Scheine über die Theke wandern. Junge Menschen lernen leider häufig das unkontrollierte Geldausgeben, sie überschulden daher auch schnell.