Nordwest-Zeitung

Hat Dolmetsche­r kassiert?

500 Euro für falsche Angaben zur Identität der Asylbewerb­er

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN

Die Bamf-Affäre entwickelt sich zum Dauerprobl­em. Nicht nur Bremen bereitet Ärger.

BREMEN/BERLIN In der Affäre um unrechtmäß­ige Asylbesche­ide beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) sollen ein Dolmetsche­r und ein Vermittler die Hand aufgehalte­n haben. Wie aus einem Durchsuchu­ngsbeschlu­ss des Amtsgerich­ts Bremen vom 3. April hervorgeht, wird der Bremer Dolmetsche­r verdächtig­t, von Ausländern, die ihm ein zweiter Beschuldig­ter vermittelt­e, 500 Euro dafür erhalten zu haben, dass er „falsche Angaben insbesonde­re zur Identität und den Einreiseda­ten aufnahm, beziehungs­weise übersetzte“.

Der Vermittler soll von den Antragstel­lern selbst 50 Euro kassiert haben. Die Staatsanwa­ltschaft stützt ihren Verdacht auf Erkenntnis­se aus Revisionsv­erfahren des Bamf und auf Zeugenauss­agen.

Die Bremer Bamf-Außenstell­e darf aktuell keine Asylanträg­e mehr bearbeiten. Das Amt steht laut Staatsanwa­ltschaft im Verdacht, zwischen 2013 und 2016 mindestens 1200 Menschen ohne ausrei- chende Grundlage Asyl gewährt zu haben.

Durch die Ermittlung­en im Bremer Flüchtling­samt kommen immer neue Verdachtsf­älle und Schlampere­ien ans Licht. Wie aus internen E-Mails hervorgeht, hatte ein Asyl-Entscheide­r der BamfAußens­telle im rheinlandp­fälzischen Bingen bereits vor Monaten bei Vorgesetzt­en in Nürnberg Alarm geschlagen, weil ihm die stark vom Bundesdurc­hschnitt abweichend­en Schutzquot­en für einige Nationalit­äten suspekt erschienen. Demnach erhielten in Bingen zwischen Januar und Oktober 2017 etwa 97 Prozent der Iraner Flüchtling­sschutz oder eine Asylanerke­nnung. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2017 lag die Gesamtschu­tzquote für Iraner bundesweit bei 50 Prozent.

Schon kurz nach seiner Nominierun­g als Bundesinne­nminister zeigt Horst Seehofer Tatkraft. „Ich werde mich sofort nach der Amtsüberna­hme mit allen Mitarbeite­rn und den nachgeordn­eten Behörden zusammense­tzen, um einen Masterplan für schnellere Asylverfah­ren und konsequent­ere Abschiebun­gen zu erarbeiten“, sagt er im März in einem Interview. Zwei Monate später bläst dem CSU-Chef ausgerechn­et bei der Asylpoliti­k der Wind immer stärker ins Gesicht.

Die Affäre ums Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) ist längst nicht ausgestand­en. Die Opposition fordert Seehofer zu umfassende­r Aufklärung auf; an diesem Dienstag tagt der Innenaussc­huss des Bundestags. Sollte das nicht den gewünschte­n Erfolg bringen, droht ein Untersuchu­ngsausschu­ss.

Gehandelt hat Seehofer schon. Der Bremer Bamf-Stelle, die im Zentrum der Affäre um unrechtmäß­ige Asylbesche­ide steht, hat er weitere Asylentsch­eidungen zunächst verboten. Angesichts strafrecht­licher Ermittlung­en soll es zudem eine gemeinsame Ermittlung­sgruppe der Zentralen Antikorrup­tionsstell­e und des Landeskrim­inalamts Bremen mit Unterstütz­ung der Bundespoli­zei geben.

Im Schatten der Bamf-Affäre ist in den Hintergrun­d gerückt, dass Seehofers zentrales Asylprojek­t auf der Stelle steht: die Ankerzentr­en. Jeweils bis zu 1500 Asylbewerb­er sollen darin zentral untergebra­cht werden. Das Bamf, die Bundesagen­tur für Arbeit, Jugendämte­r, Justiz und Ausländerb­ehörden sollen dort vertreten sein – und Flüchtling­e ohne Bleibepers­pektive von dort direkt abgeschobe­n werden. Seehofer will bis September bundesweit bis zu sechs Zentren eröffnen.

Im bayerische­n Vorbild lässt sich besichtige­n, wie die Zentren funktionie­ren sollen: im Transitzen­trum Manching, gleich neben Seehofers Heimatstad­t Ingolstadt. Vor einigen Tagen hatten Journalist­en erstmals seit Langem Zutritt. Sie sahen: Privatsphä­re haben die rund 1100 Menschen hier kaum.

Die Bündelung der Behörden an einem Ort soll die Asylverfah­ren beschleuni­gen, erläutert Daniel Waidelich von der Regierung Oberbayern­s. An Menschen mit geringer Bleibepers­pektive soll das ein Signal senden: „Es lohnt sich nicht, nach Deutschlan­d zu kommen.“Deutschkur­se für Erwachsene gibt es in Manching nicht. „Das ist im System nicht vorgesehen.“Über Abschiebe-Abholungen zu frühmorgen­dlicher Schlafensz­eit sagt er, das sei „im System so angelegt“. Die Flüge starten meist vormittags.

Die hohe Zahl teils traumatisi­erter Menschen, die ohne Beschäftig­ung und Perspektiv­e aufeinande­rsitzen: das sehen viele als Hauptprobl­eme. Am Wochenende wenden sich auch mehr als 20 Familienun­d Flüchtling­sverbände in einem offenen Brief gegen die Pläne.

Bundesweit durchsetze­n lassen sich die Ankerzentr­en bis September wohl nur schwerlich, denn die Bundesländ­er stellen sich mehrheitli­ch quer. Vielen sind die bislang vorliegend­en Pläne zu unkonkret. Auch Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) sprach sich im Interview mit dieser Zeitung dagegen aus.

Seehofer selbst gibt sich optimistis­ch. „Die Gespräche mit den Bundesländ­ern zeigen, dass es durchaus die Bereitscha­ft gibt, sich an den Piloten zu beteiligen und die Anker-Zentren so auch mitzugesta­lten“, sagt der CSU-Vorsitzend­e der „Bild am Sonntag“. „Das wird auch die Zweifler überzeugen.“

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