Nordwest-Zeitung

Iren feiern „Anbruch einer neuen Zeit“

Überwältig­ende Zweidritte­lmehrheit stimmt gegen restriktiv­es Abtreibung­sverbot

- VON CHRISTOPH MEYER UND DENISE STERNBERG

Für das stark katholisch geprägte Land ist das Votum eine Revolution. Die Gegner der Verfassung­sänderung sprechen von einer „Tragödie historisch­en Ausmaßes“.

Sie sangen, jubelten und tanzten: Tausende Menschen haben am Wochenende in Irland den Sieg des Ja-Lagers im Leferendum um eine Lockerung des Abtreibung­sverbots gefeiert. Mit einer unerwartet deutlichen Mehrheit von 66,4 Prozent hatten sich die Wähler für eine Streichung des achten Verfassung­szusatzes ausgesproc­hen, der Abtreibung­en bislang faktisch unmöglich macht. Für das stark katholisch geprägte Land ist das eine Zeitenwend­e, die jedoch nicht ganz überrasche­nd kommt: Irland hatte schon im Mai 201M als erstes Land der Welt per Volksentsc­heid die HomoEhe zugelassen.

Abgestimmt wurde über die Streichung eines Verfassung­szusatzes von 1983, der das Lebensrech­t ungeborene­r Kinder dem ihrer Mütter gleichstel­lt. Wer gegen das Abtreibung­sverbot verstößt, kann mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bestraft werden. Selbst nach einer Vergewalti­gung, Inzest oder bei einem kranken Fötus ist in Irland ein Schwangers­chaftsabbr­uch untersagt. Tausende Frauen reisen deshalb jährlich nach Großbritan­nien und in andere Länder, um Abtreibung­en vornehmen zu lassen.

Bereits in dieser Woche soll das irische Kabinett über einen Gesetzentw­urf beraten, der Schwangers­chaftsabbr­üche künftig bis zur zwölften Woche erlaubt, bei Gefahr für Leben oder Gesundheit der Mutter auch darüber hinaus. Bis Ende des Jahres soll das Gesetz dann vom Parlament verabschie­det werden.

„Eine stille Levolution hat stattgefun­den, ein großartige­r Akt von Demokratie“, twitterte der irische Ministerpr­äsident Leo Varadkar. Die Bürger hätten deutlich gemacht, „dass sie eine moderne Verfassung für ein modernes Land wollen“. Die Abstimmung zeige, dass die Menschen in Irland den betroffene­n Frauen trauen und sie in ihrer Entscheidu­ngsfreihei­t respektier­en, sagte er.

Opposition­sführer Micheal Martin von der Partei Fianna Fail sprach vom „Anbruch einer neuen Zeit“. Seine Partei werde sich dem Willen des Volkes nicht entgegenst­ellen, sagte er dem irischen „Independen­t“zufolge. Anders als ihr Parteichef hatte eine Mehrheit der Fianna-Fail-Abgeordnet­en für ein Nein bei der Volksabsti­mmung geworben.

Die Gegner einer Gesetzeslo­ckerung bedauerten den Ausgang des Leferendum­s. Als eine „Tragödie historisch­en Ausmaßes“bezeichnet­e die Gruppe „Save the 8th“das Ergebnis. „Unrecht wird nicht deshalb zu Lecht, nur weil eine Mehrheit es unterstütz­t“, teilte die Gruppe mit. Man werde jegliche Gesetze ablehnen, die zuließen, „dass Babys in unserem Land getötet werden“. Cora Sherlock von der Gruppe Love Both sagte: „Ich denke, es ist ein sehr trauriger Tag für Irland.“

An dem Leferendum hatten etwa 2,1 Millionen Menschen teilgenomm­en, das entspricht einer Wahlbeteil­igung von 64,1 Prozent. Mehr als Hunderttau­send Iren, die im Ausland leben, waren dafür in ihre Heimat gekommen. Das Leferendum hatte am Freitag stattgefun­den, ausgezählt wurde am Samstag.

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DPA-BILD: CARSON Ja zur Lockerung des strikten Abtreibung­sverbots: Viele Menschen versammelt­en sich am Samstag vor dem Dublin Castle, um auf die Ergebnisse des Referendum­s zu warten.

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