Chmerz hört nie auf
Vor 25 Jahren zündeten Rechtsradikale das Haus der Familie Genç an
Ziei Frauen und drei Mädchen starben in den Flammen. Das feige Verbrechen junger 3eonazis erschütterte die Bundesrepublik. Auch 25 Jahre später erlebt Deutschland rechte Gewalt.
SOLINGEN Dir Anschlag schockiert Deutschland und löst weltweit Entsetzen aus: Fünf Frauen beziehungsweise Mädchen einer türkischstämmigen Großfamilie sterben in der Nacht zum Pfingstsamstag 1993 in Solingen, nachdem vier junge Neonazis ihr Haus in Brand gesteckt haben. Das bis dahin schwerste fremdenfeindliche Verbrechen in der bundesdeutschen Geschichte jährt sich am 29. Mai zum 25. Mal. Bis heute sei die Gefahr rechter Gewalt nicht gebannt, warnen Experten.
Ausgebranntes Haus
19 Menschen schliefen in ihren Betten in der Unteren Wernstraße 81, als das Inferno begann. Gürsün Ince (27) sprang vor den Augen der Feuerwehrleute in den Tod, Hatice Genç (18), Gülüstan Öztürk (12), Hülya Genç (9) und Saime Genç (4) erstickten und verbrannten in den Flammen. Acht Bewohner wurden schwer verletzt, drei von ihnen lebensgefährlich. Ein damals 15-Jähriger musste sich wegen schwerster Verbrennungen mehr als 30 Operationen unterziehen. Die Überlebenden und Angehörigen der Opfer leiden bis heute unter den körperlichen und seelischen Folgen.
Das Bild vom Haus mit dem ausgebrannten Dachstuhl ging um die Welt. In den folgenden Tagen zogen türkischstämmige Jugendliche und Autonome teils randalierend durch die Stadt.
Die vier Täter aus der Neonazi-Szene wurden 1995 vom
Düsseldorfer Oberlandesgericht wegen fünffachen Mordes, 14-fachen versuchten Mordes und besonders schwerer Brandstiftung zu Höchststrafen verurteilt. Der damals 23-jährige Markus G. erhielt 15 Jahre Gefängnis, seine drei Komplizen im Alter von 16 bis 20 Jahren die im Jugendstrafrecht vorgesehene Höchststrafe von zehn Jahren.
Alle vier kamen bis 2005 wieder auf freien Fuß, drei von ihnen vorzeitig.
Der heimtückische Anschlag sei in einer aufgeheizten Stimmung verübt worden, sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) kurz vor dem Jahrestag. Er verwies auf die rassistischen Ausschreitungen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen
sowie den Mordanschlag in Mölln in den Jahren 1991 und 1992.
Eine aggressive Asyldebatte hatte ein fremdenfeindliches Klima geschürt. Drei Tage vor dem Solinger Anschlag schränkte der Bundestag das Asylrecht drastisch ein. Es mache ihm Sorgen, dass auch heute Flüchtlingsheime angegriffen würden und eine ag- gressive Stimmung gegen Juden und Muslime herrsche, sagte Laschet. „Gesamtgesellschaftlich ist die Lage aber trotz der Hetze mancher Gruppen gelassener und ruhiger als vor dem Solinger Anschlag.“
Fünf Kastanienbäume
Dem widerspricht der Düsseldorfer RechtsextremismusForscher Alexander Häusler und fordert „eine erhöhte Wachsamkeit gegenüber politischen Versuchen, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit gesellschaftsfähig zu machen“. Die Gefahr des rechten Terrors sei nicht gebannt, und es sei sogar zu befürchten, „dass sich eine Tat wie die in Solingen wiederholt“.
Seit Jahren steige der Anteil an Menschen, die Hass gegenüber Migranten hegen. „Eine Politik der Angst und Ausgrenzung bestärkt rechtsextreme Menschen in ihren Ansichten, so dass sie eher zu gewaltsamen Angriffen auf Ausländer bereit sind“, warnte Häusler. In den vergangenen Jahren hätten „auch bislang der Polizei unbekannte Bürger Brandsätze auf Flüchtlingsheime geworfen“.
Wo in Solingen einst das Haus der Familie Genç stand, klafft heute eine Baulücke. Fünf Kastanienbäume und ein Gedenkstein erinnern an die Todesopfer. Außerhalb der Innenstadt steht ein Mahnmal aus einem zerrissenen Hakenkreuz und Tausenden Metallringen.
Mevlüde Genç rief bereits kurz nach dem Anschlag zu Versöhnung auf. Die heute 75-Jährige verlor damals zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte. Noch immer höre sie die Schreie ihrer Kinder, ihr Schmerz werde nie enden, sagte sie. Genç nahm die deutsche Staatsbürgerschaft an, für ihre Haltung erhielt sie das Bundesverdienstkreuz. Am 29. Mai nimmt sie mit ihrem Mann Durmus an den Gedenkveranstaltungen von Stadt und Land in Solingen und Düsseldorf teil.